Das Bundesverfassungsgericht (1 BvR 1962/23) hat sich im Rahmen einer – unzulässigen – Verfassungsbeschwerde am Rande über (im weitesten Sinne) Litigation-PR über eine Anwaltswebseite äussern können. Es zeigt sich, dass auch dieser Weg aus Sicht des BVerfG noch zum geschützten Bereich des Kampfs ums Recht gehört und von den Gerichten beim Streit um Äußerungen entsprechend zu berücksichtigen ist.
Worum ging es?
Einer Rechtsanwältin war im Wege der einstweiligen Verfügung aufgegeben worden, es zu unterlassen, auf ihrer Internetseite über den Inhalt einer nichtöffentlichen Sitzung eines Familiengerichts, für die sie als Verfahrensbeistand beigeordnet war, zu berichten und einen dort auftretenden Rechtsanwalt – den Verfügungskläger des Ausgangsverfahrens (im Folgenden: Verfügungskläger) – als „fetten Anwalt“ und „Rumpelstilzchen“ zu bezeichnen.
Gegenstand der Verfassungsbeschwerde war darüber hinaus eine weitere Verurteilung der Beschwerdeführerin, es zu unterlassen, Schriftstücke aus dem familiengerichtlichen Verfahren zu verbreiten sowie Dritte im Internet dazu anzustiften, den Verfügungskläger – unter anderem durch Abgabe negativer Bewertungen im Internet ohne bestehendes Mandatsverhältnis – zu schädigen.
Grundlegendes vom BVerfG
Ein immer wiederkehrendes Problem im Äußerungsrecht ist, dass die Instanzgerichte genau das nicht tun, was man im Studium als erstes lernt: Wenn Richter in Zivil- oder Strafprozessen zu der Überzeugung gelangen, dass eine geäußerte Meinung nichts wert ist, wird sie unterdrückt. Das funktioniert beim BVerfG nicht!
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist Voraussetzung jeder rechtlichen Bewertung von Meinungsäußerungen, dass ihr Sinn zutreffend erfasst worden ist. Maßgeblich ist der Sinn, den die Äußerung nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums hat. Dabei ist stets vom Wortlaut der Äußerung auszugehen. Dieser legt den Sinngehalt jedoch nicht abschließend fest. Er wird vielmehr auch durch den sprachlichen Zusammenhang, in dem die beanstandete Äußerung steht, und die Begleitumstände, unter denen sie gefallen ist, bestimmt, soweit diese für die Adressaten erkennbar waren.
Urteile, die den Sinn der beanstandeten Äußerung erkennbar verkennen und darauf ihre rechtliche Würdigung stützen, verletzen das Grundrecht der Meinungsfreiheit. Diese Anforderungen verfehlen die Ausgangsgerichte aus Sicht des BVerfG bereits insoweit, als es den angegriffenen Entscheidungen sowohl an einer Auseinandersetzung mit dem Kontext der auf der Internetseite veröffentlichten Äußerungen als auch an jeglichen kontextbezogenen Feststellungen fehlt.
Litigation-PR über Webseite geschützt … (?)
Das BVerfG beanstandet weiter, dass die Entscheidungen schon deshalb nicht mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in Einklang stehen, weil das Amtsgericht seine Annahme einer Beleidigung nach § 185 StGB allein darauf stützt, die Bezeichnungen „fetter Anwalt“ und „Rumpelstilzchen“ seien „ein Werturteil, das ehrverletzenden Charakter hat“, und das Landgericht ausführt, das Verhalten der Beschwerdeführerin verletze den Verfügungskläger „wie erstinstanzlich zutreffend ausgeführt“ in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht.
Damit fehlt jede (vorzunehmende!) Abwägung der widerstreitenden Grundrechtsinteressen, die nur ausnahmsweise entbehrlich ist, wenn sich eine Äußerung als Schmähung oder Schmähkritik im verfassungsrechtlichen Sinne, als Angriff auf die Menschenwürde oder als Formalbeleidigung darstellt. Ein solcher Fall wurde aber gerade nicht angenommen!
Abschließend erinnert das BVerfG an die – ebenfalls gerne verkannte – Situation im Streit um das Recht. Wenn man sich nun den Ausgangsfall vor Augen führt, dass es gerade nicht um einen Schriftsatz oder eine Äußerung in einem laufenden Verfahren geht, wird deutlich, dass dieser besondere Schutz des „Streit ums Recht“ auch für Äußerungen auf der Website gesehen wird:
Aus dem Blick verloren haben die Ausgangsgerichte zudem, dass die untersagten Äußerungen im Kontext eines gerichtlichen Verfahrens gefallen sind, in dem die Beschwerdeführerin als Verfahrensbeistand bestellt worden war.
Den Ausgangsgerichten war es daher verwehrt, eine Ehrverletzung des Verfügungsklägers anzunehmen, ohne zuvor auch nur in Erwägung zu ziehen, dass es unter dem Gesichtspunkt des sogenannten „Kampfs um das Recht“ im Kontext rechtlicher Auseinandersetzungen grundsätzlich erlaubt ist, auch besonders starke und eindringliche Ausdrücke zu benutzen, um Rechtspositionen und Anliegen zu unterstreichen (…)
BVerfG, 1 BvR 1962/23
Was bedeutet das nun? Die Entscheidung sollte nicht überbewertet werden, auch wenn es dem BVerfG offenkundig sehr wichtig war, trotz unzulässigkeit einige ausführliche Zeilen mit auf den Weg zu geben – sicherlich mit Blick auf ein eventuelles Hauptsacheverfahren.
Keineswegs bedeutet die Entscheidung, dass man nun Wahllos über Anwälte auf Webseiten herziehen darf. Und keineswegs bedeutet die Entscheidung zudem, dass auch im vorliegenden Fall die Äusserungen überhaupt zulässig waren – es geht vielmehr darum, dass die Gerichte bisher schlecht begründet haben. Immer noch ist das bisherige Ergebnis der unzulässigkeit der Äusserungen vertretbar, aber eben mit ausreichender Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des BVerfG.
Gleichwohl hat das BVerfG klar gestellt: Der Streit ums Recht wird auch mit zeitlicher Zäsur und Medienbrüchen geführt. Gerichte müssen das berücksichtigen.
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