EuGH-Urteil zur Erleichterung der Vorratsdatenspeicherung von IP-Adressen

Am 30. April 2024 fällte der Europäische Gerichtshof (EuGH) eine richtungsweisende Entscheidung in der Rechtssache C-470/21, die die Vorratsdatenspeicherung von IP-Adressen betrifft.

Dieses Urteil hat weitreichende Konsequenzen für die Auslegung des Unionsrechts in Bezug auf die Speicherung von personenbezogenen Daten und die damit verbundenen Grundrechte. In diesem Beitrag gehe ich kurz auf die Entscheidung des EuGH ein und hinterfrage die juristischen Implikationen sowohl auf europäischer Ebene als auch für den deutschen Gesetzgeber.

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Darlegungs- und Beweislast bei Überwachungsmaßnahmen nach dem G10-Gesetz und dem Bundesverfassungsschutzgesetz

Das Oberlandesgericht (OLG) Hamm hat in seinem Urteil (Az. 11 U 133/22) eine bedeutende Entscheidung zur Darlegungs- und Beweislast bei Überwachungsmaßnahmen nach dem G10-Gesetz und dem Bundesverfassungsschutzgesetz (BVerfSchG) getroffen. Im Kern geht es um die Frage, wer die Rechtmäßigkeit einer solchen Maßnahme darlegen muss und welche Konsequenzen ein Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Betroffenen haben kann. Diese Entscheidung ist wegweisend für den Umgang mit geheimdienstlichen Überwachungsmaßnahmen und deren rechtliche Bewertung im deutschen Rechtssystem.

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NIS2-Umsetzung: Zugriffe auf Daten bei Providern

Im NIS2-Umsetzungsgesetz sind Regelungen vorgesehen, die gewährleisten sollen, dass das BSI in Fällen erheblicher Gefahren für die IT- und Kommunikationssicherheit auf die erforderlichen Daten zugreifen kann, um die Integrität, Verfügbarkeit und Vertraulichkeit der Kommunikationsdienste zu schützen.

Die Zugriffsrechte sind dabei durch strenge Bedingungen und Abstimmungsverfahren geregelt, um den Datenschutz und die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen sicherzustellen. Im Folgenden ein kurzer Überblick zur Orientierung.

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Auswirkungen der Anwesenheit Dritter bei psychiatrischen Begutachtungen

Die Auswirkungen der Anwesenheit Dritter bei psychiatrischen Begutachtungen: Eine aktuelle Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm (24 U 168/16) beleuchtet eine wichtige Problematik im Rahmen gerichtlicher Beweisaufnahmen: die Auswirkungen der Anwesenheit Dritter bei psychiatrischen Begutachtungen.

Diese Entscheidung hat weitreichende Implikationen für die Praxis der Beweisführung in Gerichtsverfahren und wirft Fragen hinsichtlich der Validität und Verwertbarkeit von Expertengutachten auf. Dabei dürften sich Implikationen über das vorliegende Zivilverfahren hinaus auch für Strafverfahren ergeben.

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Was muss bei Videoverhandlung zu sehen sein?

Der Bundesfinanzhof (IX B 104/22) hat klargestellt, dass bei einer Videovernehmung nach § 91a der Finanzgerichtsordnung jeder Beteiligte die Richterbank und die anderen Beteiligten gleichzeitig optisch und akustisch wahrnehmen können muss.

Daran fehlt es jedenfalls dann, wenn ein Beteiligter im Sitzungssaal den zugeschalteten Beteiligten nur sehen kann, wenn er sich selbst um 180 Grad dreht:

Nach § 91a Abs. 1 Satz 1 FGO kann das Gericht den Beteiligten, ihren Bevollmächtigten und Beiständen auf Antrag oder von Amts wegen gestatten, sich während einer mündlichen Verhandlung an einem anderen Ort aufzuhalten und dort Verfahrenshandlungen vorzunehmen. Die Verhandlung wird dann gemäß § 91a Abs. 1 Satz 2 FGO zeitgleich in Bild und Ton an diesen Ort und in das Sitzungszimmer übertragen. Die „Videoübertragungstechnik“ soll auf der Grundlage dieser Vorschrift „ohne Verlust an rechtsstaatlicher Qualität“ genutzt werden (BTDrucks 17/1224, S. 10). Das Geschehen muss vollständig übermittelt werden. Der Bildausschnitt darf sich deshalb nicht auf einzelne Beteiligte ‑‑etwa den Vorsitzenden‑‑ beschränken (Wieczorek/Schütze/Gerken, 5. Aufl., § 128a ZPO Rz 11). Jeder Beteiligte muss zeitgleich die anderen Beteiligten visuell und akustisch wahrnehmen können (MüKoZPO/Fritsche, § 128a Rz 6; Müller-Teckhof, in: Kern/Diehm (Hrsg.), ZPO, 2. Aufl. 2020, § 128a Rz 4). Verbale und nonverbale Äußerungen müssen wie bei persönlicher Präsenz wahrnehmbar sein (…)

Es war dem Geschäftsführer der Klägerin in der mündlichen Verhandlung … nicht möglich, gleichzeitig die Richterbank und das FA zu sehen. Er musste sich vielmehr umdrehen, um die Vertreter des FA auf dem Bildschirm hinter ihm sehen zu können. Unter diesen Umständen ist nicht generell ausgeschlossen, dass ihm Einzelheiten, zum Beispiel in Mimik und Gestik der Vertreter des FA oder der Richter, entgangen sein können. Anders als in der mündlichen Verhandlung unter Anwesenheit aller Beteiligter konnte eine mögliche nonverbale Kommunikation zwischen einem Beteiligten und der Richterbank nicht wahrgenommen werden. Dem steht nicht entgegen, dass im Regelfall die Beteiligten einer Gerichtsverhandlung nebeneinander vor der Richterbank sitzen. Denn in diesem Fall kann eine nonverbale Kommunikation zumindest regelmäßig „aus dem Augenwinkel“ wahrgenommen werden. Zudem ist zu berücksichtigen, dass durch das wiederholte Hin- und Herschauen möglicherweise die Gefahr bestand, dass der Geschäftsführer der Klägerin abgelenkt wurde und deshalb seine Konzentration auf den Prozessstoff beeinträchtigt war.

Die hier geäußerten grundsätzlichen Erwägungen werden sich auch auf die anderen Prozessordnungen übertragen lassen, soweit dort Videoverhandlungen überhaupt vorgesehen sind.

Zustellung: Datum der Zustellung auf Umschlag nicht vermerkt

Bei der Verpflichtung des Zustellers nach § 180 Satz 3 ZPO, das Datum der Zustellung auf dem Umschlag des zuzustellenden Schriftstücks zu vermerken, handelt es sich um eine zwingende Zustellungsvorschrift im Sinne des § 189 ZPO mit der Folge, dass bei einem Verstoß gegen diese Vorschrift das Schriftstück erst mit dem tatsächlichen Zugang als zugestellt gilt.

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Beiziehung von Ermittlungs-/Strafakten im Zivilprozess

Es ist ein Klassiker, dass in einem Zivilprozess die Beiziehung von Strafakten beantragt wird – nun konnte sich der Bundesgerichtshof (III ZR 104/21) zu dieser prozessualen Situation recht umfangreich äußern und festhalten, dass einer Partei grundsätzlich die Möglichkeit zur Verfügung steht, in einem anhängigen Zivilprozess (Teile von) Ermittlungs- beziehungsweise Strafakten beiziehen zu lassen. Hierzu verweist der BGH auf § 432 Abs. 1 ZPO in Verbindung mit § 474 Abs. 1, § 479 Abs. 4 Sätze 2 und 3 StPO. Dabei stellt er zugleich klar, dass bereits mit § 474 Abs. 1 StPO (Zivil-)Gerichten grundsätzlich Akteneinsicht zu gewähren ist.

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Predictive Policing: Automatisierte Datenanalyse und Informationelle Selbstbestimmung

Die Zukunft der Kriminalitätsbekämpfung liegt wahrscheinlich in einem Wandel von der reinen Reaktion hin zur Prävention. Technisch möglich wird dieser Wandel durch die Kombination zweier technologischer Entwicklungen: Auf der einen Seite eine eklatante Anhäufung von Daten („Big Data“) und auf der anderen Seite die zunehmende Möglichkeit, durch bestimmte Formen künstlicher Intelligenz diese Daten nicht nur auszuwerten, sondern daraus auch brauchbare statistische Vorhersagen zu gewinnen. Dies ermöglicht zumindest theoretisch die Vorhersage des Auftretens von Straftaten, das sogenannte Predictive Policing.

Das Bundesverfassungsgericht hatte nun erstmals Gelegenheit, sich zu diesem Thema zu äußern. Die Entscheidung dürfte für Jahrzehnte richtungsweisend sein. Sie beginnt wenig überraschend mit der Klarstellung, dass, wenn gespeicherte Datenbestände mittels einer automatisierten Anwendung zur Analyse oder Auswertung von Daten verarbeitet werden, dies einen Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) all derjenigen darstellt, deren Daten bei diesem Vorgang personenbezogen verwendet werden (1 BvR 1547/19 und 1 BvR 2634/20). Betroffen sind also nicht nur die Personen, die am Ende der Auswertung möglicherweise Gegenstand von (weiteren) Ermittlungsmaßnahmen sind.

Ebenso hat das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich klargestellt, dass dann, wenn die entsprechende automatisierte Datenanalyse oder -auswertung einen schwerwiegenden Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht ermöglicht, dieser nur unter den engen Voraussetzungen gerechtfertigt werden kann, wie sie allgemein für eingriffsintensive heimliche Überwachungsmaßnahmen gelten. Das heißt: nur zum Schutz besonders gewichtiger Rechtsgüter, sofern für diese eine zumindest hinreichend konkrete Gefahr besteht.

Auf das Erfordernis einer zumindest hinreichend konkretisierten Gefahr für besonders wichtige Rechtsgüter kann aus verfassungsrechtlicher Sicht nur dann verzichtet werden, wenn die zulässigen Analyse- und Auswertungsmöglichkeiten durch Regelungen insbesondere zur Begrenzung von Art und Umfang der Daten und zur Beschränkung der Datenverarbeitungsmethoden normenklar und hinreichend bestimmt so eng begrenzt werden, dass das Eingriffsgewicht der Maßnahmen erheblich reduziert wird. Dabei hat das BVerfG sogar einen Kriterienkatalog für die jeweilige Abwägung gleich mitgeliefert, der äußerst umfangreich ist, zugleich aber eine formelhafte Betrachtung im Keim unterbindet.

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Anspruch auf außerhalb der Akte liegende, urteilsrelevante Informationen

Der Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz (VGH B 57/21) konnte sich zur Frage äußern, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Anspruch auf Zugang zu Informationen besteht, die nicht Teil der Akte geworden sind. Theoretisch würde das Akteneinsichtsgesuch leer laufen, wenn die Behörden durch die Hinzunahme zur Akte frei entscheiden könnten, was man erhält und was nicht.

Hintergrund dieser Entscheidung war eine Ordnungswidrigkeit, hier gilt: Gelangt im Ordnungswidrigkeitenverfahren ein standardisiertes Messverfahren zur Anwendung, folgt aus dem Recht auf ein faires Verfahren im Grundsatz mit der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung der Anspruch des Betroffenen, Kenntnis auch von solchen Inhalten zu erlangen, die zum Zweck der Ermittlung entstanden und weiterhin vorhanden sind, aber nicht zur Bußgeldakte genommen wurden.

Hinweis: Auch wenn es im Kern ständig um OWIs geht, lassen sich hier gerade für Strafverfahren weitere Rückschlüsse ziehen – dabei zeigt sich ein Wandel des Verständnisses davon ab, was das Akteneinsichtsrecht angeht. Während dies früher sehr eng verstanden wurde, ist auf Ebene der Verfassungsgerichte eine zunehmende Ausweitung zu verstehen. Die Frage, des „ob“ und „was“ zum Umfang der Ermittlungsakte ist mit dem Wunsch der Verfassungsgerichte ausdrücklich überprüfbar. Die Praxis aus vielen Wirtschaftsstrafverfahren, schriftliche Dokumente als „Asservate“ zu führen, sollte mit Blick auf die Aktenordnungen (siehe nur §4 I S.1 AO NRW) immer hinterfragt werden.

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Künstliche Intelligenz in der Polizeiarbeit verlangt ein Umdenken

Der Einsatz künstlicher Intelligenz im Bereich der Arbeit von Ermittlern findet längst statt, mal unmittelbar als Modellprojekt, mal mittelbar, wenn Unternehmen von sich aus „intelligent“ nach Inhalten suchen. Die Frage ist, welche Auswirkungen dies auf den prozessualen Umgang haben soll, mit den Ergebnissen, die solche Techniken zutage fördern.

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