Bindungswirkung aus Vorprozess

Die rechtskräftige Verurteilung zur Zahlung des Restkaufpreises in einem Vorprozess stellt den Bestand des Kaufvertrages nicht mit Bindungswirkung für einen Folgeprozess fest; es handelt sich insoweit nur um die Feststellung einer Vorfrage, die nicht in Rechtskraft erwächst, wie der BGH (V ZR 212/21) betont:

Im Ausgangspunkt besteht eine der Wirkungen der Rechtskraft gemäß § 322 Abs. 1 ZPO in der Bindung des Gerichts an die Vorentscheidung, wenn die im ersten Prozess rechtskräftig entschiedene Rechtsfolge im nachfolgenden Rechtsstreit eine Vorfrage darstellt (vgl. Senat, Urteil vom 17. März 1995 – V ZR 178/93, NJW 1995, 1757; BGH, Urteil vom 6. Dezember 2022 – II ZR 187/21, WM 2023, 248 Rn. 19). Dagegen erwächst die Feststellung der Vorfragen aus dem Vorprozess nicht in Rechtskraft (vgl. Senat, Urteil vom 13. November 1998 – V ZR 29/98, NJW-RR 1999, 376, 377).

(1) Urteile sind nach § 322 Abs. 1 ZPO der Rechtskraft nur insoweit fähig, als über den durch die Klage oder durch die Widerklage erhobenen Anspruch entschieden ist. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs erwächst in Rechtskraft die in dem Urteil ausgesprochene Rechtsfolge, d.h. nur der vom Gericht aus dem vorgetragenen Sachverhalt gezogene Schluss auf das Bestehen oder Nichtbestehen der beanspruchten Rechtsfolge, nicht aber die Feststellung der zugrundeliegenden präjudiziellen Rechtsverhältnisse oder sonstigen Vorfragen, aus denen der Richter seinen Schluss gezogen hat (vgl. Senat, Urteil vom 13. November 1998 – V ZR 29/98, NJW-RR 1999, 376, 377; BGH, Urteil vom 21. November 2012 – VIII ZR 50/12, WuM 2013, 165 Rn. 17; Urteil vom 10. April 2019 – VIII ZR 12/18, NJW 2019, 2308 Rn. 30, jeweils mwN).

(2) Dementsprechend stellt ein Urteil auf Leistung von Miet- oder Darlehenszinsen nicht das Bestehen des vertraglichen Grundverhältnisses rechtskräftig fest (Senat, Urteil vom 13. November 1998 – V ZR 29/98, NJW-RR 1999, 376, 377). Das eine Räumungsklage abweisende Urteil enthält keine Feststellung über das Bestehen oder die Nichtbeendigung des Miet- oder Pachtverhältnisses (vgl. BGH, Urteil vom 8. Februar 1965 – VIII ZR 121/63, BGHZ 43, 144, 145). Ebenfalls nicht in Rechtskraft nach § 322 Abs. 1 ZPO erwachsen die Feststellungen über die der Entscheidung zugrunde liegenden präjudiziellen Rechtsverhältnisse, wie etwa die Nichtigkeit eines Vertrags. Zu deren abschließender Klärung steht den Parteien die nicht an ein besonderes Feststellungsinteresse anknüpfende Zwischenfeststellungsklage (§ 256 Abs. 2 ZPO) und im Übrigen die Feststellungsklage (§ 256 Abs. 1 ZPO) offen (Senat, Beschluss vom 22. September 2016 – V ZR 4/16, NJW 2017, 893 Rn. 14).

BGH, V ZR 212/21
Fachanwalt für IT-Recht Jens Ferner