Abgrenzung von Tatsachenbehauptung und Werturteil: Bei Streitigkeiten über die Zulässigkeit einer Äußerung ist regelmäßig zunächst zu klären, ob eine Äußerung als Tatsachenbehauptung oder als Meinungsäußerung bzw. Werturteil zu qualifizieren ist.
Für die Einordnung als Tatsachenbehauptung ist entscheidend, ob die Äußerung einer Überprüfung auf ihre Richtigkeit mit den Mitteln des Beweises zugänglich ist. Dabei ist zu beachten, dass sich der Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG auch auf Äußerungen erstreckt, in denen sich Tatsachen und Meinungen vermischen und die insgesamt durch Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt sind.
Einführung: Abgrenzung von Tatsachenbehauptung und Werturteil
Werden Tatsachenbehauptungen und Werturteile miteinander kombiniert, ist bei der Abgrenzung von Tatsachenbehauptung und Werturteil grundsätzlich der gesamte Text von der Schutzwirkung des Art. 5 Abs. 1 GG erfasst. Dies bedeutet auch, dass bei Mischsachverhalten, d.h. Äußerungen, die sowohl Tatsachenbehauptungen als auch Elemente der Meinungsäußerung oder des Werturteils enthalten, nicht einzelne Elemente herausgegriffen werden können.
Für die vorzunehmende Abgrenzung ist vielmehr entscheidend, ob der Tatsachengehalt so gering ist, dass die Äußerung insgesamt durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt wird, oder ob die Äußerung ihre Prägung überwiegend durch die Schilderung tatsächlicher Vorgänge erfährt und vom Adressaten als eine in eine Wertung gekleidete Darstellung von Vorgängen verstanden wird, die als solche einer Überprüfung mit den Mitteln des Beweises zugänglich ist; In Zweifelsfällen, in denen eine Trennung des wertenden vom tatsächlichen Gehalt den Sinn der Äußerung aufheben oder verfälschen würde, ist insgesamt von einer Meinungsäußerung auszugehen, wobei die Wahrheit oder Unwahrheit des Tatsachenkerns dann im Rahmen der vorzunehmenden Abwägung der schutzwürdigen Interessen der streitenden Parteien zu berücksichtigen ist.
Bundesverfassungsgericht
Das Bundesverfassungsgericht (1 BvR 1081/15) konnte schon früher zur Abgrenzung von Tatsachenbehauptung und Werturteil kurz und prägnant darlegen, wie man Meinungsäußerung und Tatsachenbehauptung voneinander trennt:
Bei der Frage, ob eine Äußerung ihrem Schwerpunkt nach als Tatsachenbehauptung oder als überwiegend durch Elemente der Stellungnahme und des Dafürhaltens geprägtes Werturteil anzusehen ist, kommt es entscheidend auf den Gesamtkontext der fraglichen Äußerung an (vgl. BVerfGE 93, 266 <295>). Ziel der Deutung ist die Ermittlung des objektiven Sinns einer Äußerung. Maßgeblich ist dabei weder die subjektive Absicht des sich Äußernden noch das subjektive Verständnis der von der Äußerung Betroffenen, sondern der Sinn, den sie nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums hat. Dabei ist stets vom Wortlaut der Äußerung auszugehen. Dieser legt ihren Sinn aber nicht abschließend fest. Er wird vielmehr auch von dem sprachlichen Kontext, in dem die umstrittene Äußerung steht, und den Begleitumständen, unter denen sie fällt, bestimmt, soweit diese für die Rezipienten erkennbar waren (vgl. BVerfGE 93, 266 <295>).
Dabei ist daran zu erinnern, dass sowohl mit BVerfG und BGH im Zweifel, wenn die Abgrenzung unscharf zu werden droht, zu Gunsten der Meinungsfreiheit zu entschliessen ist.
BGH zur Abgrenzung von Tatsachen zu Werturteilen
Wann eine Tatsache und wann ein Werturteil vorliegt, findet sich sehr prägnant beim BGH (I ZR 217/15), der zur Abgrenzung von Tatsachenbehauptung und Werturteil klarstellte:
Werturteile sind durch das Element des Wertens, Meinens und Dafürhaltens gekennzeichnet. Tatsachen sind demgegenüber Vorgänge oder Zustände, deren Vorliegen dem Wahrheitsbeweis zugänglich ist. Die Einstufung einer Äußerung bestimmt sich danach, wie der angesprochene Verkehr sie nach Form und Inhalt in ihrem Gesamtzusammenhang versteht (vgl. BGH, Urteil vom 22. Oktober 1987 – I ZR 247/85, GRUR 1988, 402, 403 = WRP 1988, 358 – Mit Verlogenheit zum Geld; Urteil vom 27. Juni 2002 – I ZR 103/00, GRUR 2003, 436, 438 = WRP 2003, 384 – Feldenkrais; Urteil vom 14. Mai 2009 – I ZR 82/07, GRUR 2009, 1186 Rn. 15 = WRP 2009, 1505 – Mecklenburger Obstbrände mwN).
Ob der Tatrichter unter Berücksichtigung dieser Grundsätze den Aussagegehalt einer beanstandeten Äußerung zutreffend erfasst und rechtlich einwandfrei zwischen Tatsachenbehauptung und Werturteilen unterschieden hat, unterliegt der revisionsrechtlichen Nachprüfung (BGH, Urteil vom 30. Januar 1996 – VI ZR 386/94, BGHZ 132, 13, 21; BGH, GRUR 2009, 1186 Rn. 15 – Mecklenburger Obstbrände; BGH, Urteil vom 31. März 2016 – I ZR 160/14, GRUR 2016, 710 Rn. 24 = WRP 2016, 843 – Im Immobiliensumpf).
Die Abgrenzung von Tatsachenbehauptung und Werturteil ist nicht nur besonders praxisrelevant im Äußerungsrecht – viele Amtsgerichte tun sich mit der richtigen Handhabung als erste Instanz sehr schwer, weil man ungefällige Meinungen schnell falsch einstuft.
Ausführungen des Landgerichts Köln zur Tatsachenbehauptung
Das Landgericht Köln (28 O 324/16) machte es insoweit auch schön kurz: „Bei Tatsachenbehauptungen kommt es im Rahmen der anzustellenden Abwägung für die Zulässigkeit ihrer Äußerung entscheidend auf den Wahrheitsgehalt der Tatsachenbehauptung an. Bewusst unwahre Tatsachen oder Tatsachen, deren Unwahrheit im Zeitpunkt der Äußerung zweifelsfrei feststeht, fallen nicht unter den Schutz des Art. 5 Abs. 1 GG. Ihre Äußerung ist daher grundsätzlich unzulässig (…)“ und weiter:
Im Gegensatz zur Tatsachenbehauptung misst eine Meinungsäußerung einen Vorgang oder Zustand an einem vom Kritiker gewählten Maßstab. Es kommt darauf an, ob die Äußerung durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder des Meinens geprägt ist. Auf den Wert, die Richtigkeit oder die Vernünftigkeit der Äußerung kommt es nicht an (vgl. BVerfG, NJW 1983, 1415, 1416). Mit Rücksicht auf die Meinungsfreiheit ist der Begriff der Meinung in Art. 5 Abs. 1 GG grundsätzlich weit zu verstehen: Sofern eine Äußerung durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt ist, fällt sie in den Schutzbereich des Grundrechts. Das muss auch dann gelten, wenn sich diese Elemente, wie häufig, mit Elementen einer Tatsachenmitteilung oder -behauptung verbinden oder vermischen, jedenfalls dann, wenn beide sich nicht trennen lassen und der tatsächliche Gehalt gegenüber der Wertung in den Hintergrund tritt (…)
Ausführungen des OLG Dresden
Etwas umfangreicher fasst es das OLG Dresden (4 U 142/17) zusammen:
Die Abgrenzung zwischen Tatsachenbehauptungen und Meinungsäußerungen erfolgt nach den in Rechtsprechung und Literatur zu §§ 186, 187 StGB entwickelten Grundsätzen (Löffler/Ricker Handbuch des Presserechts, 5. Aufl., § 44 Rn 9 m.w.N.).
Tatsachenbehauptungen unterscheiden sich von Werturteilen dadurch, dass bei diesen die subjektive Beziehung zwischen der Äußerung und der Wirklichkeit im Vordergrund steht, während für jene die objektive Beziehung des sich Äußernden zum Inhalt seiner Äußerung charakteristisch ist (vgl. BVerfG, NJW 2000, 199, 200 m.w.N.). Für die Einstufung als Tatsachenbehauptung kommt es wesentlich darauf an, ob die Aussage einer Überprüfung auf ihre Richtigkeit mit den Mitteln des Beweises zugänglich ist, was bei Meinungsäußerungen ausscheidet, weil sie durch das Element der Stellungnahme und des Dafürhaltens gekennzeichnet werden und sich deshalb nicht als wahr oder unwahr erweisen lassen (BGH VersR 1999, 1162; NJW-RR 1999, 1251m.w.N.; BVerfG NJW 1992, 1439, 1440).
Bei der Einordnung einer Äußerung als Tatsache oder Werturteil kommt es nach der ständigen Rechtsprechung des BGH auf den Inhalt der Aussage nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Adressaten an (BGH AfP 1994, 300; BVerfG NJW 2006, 207 m.w.N; Löffler/Ricker aaO. Rn 25). Ausgehend vom Wortlaut, der allerdings den Sinn nicht abschließend festlegen kann, sind bei der Deutung der sprachliche Kontext, in dem die umstrittene Äußerung steht, und die Begleitumstände, unter denen sie fällt, zu berücksichtigen, soweit diese für die Leser, Hörer oder Zuschauer erkennbar sind. Dabei dürfen allerdings aus einer komplexen Äußerung nicht Sätze oder Satzteile mit tatsächlichem Gehalt herausgegriffen werden, wenn die Äußerung nach ihrem – zu würdigenden – Gesamtzusammenhang in den Schutzbereich des Grundrechts auf freie Meinungsäußerung gemäß Art. 5 Abs. 1 GG fallen kann und in diesem Fall eine Abwägung zwischen den verletzten Grundrechtspositionen erforderlich wird (st. Rspr. vgl. nur BGH VersR 2009, 1545; VersR 2009, 365).
Der Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG erstreckt sich dabei auch auf Äußerungen, in denen sich Tatsachen und Meinungen vermengen und die insgesamt durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt werden (BGH VersR 2009, 1545; VersR 2008, 695; VersR 2008, 971; NJW 2006, 601; VersR 2004, 343). Sofern eine Äußerung, in der sich Tatsachen und Meinungen vermengen, in entscheidender Weise durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt ist, wird sie als Werturteil und Meinungsäußerung in vollem Umfang vom Grundrecht des Art. 5 Abs. 1 GG geschützt (st. Rspr.; vgl. BGH VersR 2002, 445; VersR 1996, 597; VersR 1998, 1250).
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