Wann liegt eine Arbeitnehmerüberlassung vor: Zur Abgrenzung zwischen einem Arbeitnehmerüberlassungsvertrag nach dem AÜG und einem Werk- oder Dienstvertrag geht die Rechtsprechung von der Legaldefinition in den § 631 BGB und § 1 AÜG aus. Dies wird dann von einem Geflecht unterschiedlicher Wertungen durchzogen, wobei sich die Rechtsprechung bewusst von dem (mitunter ausdrücklichen) Wortlaut getroffener Vereinbarungen distanziert.
Das Ergebnis kann eine für die Betroffenen auch durchaus überraschende Annahme einer Arbeitnehmerüberlassung sein.
Dazu auch: Wann liegt Scheinselbstständigkeit vor?
Konsequenzen bei illegalem Verleih oder Entleih von Arbeitnehmern
Wenn überraschend von einer Arbeitnehmerüberlassung im Sinne des AÜG ausgegangen wird, dann wurde schlusslogisch auch nicht vorgesorgt, insbesondere nicht die notwendige Erlaubnis eingeholt, so dass von einem illegalen Ver- bzw. Entleih eines Arbeitnehmers auszugehen ist. Das führt zu erheblichen Konsequenzen bei einer illegalen Arbeitnehmerüberlassung:
- Zwischen Entleiher und Arbeitnehmer wird ein bestehendes Arbeitsverhältnis fingiert
- Wenn durch den Verleiher ein Arbeitsentgelt an den Leiharbeitnehmer gezahlt wird, haftet dieser – neben dem Entleiher als Arbeitgeber – ebenfalls für die Sozialversicherungsbeiträge und es besteht eine gesamtschuldnerische Haftung.
- Der Verleih ohne Erlaubnis der Bundesagentur für Arbeit ist ein ordnungswidriges Handeln (§ 16 Abs. 1 Nr. 1 AÜG) und mit einer Geldbuße von bis zu 30.000 Euro bedroht, dies gilt insbesondere auch beim Ketten-, Zwischen- oder Weiterverleih von Arbeitnehmern.
- Der Einsatz von Arbeitnehmern, die von einem Verleiher ohne Erlaubnis der Bundesagentur für Arbeit entliehen sind, ist ein ordnungswidriges Handeln (§ 16 Abs. 1 Nr. 1a AÜG) und mit einer Geldbuße bis zu 30.000 Euro bedroht.
- Es kann der durch die unerlaubte Handlung erzielte wirtschaftliche Vorteil abgeschöpft werden, was deutlich empfindlicher als die bloße Geldbuße werden kann.
- Der Verleih ohne ausdrückliche Bezeichnung der Überlassung als Arbeitnehmerüberlassung im Arbeitnehmerüberlassungsvertrag ist eine eigenständige Ordnungswidrigkeit (§ 16 Abs. 1 Nr. 1c AÜG).
- Der Verleih ohne Konkretisierung der Person des Leiharbeitnehmers (§ 16 Abs. 1 Nr. 1d AÜG) ist ebenso eine eigenständige Ordnungswidrigkeit.
- Und auch der Verleih über die Höchstüberlassungsdauer von 18 Monaten hinaus (§ 16 Abs. 1 Nr. 1e AÜG) ist eine eigenständige Ordnungswidrigkeit.
Dabei gibt es gerade bei ausländischen Arbeitnehmern ganz erhebliche Fallstricke, die sich erst in einer Gesamtschau aufzeigen: Da etwa bei unerlaubtem Verleih die Fiktion eines Arbeitsverhältnisses mit dem Entleiher eingreift, kann sodann eine Geldbuße bis zu 500.000 Euro betragen – wenn ausländische Arbeitnehmer eingesetzt wurden, die die Tätigkeit nicht ausüben dürften (siehe § 404 Abs. 2 Nr. 3 SGB III). Durch die Fiktion des Arbeitsverhältnisses können an einigen Stellen insoweit noch weitaus gravierende Konsequenzen, bis hin zur Strafbarkeit, im Raum stehen!
Die Konsequenzen sind also erheblich und die Frage, ob eine (unerkannte oder böswillig illegal herbeigeführte) Arbeitnehmerüberlassung vorliegt von ganz erheblicher Bedeutung.
Wann liegt Arbeitnehmerüberlassung vor?
Die Arbeitnehmerüberlassung ist mit dem Bundesarbeitsgericht (BAG, 7 AZR 365/05, 7 AZR 267/02 und 7 AZR 180/03) gekennzeichnet durch drei abstrakte Faktoren:
- spezifische Ausgestaltung der Vertragsbeziehungen zwischen Verleiher und Entleiher einerseits (dem Arbeitnehmerüberlassungsvertrag) und
- zwischen Verleiher und Arbeitnehmer andererseits (dem Leiharbeitsvertrag) sowie
- durch das Fehlen einer arbeitsvertraglichen Beziehung zwischen Arbeitnehmer und Entleiher.
Notwendiger Inhalt eines Arbeitnehmerüberlassungsvertrags ist mit dem Bundesarbeitsgericht die Verpflichtung des Verleihers gegenüber dem Entleiher, diesem zur Förderung von dessen Betriebszwecken Arbeitnehmer zur Verfügung zu stellen. Die Vertragspflicht des Verleihers gegenüber dem Entleiher endet, wenn er den Arbeitnehmer ausgewählt und ihn dem Entleiher zur Verfügung gestellt hat. Nach ständiger Rechtsprechung des BAG unterfällt nicht jeder in diesem Sinne drittbezogene Arbeitseinsatz dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz.
Arbeitnehmerüberlassung ist vielmehr durch eine spezifische Ausgestaltung der Vertragsbeziehungen zwischen Verleiher und Entleiher einerseits (dem Arbeitnehmerüberlassungsvertrag) und zwischen Verleiher und Arbeitnehmer andererseits (dem Leiharbeitsvertrag) sowie durch das Fehlen einer arbeitsvertraglichen Beziehung zwischen Arbeitnehmer und Entleiher gekennzeichnet.
Von der Arbeitnehmerüberlassung zu unterscheiden ist die Tätigkeit eines Arbeitnehmers bei einem Dritten aufgrund eines Werk- oder Dienstvertrags. In diesen Fällen wird der Unternehmer für einen anderen tätig. Er organisiert die zur Erreichung eines wirtschaftlichen Erfolgs notwendigen Handlungen nach eigenen betrieblichen Voraussetzungen und bleibt für die Erfüllung der in dem Vertrag vorgesehenen Dienste oder für die Herstellung des geschuldeten Werks gegenüber dem Drittunternehmen verantwortlich. Die zur Ausführung des Dienst- oder Werkvertrags eingesetzten Arbeitnehmer unterliegen den Weisungen des Unternehmers und sind dessen Erfüllungsgehilfen. Der Werkbesteller kann jedoch, wie sich aus § 645 Abs. 1 Satz 1 BGB ergibt, dem Werkunternehmer selbst oder dessen Erfüllungsgehilfen Anweisungen für die Ausführungen des Werks erteilen. Entsprechendes gilt für Dienstverträge. Solche Dienst- oder Werkverträge werden vom Arbeitnehmerüberlassungsgesetz mit dem BAG nicht erfasst (vgl. zu alldem BAG, 7 AZR 269/07 sowie 7 AZR 723/10).
Die verschiedenen Formen der Überlassung von Arbeitnehmern
Arbeitnehmerüberlassung
Notwendiger Inhalt eines Arbeitnehmerüberlassungsvertrages ist mit dem Bundesarbeitsgericht die Verpflichtung des Verleihers gegenüber dem Entleiher, diesem zur Förderung von Betriebszwecken Arbeitnehmer zur Verfügung zu stellen (BAG, 7 AZR 365/05). Die Vertragspflicht des Verleihers gegenüber dem Entleiher endet, sobald er den Arbeitnehmer ausgewählt und ihn dem Entleiher zur Verfügung gestellt hat (BAG, 7 AZR 365/05).
Werkvertrag
Anders beim Werkvertrag: Hier wird ein Unternehmer für einen anderen tätig. Der Werkunternehmer organisiert die zur Erreichung eines wirtschaftlichen Erfolgs notwendigen Handlungen nach eigenen betrieblichen Voraussetzungen und bleibt für die Herstellung des konkret geschuldeten Werks gegenüber dem Drittunternehmen verantwortlich. Die zur Ausführung des Werkvertrages eingesetzten Arbeitnehmer unterliegen den Weisungen des Unternehmers und sind dessen Erfüllungsgehilfen. Der Werkbesteller kann jedoch, wie sich aus § 645 Abs. 1 Satz 1 BGB ergibt, dem Werkunternehmer selbst oder dessen Erfüllungsgehilfen Anweisungen für die Ausführungen des Werkes erteilen. Solche Werkverträge werden nicht vom Arbeitnehmerüberlassungsgesetz erfasst (siehe zu all dem BAG, 7 AZR 365/05, 7 AZR 267/02, 7 AZR 180/03).
Dienstvertrag
Beim Dienstvertrag schuldet der Dienstnehmer eine bestimmte Dienstleistung, die er, wenn ihm das nach dem Vertrag entgegen § 613 Abs. 1 BGB erlaubt ist, auch durch Erfüllungsgehilfen erbringen kann. Die Erfüllungsgehilfen arbeiten dabei nach den Weisungen des Dienstnehmers. Demgegenüber stellt bei einem Arbeitnehmerüberlassungsvertrag der Verleiher die Arbeitnehmer für bestimmte (Werk- oder) Dienstleistungen zur Verfügung, die sie nach Weisung des Entleihers verrichten.
In ihrer reinen Form lassen sich der Dienstvertrag mit Erfüllungsgehilfen und der Arbeitnehmerüberlassungsvertrag also durchaus klar unterscheiden. Wobei der Dienstvertrag mit Erfüllungsgehilfen dem Arbeitnehmerüberlassungsvertrag noch näher als der Werkvertrag steht.
Variable Gestaltungen
Diese an sich – in der Theorie – klare Abgrenzung wird durch in der Praxis häufig verwendete atypische Gestaltungsformen erschwert: So kann zum einen der Werkunternehmer mit dem Dritten anstelle eines einzelnen konkret benannten Werkes eine Reihe von Einzelwerken aufgrund eines Rahmenvertrages anbieten. Ebenso kann die an den Werkunternehmer zu leistende Vergütung des Bestellers nach Zeitabschnitten statt nach einem Erfolg bemessen sein und die vom Werkunternehmer entsandten Arbeitnehmer können sogar vollständig in die Organisation des Dritten einbezogen sein. Spätestens an diesem Punkt fällt die Abgrenzung zur Arbeitnehmerüberlassung schwer.
Abgrenzung der Arbeitnehmerüberlassung
Zur Abgrenzung zwischen dem Arbeitnehmerüberlassungsvertrag und dem Werk- bzw. Dienstvertrag legt die Rechtsprechung im Wesentlichen die immer Abgrenzungskriterien zugrunde:
Auslegung des Vertrages zählt
Über die rechtliche Einordnung des jeweiligen Vertrages zum Dritteinsatz des Arbeitnehmers zwischen dem Dritten und dem Arbeitgeber entscheidet zunächst mit der Rechtsprechung der tatsächliche und ggfs. durch Auslegung zu ermittelnde Geschäftsinhalt – und gerade nicht die von den Parteien gewünschte Rechtsfolge oder eine zwar ausdrücklich getroffene Bezeichnung, die dem tatsächlichen Geschäftsinhalt aber letztlich nicht entspricht (siehe nur BAG, 7 AZR 365/05):
Über die rechtliche Einordnung des Vertrags zwischen dem Dritten und dem Arbeitgeber entscheidet der Geschäftsinhalt und nicht die von den Parteien gewünschte Rechtsfolge oder eine Bezeichnung, die dem tatsächlichen Geschäftsinhalt nicht entspricht. Die Vertragsschließenden können das Eingreifen zwingender Schutzvorschriften des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes nicht dadurch vermeiden, dass sie einen vom Geschäftsinhalt abweichenden Vertragstyp wählen. Der Geschäftsinhalt kann sich sowohl aus den ausdrücklichen Vereinbarungen der Vertragsparteien als auch aus der praktischen Durchführung des Vertrags ergeben. Widersprechen sich beide, so ist die tatsächliche Durchführung des Vertrags maßgebend, weil sich aus der praktischen Handhabung der Vertragsbeziehungen am ehesten Rückschlüsse darauf ziehen lassen, von welchen Rechten und Pflichten die Vertragsparteien ausgegangen sind, was sie also wirklich gewollt haben.
Der so ermittelte wirkliche Wille der Vertragsparteien bestimmt den Geschäftsinhalt und damit den Vertragstyp (BAG 13. August 2008 – 7 AZR 269/07 – Rn. 15, EzAÜG AÜG § 10 Fiktion Nr. 121; 10. Oktober 2007 – 7 AZR 487/06 – Rn. 35; 24. Mai 2006 – 7 AZR 365/05 – Rn. 42, EzAÜG AÜG § 10 Fiktion Nr. 114). Einzelne Vorgänge der Vertragsabwicklung sind zur Feststellung eines vom Vertragswortlaut abweichenden Geschäftsinhalts nur geeignet, wenn es sich dabei nicht um untypische Einzelfälle, sondern um beispielhafte Erscheinungsformen einer durchgehend geübten Vertragspraxis handelt (BAG 6. August 2003 – 7 AZR 180/03 – zu II 1 b der Gründe mwN, AP AÜG § 9 Nr. 6 = EzA AÜG § 1 Nr. 13).
BAG, 7 AZR 723/10
Das Eingreifen zwingender Vorschriften des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes soll nicht dadurch vermieden werden können, dass ein vom Geschäftsinhalt nicht gedeckter Vertragstyp gewählt wird.
Und es gilt Vorsicht: Der zu ermittelnde Geschäftsinhalt kann sich sowohl aus den ausdrücklichen Vereinbarungen der Parteien einerseits als auch aus der praktischen Durchführung des Vertrages andererseits ergeben. Widerspricht sich beides, so ist für das Bundesarbeitsgericht letztlich die tatsächliche Durchführung des Vertrages mit sämtlichen Umständen maßgebend, weil sich aus der praktischen Handhabung der Vertragsbeziehungen am ehesten Rückschlüsse darauf ziehen lassen, von welchen Rechten und Pflichten die Vertragsparteien ausgegangen sind, was sie also wirklich gewollt haben. Der so ermittelte wirkliche Wille der Vertragsparteien bestimmt den Geschäftsinhalt und damit den Vertragstyp (siehe auch hierzu BAG, 7 AZR 365/05). Diese abweichende Vertragspraxis muss allerdings den auf Seiten der Vertragspartner zum Vertragsabschluss berechtigten Personen bekannt gewesen und von ihnen zumindest geduldet worden sein. Sonst kann eine solche den schriftlichen oder ausdrücklichen Vereinbarungen widersprechende Vertragsdurchführung nicht als Ausdruck des wirklichen Geschäftswillens der Vertragspartner angesehen werden (ausdrücklich BAG, 7 AZR 180/03, 7 AZR 497/89).
Umfassende Würdigung der Begleitumstände
Bei der Abgrenzung zwischen einem Arbeitnehmerüberlassungsvertrag und einem Werk- oder Dienstvertrag ist mit der Rechtsprechung eine umfassende Würdigung der Begleitumstände vorzunehmen, wobei entscheidend ist, ob der Arbeitnehmer in den Betrieb des Dritten eingegliedert ist und den Weisungen des Dritten unterliegt oder ob es sich bei den gegenüber dem Arbeitnehmer erteilten Weisungen um werkvertragliche Weisungen handelt.
Bei der Abgrenzung arbeitsrechtlicher zu werkvertraglicher Weisungen ist zu berücksichtigen, dass die Weisung des Werkbestellers gegenständlich begrenzt auf das konkrete Werk bezogen ist. Fehlt es an einem abgrenzbaren, dem Werkunternehmer als eigene Leistung zurechenbaren und abnahmefähigen Werk, so deutet dies regelmäßig auf Arbeitnehmerüberlassung hin, weil der Besteller dann durch seine Anweisungen den Gegenstand der von dem Arbeitnehmer zu erbringende Leistung überhaupt erst bestimmt und damit Arbeit und Einsatz für ihn bindend organisiert (zusammenfassend hierzu BAG, 7 AZR 217/94). Allerdings ist zu beachten, dass Arbeitnehmerüberlassung voraussetzt, dass das Arbeitgeberweisungsrecht während der Dauer des Fremdfirmeneinsatzes allein vom Inhaber des Einsatzbetriebes oder dessen Personal ausgeübt wird (BAG, 7 AZR 180/03, 7 AZR 663/96).
Eingliederung in den Beschäftigungsbetrieb
Ein besonders wichtiges und äusserst Auslegungsfreudiges Indiz für das Vorliegen eines Arbeitnehmerüberlassungsvertrages können mit dem BAG (siehe grundlegend BAG, 7 AZR 497/89) insbesondere sein:
- Eingliederung in den Beschäftigungsbetrieb;
- Zusammenarbeit mit Arbeitnehmern des Dritten;
- Übernahme von Tätigkeiten, die früher Arbeitnehmer des Dritten ausgeführt haben;
- Stellung von Material und von Arbeitskleidung durch den Dritten;
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