Das Oberlandesgericht Köln hat in einem Beschluss vom 11. Januar 2024 (Aktenzeichen: 1 ORs 163/23) ein bemerkenswertes Urteil des Amtsgerichts Bonn aufgehoben und die Sache zu erneuter Verhandlung zurückverwiesen. Die Entscheidung wirft interessante Fragen zum Verhältnis von Meinungsfreiheit und Ehrenschutz auf.
Die Entscheidung verdeutlicht – wieder einmal – wie elementar die Defizite von Amtsgerichten im Bereich der Meinungsäußerungsfreiheit sind. Es ist ein ständiges Problem, dass gerade Amtsgerichte sich vollkommen verschätzen, wo die Meinungsäußerungsfreiheit endet. Insbesondere verwechselt man im Alltagsgeschäft allzu gerne eine geschmacklose Meinung mit einer rechtlich nicht gebilligten Meinung. Dabei lernen Juristen spätestens im zweiten Semester, dass die eigene Wertung, ob Inhalte wertvoll sind oder nicht, nichts mit der grundrechtlichen Prüfung zu tun haben. Dazu auch die früher von mir erstrittene Entscheidung beim OLG Köln beachten.
Sachverhalt
Der Angeklagte war ursprünglich vom Amtsgericht Bonn wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Auslöser war ein Schreiben, das er an das Amtsgericht Bonn richtete. Darin äußerte er sich abfällig über eine Richterin, indem er sie als „hochgradig geisteskrank“ und „debil“ bezeichnete und der „Rechtsbeugung“ bezichtigte. Er begründete dies mit der Annahme, dass die Richterin nicht unparteiisch entscheiden würde.
Rechtliche Analyse
Das OLG Köln sah in den Äußerungen des Angeklagten eine Meinungsäußerung und keine Tatsachenbehauptung. Interessant ist hier die Feststellung, dass solche Äußerungen zunächst eine Ermittlung des Sinns der Äußerung erfordern. Im vorliegenden Fall war zu klären, ob die Meinungsfreiheit oder der Ehrenschutz der betroffenen Richterin schwerer wiegt. Das Gericht stellte fest, dass eine Abwägung zwischen diesen beiden Rechtsgütern im ursprünglichen Urteil fehlte:
Darauf aufbauend erfordert das Grundrecht der Meinungsfreiheit als Voraussetzung einer strafgerichtlichen Verurteilung nach § 185 StGB im Normalfall eine abwägende Gewichtung der Beeinträchtigungen, die der persönlichen Ehre auf der einen und der Meinungsfreiheit auf der anderen Seite drohen (ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts s. zusammenfassend etwa NJW 2020, 2622 mit zahlr. Nachweisen zur Rechtsprechung des Gerichts).20
An einer solchen Abwägung fehlt es. Sie war auch nicht deswegen entbehrlich, weil sich die herabsetzenden Äußerungen des Angeklagten als solche darstellen, die die Menschenwürde der Geschädigte antasten oder als Formalbeleidigung oder Schmähung anzusehen sind. Eine solche Sachgestaltung, in welcher die Meinungsfreiheit hinter den Ehrenschutz zurückzutreten hat, ohne dass es einer Einzelfallabwägung bedarf (vgl. BVerfG Beschluss v. 19.4.1990 – 1 BvR 40/86, 42/86, NJW 1990, 1980; BVerfG Beschluss v. 9.10.1991 – 1 BvR 1555/88, NJW 1992, 1439; BVerfG Beschluss v. 13.04.1994 – 1 BvR 23/94, NJW 1994, 1779; Beschluss v. 10.10.1995 – 1 BvR 1476/91, 1 BvR 1980/91, 1 BvR 102/92 u. 1 BvR 221/92, NJW 1995, 3303; BVerfG Beschluss v. 10. 11. 1998 – 1 BvR 1531/96, NJW 1999, 1322; BVerfG Beschluss v. 19.5.2020 – 1 BvR 2397/19, NJW 2020, 2622 ) liegt hier nicht vor (…)
Im vorliegenden Fall verbietet sich jedoch ein losgelöste, isolierte Betrachtung der inkriminierten Äußerungen („hochgradig geisteskrank“, „debil“, „Rechtsbeugerin“), weil dies den Charakter der Äußerung verfälschen würde. Diese stellen sich lediglich als Teil einer Argumentationskette dar und dienen der Begründung eines prozessualen Werturteils, nämlich der vom Standpunkt des Angeklagten aus zu beurteilenden Besorgnis, die Richterin stehe ihm nicht unvoreingenommen gegenüber. Jedenfalls dann, wenn – wie hier -, der Vorwurf der Rechtsbeugung in Zusammenhang mit einer bestimmten, den sich Äußernden betreffenden Entscheidung steht, in sachliche Einwände gegen diese eingebettet ist und damit als – wenn auch scharfe – Zusammenfassung der Kritik an der Entscheidung dient, kommt dem Begriff der Rechtsbeugung nicht die Qualität einer selbstständigen, allein in der Wortwahl liegenden Ehrverletzung zu, welche die Annahme einer Formalbeleidigung rechtfertigt (BVerfG Beschluss v. 20,5.1999 – 1 BvR 1294/96, BeckRs 1999, 30060310).
Die Äußerungen des Angeklagten wurden nicht als Schmähkritik oder Formalbeleidigung klassifiziert. Das OLG betonte, dass derartige Äußerungen nur dann vorliegen, wenn sie außerhalb jedes sachlichen Kontextes stehen. Im konkreten Fall waren die Äußerungen des Angeklagten jedoch im Zusammenhang mit einem Zwangsvollstreckungsverfahren zu sehen, in dem er beteiligt war. Daraus ergab sich ein gewisser Sachbezug.
Weiterhin hat das OLG Köln moniert, dass das Amtsgericht wichtige Aspekte des Falles nicht ausreichend berücksichtigt hatte, insbesondere die genaue prozessuale Stellung des Angeklagten und den Hintergrund der inkriminierten Äußerungen.
Fazit
Diese Entscheidung des Oberlandesgerichts Köln hebt die Wichtigkeit der sorgfältigen Abwägung zwischen dem Schutz der persönlichen Ehre und der Meinungsfreiheit hervor. Sie unterstreicht, dass auch scharfe Kritik und abfällige Äußerungen im richtigen Kontext als Teil der Meinungsfreiheit angesehen werden können. Dieser Fall verdeutlicht die Notwendigkeit, die Umstände und den Kontext solcher Äußerungen genau zu prüfen, bevor eine strafrechtliche Verurteilung erfolgt.
- Russische Militärische Cyber-Akteure nehmen US- und globale kritische Infrastrukturen ins Visier - 11. September 2024
- Ransomware Risk Report 2024 von Semperis - 11. September 2024
- Künstliche Intelligenz in Deutschland – Status, Herausforderungen und internationale Perspektiven - 10. September 2024