Beweisvereitelung und Mehrfachvertretung

In einem aktuellen Urteil vom 15. März 2024 (20 U 240/23) setzte sich das Oberlandesgericht Köln mit der Frage der Beweisvereitelung und den Pflichten von Rechtsanwälten bei einer Mehrfachvertretung auseinander. Diese Entscheidung ist von besonderer Bedeutung für das Zivilprozessrecht.

Sachverhalt

Im Kern ging es um eine Klage gegen Beitragsanpassungen einer Versicherungsgesellschaft. Das Landgericht Bonn hatte die Klage mit der Begründung abgewiesen, dass eine Beweisvereitelung vorliege. Der Kläger war durch mehrere Rechtsanwälte vertreten, von denen jedoch nicht alle zur Geheimhaltung nach § 174 Abs. 3 GVG verpflichtet waren.

Entscheidung des OLG Köln

  1. Aufhebung der Vorinstanz: Das OLG hob die Entscheidung des Landgerichts Bonn auf und verwies den Fall zurück zur erneuten Verhandlung und Entscheidung.
  2. Keine Beweisvereitelung bei Mehrfachvertretung: Das Gericht stellte fest, dass es ausreicht, wenn mindestens einer der Hauptbevollmächtigten zur Geheimhaltung verpflichtet ist. Dies widerspricht der Auffassung des Landgerichts, dass alle bevollmächtigten Rechtsanwälte zur Geheimhaltung verpflichtet sein müssten.
  3. Bedeutung der Vertretungsmacht: Nach § 84 ZPO ist jeder Rechtsanwalt einzelvertretungsbefugt. Dies bedeutet, dass Zustellungen und Prozesshandlungen gegenüber einem der Bevollmächtigten ausreichend sind.
  4. Verhältnis zwischen § 174 Abs. 3 GVG und § 299 ZPO: Das Gericht stellte klar, dass die Geheimhaltung gegenüber nicht verpflichteten Bevollmächtigten gewährleistet werden kann, ohne das Recht auf Akteneinsicht zu verletzen.

Konsequenzen für die Praxis

Diese Entscheidung unterstreicht die Bedeutung einer sorgfältigen Abwägung bei der Annahme einer Beweisvereitelung, besonders in Fällen von Mehrfachvertretungen. Sie verdeutlicht auch das Verhältnis der einzelnen Vollmachten im Zivilprozess und betont die Notwendigkeit einer differenzierten Betrachtung des Geheimhaltungsbedürfnisses im Verhältnis zur Akteneinsicht:

Eine Beweisvereitelung liegt vor, wenn eine Partei dem beweisbelasteten Gegner die Beweisführung schuldhaft unmöglich macht oder erschwert, indem sie vorhandene Beweismittel vernichtet bzw. vorenthält oder deren Benutzung erschwert oder verhindert (vgl. etwa BGH, Urteil vom 11. Juni 2015 – I ZR 226/13, juris Rn. 44; Urteil vom 25. Juni 1997 – VIII ZR 300/96, juris Rn. 18).

Eine Verhinderung der Beweisführung in diesem Sinne kann dadurch eintreten, dass die beweiserheblichen Unterlagen, an denen der Versicherer berechtigterweise ein Geheimhaltungsinteresse geltend gemacht hat, weder zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung noch zu einer anschließenden Begutachtung gemacht werden können, weil die Klägerseite sich schuldhaft nicht der notwendigen Geheimhaltungsverpflichtung unterwirft. Der Senat verweist wegen der grundsätzlichen Anforderungen an die Annahme der Beweisvereitelung in solchen Fallkonstellationen vollumfänglich auf sein Urteil vom 1. September 2023 zum Aktenzeichen 20 U 50/23 (abzurufen über juris, dort Rn. 48 ff.).

Schlussfolgerungen

  • Kläger und Anwälte sollten sich der Auswirkungen ihrer Vertretungsentscheidungen im Prozess bewusst sein.
  • Gerichte müssen bei der Beurteilung von Geheimhaltungsfragen und Beweisvereitelung sorgfältig die Rechtslage und die Umstände des Einzelfalls prüfen.
  • Diese Entscheidung betont die Notwendigkeit, sowohl die Verfahrensrechte der Parteien als auch die Interessen der Gegenseite angemessen zu berücksichtigen.
Fachanwalt für IT-Recht Jens Ferner