Auslegung des Unterlassungsvertrags: Wenn eine Unterlassungserklärung abgegeben und von der Gegenseite angenommen wird, entsteht ein Unterlassungsvertrag. Doch wie genau ist ein solcher Vertrag auszulegen? Naturgemäß, wenn ein vermeintlicher Verstoß vorliegt, liest der Schuldner den Vertrag enger als der Gläubiger – die Rechtsprechung bietet hier Auslegungshilfen.
Auslegung des Unterlassungsvertrags
Bei der Auslegung von Willenserklärungen kommt es grundsätzlich auf den objektiven Erklärungswert an, d.h. darauf, wie sich die Erklärung nach Treu und Glauben für den Empfänger darstellt (BGH, VII ZR 207/60). Dabei darf der Erklärungsempfänger der Erklärung nicht einfach den für ihn günstigsten Sinn beilegen, sondern muss unter Berücksichtigung aller ihm bekannten Umstände mit der gebotenen Aufmerksamkeit prüfen, was der Erklärende sagen wollte (BGH, IV ZR 238/06).
Diese allgemein für die Vertragsauslegung geltenden Grundsätze gelten auch für Unterlassungsverträge (BGH, I ZR 32/03). Maßgeblich ist danach der wirkliche Wille der Vertragsparteien (§§ 133, 157 BGB), zu dessen Ermittlung neben dem Erklärungswortlaut die beiderseits bekannten Umstände, insbesondere die Art und Weise des Zustandekommens der Vereinbarung, ihr Zweck, das Wettbewerbsverhältnis zwischen den Parteien sowie deren Interessenlage heranzuziehen sind (Oberlandesgericht Hamm, 4 U 225/22 unter Verweis auf BGH; I ZR 32/03).
Die Parteien sind in der Gestaltung des Inhalts eines Unterlassungsvertrages frei: Ein unmittelbarer Rückgriff auf die Grundsätze, die für die Auslegung eines gleichlautenden Unterlassungstitels gelten, kommt daher nicht in Betracht, da einem Unterlassungsvertrag der Charakter eines Vollstreckungstitels fehlt.
Der Umstand, dass sich ein Unterlassungsvertrag seinem Wortlaut nach nur auf eine bestimmte Werbeaussage bezieht, bedeutet nicht, dass sich die vertragliche Unterlassungspflicht auf diese beschränken muss. Zweck eines Unterlassungsvertrages ist es regelmäßig, nach einer Verletzungshandlung die Vermutung der Wiederholungsgefahr durch eine vertragsstrafenbewehrte Unterlassungsverpflichtung auszuräumen und damit die Einleitung oder Fortsetzung eines gerichtlichen Verfahrens entbehrlich zu machen. Die Vermutung der Wiederholungsgefahr gilt allerdings nicht nur für die exakt identische Verletzungsform, sondern umfasst auch alle im Kern gleichartigen Verletzungsformen.
Der regelmäßig zu vermutende Zweck eines Unterlassungsvertrages spricht daher erfahrungsgemäß dafür, dass die Vertragsparteien auch im Kern gleichartige Verletzungsformen erfassen wollten. Zwingend ist dies jedoch nicht. Die Auslegung des Unterlassungsvertrages kann auch ergeben, dass dieser bewusst eng auf die bezeichnete konkrete Verletzungsform bezogen ist (BGH, I ZR 40/95).
Einzelfragen bei der Auslegung
Der Bundesgerichtshof hatte sich 2006 (BGH, I ZR 32/03) in einer grundlegenden Entscheidung zum Thema Unterlassungserklärung und der Frage, wie Unterlassungsverpflichtungsverträge mit Vertragsstrafeversprechen zu Stande kommen, geäußert. Dabei hat er folgende grundlegende Prinzipien aufgestellt, die aller mit weiteren Fundstellen untermauert sind:
- Die Verpflichtung zur Zahlung einer Vertragsstrafe wird nicht schon durch eine einseitige Erklärung des Schuldners begründet, sondern setzt den Abschluss eines Vertrags zwischen dem Gläubiger und dem Schuldner voraus. Die Unterlassungserklärung ist damit das Angebot, dass von dem Gläubiger angenommen werden muss.
- Durch Abgabe einer neu formulierten strafbewehrten Unterlassungserklärung („modifizierte Unterlassungserklärung“) wird das Angebot des Gläubigers zum Abschluss eines strafbewehrten Unterlassungsvertrags abgelehnt und zugleich ein neues Angebot abgegeben (§ 150 Abs. 2 BGB).
- Im Rahmen dieses neuen Angebot kann gemäß § 151 BGB auf den Zugang der Annahmeerklärung verzichtet werden. Auch dann ist aber mindestens eine konkludente Annahme des Gläubigers nötig, also ein nach außen hervortretendes Verhalten, aus dem der Annahmewille unzweideutig hervorgeht.
- Unterlassungsverträge sind nach den auch sonst für die Vertragsauslegung geltenden Grundsätzen auszulegen. Maßgebend ist demnach der wirkliche Wille der Vertragsparteien (§§ 133, 157 BGB), bei dessen Ermittlung neben dem Erklärungswortlaut die beiderseits bekannten Umstände wie insbesondere die Art und Weise des Zustandekommens der Vereinbarung, deren Zweck, die Wettbewerbsbeziehung zwischen den Vertragsparteien sowie deren Interessenlage heranzuziehen sind
- Eine abgegebene einseitige strafbewehrte Unterlassungserklärung, wenn sie ernsthaft ist und auch inhaltlich den an eine solche Erklärung zu stellenden Anforderungen entspricht, beseitigt die Wiederholungsgefahr unabhängig von einer Annahmeerklärung daher gegebenenfalls auch schon vor einer solchen. (Die Annahme ist insofern zur Geltendmachung der Vertragsstrafe wichtig!)
- Ansprüche aus der strafbewehrten Unterlassungserklärung auf Zahlung der Vertragsstrafe kann der Gläubiger grundsätzlich allein für ab dem Zeitpunkt des Vertragsschlusses begangene Verstöße geltend machen, sie ist also in die Zukunft gerichtet: Eine rückwirkende Vereinbarung müsste ausdrücklich getroffen werden.
- Bei der Auslegung wird zu beachten sein, dass der Schuldner durch die Abgabe der Unterlassungserklärung nicht schlechter da stehen will als durch ein Urteil. Jede Verschlechterung seiner Position gegenüber einem Urteil wird man daher durch Auslegung kaum erreichen können.
Mit dem OLG Schleswig (6 U 36/22) kann man überdies dahin kommen, dass eine Unterlassungsvereinbarung, der eine Abmahnung mit der Aufforderung zu rechtmäßigem Verhalten vorausgegangen ist, grundsätzlich so auszulegen ist, dass die Unterlassungserklärung nicht über die gesetzliche Verpflichtung des Schuldners hinausgehen soll.
OLG Köln zur Auslegung eines Unterlassungsvertrages
Beim OLG Köln (6 U 161/16) fand ich einige weitere zusammenfassende Ausführungen zur Auslegung, wobei sich nochmals zeigt, dass insbesondere die Stellschraube der Vertragsstrafe der Höhe nach zu oft unterschätzt wird:
Im Rahmen der Auslegung der Unterlassungsvereinbarung ist zu berücksichtigen, dass die Parteien bei der inhaltlichen Ausgestaltung eines Unterlassungsvertrages frei sind, so dass sich dessen Auslegung nach den allgemeinen für die Vertragsauslegung geltenden Grundsätzen richtet. Maßgebend für die Reichweite einer vertraglichen Unterlassungsverpflichtung ist der wirkliche Wille der Vertragsparteien (§§ 133, 157 BGB), zu dessen Auslegung neben dem Inhalt der Vertragserklärungen auch die beiderseits bekannten Umstände, insbesondere die Art und Weise des Zustandekommens der Vereinbarung, ihr Zweck, die Wettbewerbsbeziehung zwischen den Vertragsparteien und ihre Interessenlage heranzuziehen sind (…)
Der Umstand, dass sich ein Unterlassungsvertrag seinem Wortlaut nach nur auf einen bestimmten Werbesatz bezieht, bedeutet nicht, dass sich die vertragliche Unterlassungspflicht auf diesen beschränken muss. Zweck eines Unterlassungsvertrages ist es regelmäßig, nach einer Verletzungshandlung die Vermutung der Wiederholungsgefahr durch eine vertragsstrafenbewehrte Unterlassungsverpflichtung auszuräumen und damit die Einleitung oder Fortsetzung eines gerichtlichen Verfahrens entbehrlich zu machen. Die Vermutung der Wiederholungsgefahr gilt jedoch nicht allein für die genau identische Verletzungsform, sondern umfasst auch alle im Kern gleichartigen Verletzungsformen. Der regelmäßig anzunehmende Zweck eines Unterlassungsvertrages spricht deshalb erfahrungsgemäß dafür, dass die Vertragsparteien durch ihn auch im Kern gleichartige Verletzungsformen erfassen wollten. Zwingend ist dies aber nicht. Die Auslegung des Unterlassungsvertrages kann auch ergeben, dass dieser bewusst eng auf die bezeichnete konkrete Verletzungsform bezogen ist (vgl. BGH, GRUR 1997, 931 – Sekundenschnell, Kessen in Teplitzky aaO, Kap. 8 Rn. 16, jeweils mwN).
Eine besonders eng am Wortlaut orientierte Auslegung des Unterlassungsversprechens kann geboten sein, wenn im Verhältnis zur Bedeutung der Sache eine besonders hohe Vertragsstrafe vereinbart wurde (vgl. BGH, Urteil vom 13.02.2003 – I ZR 281/01, GRUR 2003, 545 – Hotelfoto). Dies gilt nicht, wenn sich der Versprechende zur Zahlung einer vom Kläger nach billigem Ermessen festzusetzenden Vertragsstrafe verpflichtet hat, die im Streitfall auf ihre Angemessenheit zu überprüfen ist (vgl. BGH, GRUR 2015, 258 – CT-Paradies).
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