Betriebsrat hat Initiativrecht bei elektronischer Zeiterfassung

Dass dem Betriebsrat bei der Einführung einer elektronischen Zeiterfassung ein Initiativrecht zusteht, hat das Landesarbeitsgericht Hamm, 7 TaBV 79/20, abweichend vom Bundesarbeitsgericht, entschieden:

Die Frage des Bestehens eines Initiativrechtes zur Einführung einer elektronischen Zeiterfassung ist ein streitiges Rechtsverhältnis i.S.d. § 256 Abs. 1 ZPO. Denn von dieser Frage hängt es ab, ob die Beteiligten im Einigungsstellenverfahren (§ 87 Abs. 2 BetrVG, § 76 BetrVG) in der Sache über die Einführung einer elektronischen Zeiterfassung zu verhandeln haben oder nicht. Es handelt sich damit um einen betrieblichen Vorgang, dessen Mitbestimmungspflichtigkeit jedenfalls hinsichtlich der Einführung unter den Betriebsparteien streitig ist. Damit ist der Umfang des Mitbestimmungsrechtes des Betriebsrates aus § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG betroffen; es handelt sich nicht um die Erstellung eines Rechtsgutachtens zu abstrakten Rechtsfragen (zur Abgrenzung BAG v. 15.01.2002, 1 ABR 13/01 Rn. 49 aE, Beschl. v. 17.09.2013, 1 ABR 24/12 Rn. 21 sowie Beschl. v. 19.11.2019, 1 ABR 2/18 aaO Rn. 15).

Der Antrag des Betriebsrates ist begründet, da ihm gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG ein Initiativrecht bei der Einführung einer elektronischen Zeiterfassung zusteht.

1. Ausgangspunkt für die Annahme eines Initiativrechtes ist zunächst der Wortlaut des Gesetzes in § 87 Abs. 1 BetrVG (Eingangssatz) „mitzubestimmen“, ergänzt um die Eingangsformulierung des § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG „Einführung“. Mitbestimmung im Wortsinne beschreibt das Recht auf Mitgestaltung im Sinne gleichwertiger Verhandlungspartner. Diese gesetzliche Systematik wird nicht zuletzt durch den Konfliktregelungsmechanismus über das Einigungsstellenverfahren gemäß § 87 Abs. 2 BetrVG festgeschrieben (Fitting u.a. BetrVG 30. Auflage, § 87 Rn. 1). Die Ausübung der Mitbestimmung als „Vetorecht“, wie es in § 99 Abs. 2 und 3 BetrVG für die personelle Einzelmaßnahme beschrieben ist, kommt nicht in Betracht (BAG v. 29.01.2008, 3 AZR 42/06 Rn. 34). Daher entspricht es der übereinstimmenden Auffassung in Rechtsprechung und Literatur, dass im Sinne eines Mitgestaltungsrechtes grundsätzlich auch dem Betriebsrat die Initiative zukommen kann, in mitbestimmungspflichtigen Angelegenheiten Verhandlungen aufzunehmen und zu verlangen (so schon BAG, Beschl. v. 14.11.1974, 1 ABR 65/73).

Dem folgend hat das Bundesarbeitsgericht zutreffend im Beschluss vom 27.01.2004, 1 ABR 7/03 unter Rn. 28 ausdrücklich festgehalten, dass die Mitbestimmung bei der Einführung einer technischen Kontrolleinrichtung ausdrücklich auch das „ob“ der Anschaffung umfasst, ohne allerdings auf den Beschluss vom 18.11.1989 aaO zurückzugreifen.

2. Die Grundsätze zur Annahme eines Initiativrechtes sind auch auf die Mitbestimmung bei der Einführung einer technischen Kontrolleinrichtung i.S.d. § 87 Abs. 1 Nr. 6BetrVG übertragbar. (…)

Die Beschwerdekammer verkennt nicht, dass das Bundesarbeitsgericht im Beschluss vom 18.11.1989, 1 ABR 97/88, ein Initiativrecht des Betriebsrates bei der Einführung einer technischen Kontrolleinrichtung abgelehnt und zur Begründung unter Rn. 22 ausgeführt hat, dass ein Eingriff in den Persönlichkeitsbereich der Arbeitnehmer durch Verwendung anonymer technischer Kontrolleinrichtungen nur unter Wahrung der Mitbestimmung des Betriebsrates gem. § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG zulässig sei. Damit komme diesem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates eine Abwehrfunktion gegenüber der Einführung technischer Kontrolleinrichtungen zu. Dieser Zweckbestimmung widerspreche es, wenn der Betriebsrat selbst deren Einführung verlangen könne.

Fachanwalt für IT-Recht Jens Ferner