Das Landesarbeitsgericht (LAG) Köln hat am 31. Januar 2024 (Az. 5 Sa 422/23) eine bedeutende Entscheidung zur Frage der Risikoverteilung bei einem Theaterbrand und zur Abgrenzung zwischen freier Mitarbeit und Arbeitsverhältnis bei einer Sängerin und Schauspielerin mit Gastvertrag getroffen.
Sachverhalt
Die Klägerin, eine Sängerin und Schauspielerin, hatte mit der Beklagten, einem Theater, einen Gastvertrag abgeschlossen, der vom 29. Juni 2020 bis zum 31. Juli 2021 lief. Sie sollte in dieser Zeit an mehreren Aufführungen teilnehmen. Aufgrund eines Theaterbrands am 30. September 2020, bei dem das Bühnenbild stark beschädigt wurde, fielen die geplanten Aufführungen aus. Die Klägerin forderte dennoch ihre Vergütung für die ausgefallenen Aufführungen. Das Arbeitsgericht Köln hatte ihrer Klage stattgegeben, woraufhin die Beklagte Berufung einlegte.
Rechtliche Analyse
1. Qualifikation des Gastvertrags
Das LAG Köln stellte fest, dass Gastverträge bei einem Theater regelmäßig nicht als Arbeitsverträge zu qualifizieren sind. Entscheidend sei, dass die Klägerin ihre Tätigkeit in persönlicher und wirtschaftlicher Unabhängigkeit ausgeübt habe und somit nicht als Arbeitnehmerin anzusehen sei. Der Gastvertrag sah zwar genaue Vorgaben für die Probenzeiten und Aufführungstermine vor, was jedoch der spezifischen Natur der Tätigkeit geschuldet war und keine persönliche Abhängigkeit begründete:
Zur Abgrenzung des Arbeitsverhältnisses von anderen Vertragsverhältnissen (zB freier Dienstvertrag, Werkvertrag ua.) ist nach § 611a Abs. 1 Satz 5 BGB stets eine wertende Gesamtbetrachtung vorzunehmen, bei der den Besonderheiten des Einzelfalls Rechnung zu tragen ist (…).
Konkret für einen Gastvertrag eines Opernsängers hat das BAG angenommen, dass dieser sein Gepräge durch die Mitwirkung an den Vorstellungen erhalte. Dies sei der eigentliche
Sinn des Vertrags, der auch in den unterschiedlichen Vergütungsregelungen zum Ausdruck komme. Die Prüfung der Weisungsgebundenheit müsse diese dienende Funktion der Proben angemessen berücksichtigen. Die Bewertung der persönlichen Abhängigkeit dürfe nicht allein nach dem zeitlichen Umfang der Tätigkeiten erfolgen. Stünden die Aufführungen als Vertragsgegenstand ganz im Vordergrund, seien sie neben den in zeitlicher Hinsicht überwiegenden Proben zumindest gleichgewichtig (…).
2. Risikoverteilung bei Unmöglichkeit
Das Gericht entschied, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Vergütung für die ausgefallenen Aufführungen habe, da für beide Seiten die Hauptpflichten wegen Unmöglichkeit entfallen seien (§§ 275 Abs. 1, 326 Abs. 1 Satz 1 BGB). Bei einem Theaterbrand handelt es sich um höhere Gewalt, die die Durchführung der Aufführungen unmöglich machte. Da der Vertrag der Parteien kein Arbeitsvertrag war, sondern ein Dienstvertrag, fand § 615 Satz 3 BGB keine Anwendung, der das Betriebsrisiko dem Arbeitgeber zuweist.
3. Annahmeverzug und Unmöglichkeit
Das Gericht stellte klar, dass bei einem Dienstvertrag die Dienstleistung regelmäßig als eine Fixschuld angesehen wird, die nicht nachgeholt werden kann. Da die Aufführungen als Fixtermine vereinbart waren, führte der Brand zu einer Unmöglichkeit der Leistung, wodurch beide Vertragsparteien von ihren Hauptleistungspflichten befreit wurden.
Gerichtliche Beurteilung
Das LAG Köln änderte das Urteil des Arbeitsgerichts Köln ab und wies die Klage ab. Es stellte fest, dass der Gastvertrag keinen Anspruch auf Vergütung für ausgefallene Aufführungen vorsah und die Klägerin keinen Anspruch auf Zahlung der Vergütung nach § 615 Satz 1 BGB hatte, da die Beklagte sich nicht in Annahmeverzug befand, sondern ein Fall der Unmöglichkeit vorlag.
Fazit und Auswirkungen
Diese Entscheidung verdeutlicht die Unterschiede zwischen Arbeitsverträgen und freien Dienstverträgen, insbesondere im künstlerischen Bereich. Für Künstler und freie Mitarbeiter ist es wichtig, die Vertragsbedingungen genau zu prüfen und sich der Risiken bewusst zu sein, die mit derartigen Verträgen verbunden sind. Arbeitgeber sollten bei der Gestaltung von Gastverträgen klare Regelungen treffen, um Missverständnisse zu vermeiden und rechtliche Auseinandersetzungen zu minimieren.
Für Theater und ähnliche Einrichtungen bedeutet dies, dass sie bei der Vertragsgestaltung auf klare Abgrenzungen zwischen Arbeitsverhältnis und freier Mitarbeit achten müssen. Zudem sollten sie sich bewusst sein, dass in Fällen höherer Gewalt, wie einem Theaterbrand, besondere Regelungen getroffen werden müssen, um das Risiko für beide Parteien fair zu verteilen.
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