Das Urteil des Oberlandesgerichts (OLG) Frankfurt vom 11. Juli 2024 (Aktenzeichen: 16 U 92/23) behandelt die Frage, ob die Bezeichnung einer Person als „Transe“ eine Persönlichkeitsrechtsverletzung darstellt.
1. Abwertende Bedeutung des Begriffs „Transe“
Das OLG Frankfurt hat festgestellt, dass dem Begriff „Transe“ ausschließlich eine abwertende Bedeutung zukommt. Der diskriminierende Verletzungsgehalt dieses Begriffs wurde vom Gericht auf eine Stufe mit dem Schimpfwort „Schwuchtel“ gestellt. Diese Einordnung zeigt, dass der Begriff „Transe“ in der öffentlichen Wahrnehmung stark negativ konnotiert ist und daher eine schwerwiegende Beleidigung darstellt:
Ihrem Gesamtkontext nach fasst der Verfügungsbeklagte mit der Überschrift „Totalitär tickende Transe zieht den Schwanz ein“ einzelne Inhalte seines Beitrags zusammen, indem er mit den Worten „zieht den Schwanz ein“ den Verzicht der Verfügungsklägerin auf Unterlassungsansprüche zum Ausdruck bringt, sie mit dem Wort „Transe“ als transsexuelle Person kennzeichnet und mit der Zuschreibung „totalitär tickend“ ihr von dem Verfügungsbeklagten beanstandetes rechtliches Vorgehen bewertet. Diese Charakterisierung der Verfügungsklägerin versteht der Durchschnittsleser schon aufgrund ihrer Verdreifachung, erst recht jedoch in ihrer Kombination als gezielte Herabsetzung. Ob der Verfügungsbeklagte dies, wie er in der Berufungsverhandlung vorbringen ließ, mit seiner Äußerung gar nicht beabsichtigte, ist unerheblich. Denn für die Deutung maßgeblich ist weder die subjektive Absicht des sich Äußernden noch das subjektive Verständnis der von der Äußerung Betroffenen, sondern der Sinn, den sie nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Durchschnittspublikums hat (vgl. BVerfGE 114, 339 <348, juris Rn. 31>).
(1) Den entscheidenden Bezugspunkt dieses Verletzungsgehalts bildet dabei das in der Überschrift als Subjekt gebrauchte Wort „Transe“, da es – anders als die Wendungen „totalitär tickend“ und „zieht den Schwanz ein“ – in beleidigungsfreien Kontexten für das Publikum nicht vorstellbar ist. Anders als der Verfügungsbeklagte meint, ist dem Durchschnittsrezipienten insbesondere eine Gleichsetzung der Worte „Transe“ und „Trans“ fremd. Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch wird das Wort „Trans“ vielmehr schon gar nicht als Substantiv gebraucht, sondern als indeklinables Adjektiv „trans“ und damit lediglich als Kurzform bzw. als Vorsilbe von Wörtern wie „transsexuell“ oder „transgender“, die dafür stehen, sich nicht mit dem bei Geburt zugewiesenen Geschlecht zu identifizieren bzw. eine binäre Auffassung von Geschlecht abzulehnen (vgl. https://www.duden.de/rechtschreibung/transgender bzw. https://www.duden.de/rechtschreibung/transsexuell, jeweils zuletzt abgerufen am 11.7.2024). Entsprechend ist das Wort „trans“ auch in Substantiven lediglich in seiner Eigenschaft als Adjektiv enthalten, also etwa in Wörtern wie „Trans-Frau“, „Trans-Mann“, „Trans-Person“, „Transsexueller“, „Transsexuelle“ oder „Transgender“. Demgegenüber kommt dem Wort „Transe“ ausschließlich eine abwertende Bedeutung zu (vgl. https://www.duden.de/rechtschreibung/Transe, zuletzt abgerufen am 11.7.2024), deren diskriminierenden Verletzungsgehalt das Landgericht nach dem allgemeinen Sprachgebrauch zu Recht auf eine Stufe mit dem Schimpfwort „Schwuchtel“ gestellt hat.
(2) Durch den Bezugspunkt „Transe“ erhält sodann auch die für sich genommen nicht zwangsläufig beleidigende nachgestellte Wendung „zieht den Schwanz ein“ für den Durchschnittsleser eine notwendig sexuelle Konnotation, die gerade im Zusammenhang mit einer als „Transfrau“ bezeichneten Person in besonderem Maße herabsetzend ausfällt. Denn soweit eine „Transfrau“ aus der Sicht des Durchschnittspublikums ihr bei Geburt zugewiesenes männliches Geschlecht und damit auch ihr männliches Geschlechtsteil ablehnt – während der Umstand, dass die Verfügungsklägerin ihr männliches Geschlechtsteil operativ hat entfernen lassen, ein kontextfremder Umstand ist, den der Durchschnittsleser zwar für möglich erachtet, dem Beitrag aber weder sicher entnehmen kann noch sonst sicher kennt -, gewinnt die Formulierung „zieht den Schwanz ein“ eine besonders verhöhnende Qualität. Denn aufgrund ihres Bezugs zu dem Wort „Transe“ bringt diese Wendung nicht lediglich in einem übertragenen Sinne den Verzicht der Verfügungsklägerin auf Unterlassungsansprüche zum Ausdruck. Soweit das Durchschnittspublikum auch ohne sichere Kenntnis zumindest die Möglichkeit in Betracht zieht, dass die Verfügungsklägerin als „Transfrau“ ihr männliches Geschlechtsteil hat entfernen lassen, zieht sie die Formulierung „zieht den Schwanz ein“ im Sinne eines Sprachspiels vielmehr in menschenverachtender Weise ins Lächerliche, da nichts eingezogen werden kann, was nicht vorhanden ist.
2. Satire und Ironie
Das Gericht stellte klar, dass auch in Fällen, in denen Satire nicht als Kunst im Sinne des Art. 5 Abs. 3 GG anerkannt wird, an die Bewertung der sprachlichen Einkleidung weniger strenge Maßstäbe anzulegen sind als an den Aussagekern. Für Satire oder Ironie gilt, dass diese Stilmittel Verzerrung und Verfremdung enthalten. Jedoch stellte das Gericht fest, dass keine Satire oder Ironie vorliegt, wenn zwischen der Einkleidung und dem Aussagekern kein Sinnunterschied besteht.
Im vorliegenden Fall sah das OLG Frankfurt keinen Unterschied zwischen der abwertenden Bezeichnung und dem Inhalt der Aussage. Die Bezeichnung als „Transe“ und die Aussage „zieht den Schwanz ein“ waren demnach in ihrem Sinngehalt identisch und dienten ausschließlich der Herabwürdigung der betroffenen Person.
3. Unterlassungsgebot und Anspruchsverzicht
Das OLG Frankfurt entschied, dass ein auf eine konkrete Verletzungsform beschränktes Unterlassungsgebot auch greift, wenn die Äußerungen sinngemäß wiederholt werden. Dies bedeutet, dass selbst leicht veränderte, aber sinngemäß gleiche Aussagen unter das Unterlassungsgebot fallen können. Ebenso gilt dies für die Reichweite eines Anspruchsverzichts. Im vorliegenden Fall hatte die Verfügungsklägerin zwar auf Ansprüche gegenüber der Äußerung „totalitär tickende Trans-Furie“ verzichtet, dieser Verzicht erstreckte sich jedoch nicht auf die Äußerung „totalitär tickende Transe“. Die Begriffe „Trans-Furie“ und „Transe“ wurden als nicht identisch betrachtet, da letzterer eine spezifische, abwertende Bedeutung hat.
Fazit
Das Urteil des OLG Frankfurt verdeutlicht die Schwere der Beleidigung durch den Begriff „Transe“ und stärkt den Schutz der Persönlichkeitsrechte betroffener Personen. Es unterstreicht, dass diskriminierende und abwertende Bezeichnungen in der öffentlichen Kommunikation nicht toleriert werden dürfen. Zudem wird klargestellt, dass die Grenzen der Satire und Ironie dort enden, wo keine Differenzierung zwischen der sprachlichen Einkleidung und dem Aussagekern besteht. Schließlich betont das Urteil die Durchsetzbarkeit von Unterlassungsgeboten auch bei sinngemäßen Wiederholungen der beanstandeten Äußerungen.
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