In einem aufsehenerregenden Strafverfahren wegen sexueller Nötigung einer Polizistin, wurde der Inspekteur der Polizei Baden-Württemberg freigesprochen – und zieht weitere juristische Kreise. Im Zentrum einer aktuellen Entscheidung des OLG Stuttgart (I-4 U 129/23) steht eine Presseerklärung der Verteidigung, genauer der Strafverteidigerin des Angeklagten, die wohl vor Beginn der Hauptverhandlung („Die Beklagte hat vor Beginn der Hauptverhandlung am 21. April 2023 eine Presseerklärung an Medienvertreter verteilen lassen“) an Medienvertreter verteilt wurde. Diese Erklärung enthält mehrere brisante Aussagen über das Tatopfer, darunter Behauptungen über dessen Aussageverhalten, Intimleben und Motive – und gibt nun Anlass, dass das Gericht sich zur Litigation-PR im Strafverfahren äußert.
Rechtliche Analyse
Verletzung des Persönlichkeitsrechts
Das OLG Stuttgart entschied, dass die Verteidigerin durch ihre Äußerungen in der Presseerklärung das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Opfers verletzte. Kritisch war hierbei ganz besonders, dass die Äußerungen nicht erweislich wahr sein sollen. Dazu führt das Gericht aus:
Die Aussage, die Klägerin habe „nachweislich mehrfach zu dem Verlauf des Abends mit A… R. gegenüber der Polizei die Unwahrheit gesagt“, ist eine unwahre (und für eine Polizistin als Berufszeugin ehrenrührige, da mit negativen Auswirkungen für das soziale Ansehen verbundene) Tatsachenbehauptung, die die Klägerin nicht hinnehmen muss.
Es lässt sich durch eine Auswertung der Strafverfahrensakten und die Abgleichung der dort vorgelegten Beweismittel, etwa die Auswertung der Sprachnachrichten und Videoaufnahmen klären, ob die Angaben der Klägerin zum Verlauf des Abends der Wahrheit entsprechen, weshalb von einer Tatsachenbehauptung auszugehen ist.
Das Landgericht hat zutreffend angenommen, dass angesichts des Inhalts und der Art und Weise der Darstellung nicht von einer Verdachtsäußerung ausgegangen werden kann.
Solche Äußerungen, insbesondere wenn sie die Intim- oder Privatsphäre betreffen, dürfen grundsätzlich nicht ohne ein berechtigtes öffentliches Interesse oder Nachweis ihrer Wahrheit öffentlich gemacht werden. Gerade bei der öffentlichen Verteidigung wird man nicht selten mit Verdächtigungen arbeiten. Insoweit gilt, dass derjenige, der einen Verdacht äußert, nicht (irrtümlich) von der Wahrheit oder Richtigkeit seiner Äußerung ausgeht, sondern von vornherein zu erkennen gibt, dass er lediglich einen Verdacht hegt.
Erforderlich ist, dass tatsächlich eine Verdachtsäußerung vorliegt. Gegenstand einer Verdachtsäußerung kann nur ein tatsächlicher Vorgang sein. In Abgrenzung zur Tatsachenbehauptung ist es einer Verdachtsäußerung immanent, dass die betreffende (Verdachts-)Tatsache gerade noch nicht als feststehend und bereits abschließend geklärt behandelt, sondern unter Würdigung der übrigen Umstände als offen dargestellt wird. Eine Verdachtsberichterstattung liegt nicht mehr vor, wenn die Tatsache als wahr und feststehend dargestellt wird.
Der Wahrheitsgehalt fällt bei der Abwägung jedenfalls dann zu Lasten des Äußernden ins Gewicht, wenn dieser sich nicht auf eine Verdachtsberichterstattung beschränkt, sondern die Tatsache als wahr darstellt. Problematisch war hier die Verwendung des Wortes „nachweislich“:
Mit der Verwendung des Begriffs „nachweislich“ wurde die Aussage nicht zu einer bloßen Verdachtsäußerung, denn die Beklagte hat dadurch im Gegenteil noch inhaltlich verstärkt und hervorgehoben, dass die Klägerin mehrfach die Unwahrheit zum Verlauf des Abends gesagt hat.
Die Aussage ist nicht nur die bloße Äußerung einer noch offenen und festzustellenden Tatsache, sondern es wird – geradezu apodiktisch und thesenhaft – festgehalten, dass die Klägerin mehrfach die Unwahrheit gesagt hat, weshalb der Angeklagte freizusprechen ist. Der Aussage fehlt die notwendige Offenheit, die mehrfache unwahre Aussage wird als wahr und endgültig feststehend dargestellt, obwohl im bevorstehenden Strafverfahren erst festzustellen war, ob die Aussage der Klägerin wahr oder unwahr ist.
Keine Privilegierung der Äußerungen
Interessant ist, dass das Gericht feststellte, dass die Äußerungen der Strafverteidigerin nicht im Rahmen eines Strafverfahrens fielen und somit keine Prozessprivilegierung genießen. Die sogenannte Litigation-PR, also die strategische Kommunikation im Rahmen von Gerichtsverfahren, findet außerhalb des eigentlichen Prozesses statt und unterliegt daher den üblichen Regeln der öffentlichen Äußerungen. Daraus folgt, dass das Opfer gegen solche Äußerungen vorgehen kann.
Dies ist deshalb von Bedeutung, weil im gerichtlichen Verfahren – anders als im normalen Privatrechtsverkehr – nur ein eingeschränkter Ehrenschutz besteht. Ehrverletzende Äußerungen der Partei und ihres Prozessvertreters, die der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung in einem gerichtlichen Verfahren dienen, können in der Regel nicht mit einer Ehrenschutzklage abgewehrt werden. Das Ausgangsverfahren soll grundsätzlich nicht durch eine Beschränkung der Äußerungsfreiheit einer Partei eingeschränkt werden:
Die Parteien sollen wegen des Gebots der Rechtsstaatlichkeit und im Interesse einer ungehinderten Rechtsfindung vielmehr im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens alles das vortragen können, was sie zur Verteidigung und Wahrung ihrer Rechte für erforderlich halten, auch wenn hierdurch die Ehre eines anderen beeinträchtigt wird (…).
Das gilt grundsätzlich auch dann, wenn sich die Äußerung gegen eine Person richtet, die formell überhaupt nicht am Ausgangsverfahren beteiligt ist (OLG Düsseldorf NJW 1987, 2522; BGH MDR 1973, 304; BGH NJW 1986, 2502 [2503]). Es spielt auch keine Rolle, ob es sich um Tatsachenbehauptungen oder Werturteile handelt (BGH DB 1973, 818).
Bindungswirkung der strafrechtlichen Entscheidung?
Es ist für den Laien immer wieder überraschend, dass in einem Zivilprozess etwas anderes herauskommen kann als in einem vorausgegangenen Strafprozess – auch dazu äußert sich das Gericht. Zwar entfaltet ein strafgerichtliches Urteil keine Bindungswirkung für den Zivilprozess.
Der Zivilrichter muss sich seine Überzeugung grundsätzlich selbst bilden und ist regelmäßig auch nicht an einzelne Tatsachenfeststellungen eines Strafurteils gebunden. Gleichwohl können die in einem Strafurteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen selbstverständlich im Zivilprozess als Beweismittel verwertet werden:
Bereits das Reichsgericht hat die Verwertung von Feststellungen in einem vorausgegangenen Strafurteil in mehreren Entscheidungen für zulässig erachtet (RG JW 1885, 182; RG Gruchot 52, 446, 448). Die spätere Rechtsprechung hat sich dieser Auffassung angeschlossen (BGH WM 1973, 561; BayObLGZ 1959, 115; LG Essen MDR 1947, 68 [69]).
Bei einer Identität des den Gegenstand des Rechtsstreits und den des Strafverfahrens bildenden Sachverhalts dürfen einerseits das rechtskräftige Strafurteil und andererseits die urkundlich zu verwertenden Beweismittel nicht unberücksichtigt bleiben. Zwar hat sich der Zivilrichter seine Überzeugung grundsätzlich selbst zu bilden und ist deshalb an die Tatsachenfeststellungen eines Strafurteils nicht gebunden. Das enthebt ihn jedoch nicht der Pflicht, sich jedenfalls mit den im Strafurteil getroffenen Feststellungen gründlich auseinander zu setzen, soweit diese für die eigene Beweiswürdigung relevant sind (BGH BGHR EGZPO § 14 Abs. 2 Nr. 1 Strafurteil 1; OLG Koblenz AnwBl 1990, 215; KG, Urteil vom 25.01.2006, 11 U 6883/97, juris Rn. 29). Dabei wird in der Regel den strafgerichtlichen Feststellungen zu folgen sein, sofern nicht gewichtige Gründe für deren Unrichtigkeit von den Parteien vorgebracht werden (…)
Fazit
Dieses Urteil zeigt deutlich die Grenzen der Litigation-PR speziell im Strafverfahren auf. Äußerungen, die das Persönlichkeitsrecht eines Individuums betreffen, dürfen nicht leichtfertig in der Öffentlichkeit verbreitet werden, insbesondere wenn ihre Wahrheit nicht erwiesen ist.
Die Rechtsprechung macht klar, dass die Wahrung der Persönlichkeitsrechte einen hohen Stellenwert besitzt und dass die gerichtliche Arena keine Freikarte für unbewiesene, persönlichkeitsverletzende Aussagen ist.
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