BGH zu Sachverständigengutachten bei Arbeitsfähigkeit

Ein Feuerwehrbeamter wurde nach einem Verkehrsunfall im Jahr 2009 dienstunfähig und ging 2012 in Ruhestand. Seine Dienstherrin, die Klägerin, fordert von den Beklagten Schadensersatz für die gezahlten Gehälter und Versorgungsbezüge des Beamten.

Das Oberlandesgericht Köln gab der Klage noch teilweise statt, wobei es für den Zeitraum ab September 2012 die Ansprüche der Klägerin aufgrund vermuteter Schadensminderungspflicht-Verletzung des Geschädigten abwies. Nun hatte sich der BGH (Entscheidung vom 12. März 2024, Aktenzeichen VI ZR 283/21) damit zu beschäftigen.

Rechtliche Analyse

Der BGH hob das Urteil des OLG Köln auf und verwies den Fall zurück. Entscheidend war, dass das Berufungsgericht einen Verstoß gegen das rechtliche Gehör beging, indem es ohne sachverständige Begutachtung über die Arbeitsfähigkeit des Geschädigten urteilte.

Das OLG hatte aus den Tätigkeiten des Geschädigten nach dem Unfall geschlossen, dass er zumindest teilweise arbeitsfähig war, und damit eine eigene Beurteilung der medizinischen Lage vorgenommen, ohne sich auf ein Gutachten zu stützen oder seine eigene medizinische Sachkunde zu begründen. Dies ist rechtlich bedenklich, da die Beurteilung der Arbeitsfähigkeit fachärztliche Expertise erfordert. Zudem muss das Gericht die Parteien über seine Absicht informieren, eigene Sachkunde in Anspruch zu nehmen:

Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen. Dabei soll das Gebot des rechtlichen Gehörs als Prozessgrundrecht sicherstellen, dass die Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, welche ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien haben (…)

Der Tatrichter darf, wenn es um die Beurteilung einer Fachwissen voraussetzenden Frage geht, auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens nur verzichten, wenn er entsprechende eigene besondere Sachkunde auszuweisen
vermag. Zudem muss der Tatrichter, wenn er bei seiner Entscheidung eigene Sachkunde in Anspruch nehmen will, den Parteien zuvor einen entsprechenden Hinweis erteilen (…)

BGH, VI ZR 283/21

Fazit

Dieser Beschluss unterstreicht die Notwendigkeit, bei komplexen medizinischen Fragen auf sachverständige Bewertungen zurückzugreifen, besonders wenn diese für das Urteil entscheidend sind. Für Betroffene bedeutet dies, dass bei der Bewertung ihrer Arbeitsfähigkeit nach einem Unfall eine fachkundige medizinische Beurteilung unerlässlich ist. Das Urteil betont auch die Bedeutung des rechtlichen Gehörs und der sachgerechten Beweisaufnahme im Gerichtsverfahren.

Fachanwalt für IT-Recht Jens Ferner