Eine erneute Parteianhörung durch das Berufungsgericht kann geboten sein, wenn sich das erstinstanzliche Gericht – etwa aufgrund von Zeugenaussagen – vom Gegenteil dessen überzeugt hat, was eine Partei in der persönlichen Anhörung erklärt hat, und in den Urteilsgründen von einer Würdigung dieser Parteierklärung gänzlich abgesehen hat.
Insofern festigt der BGH (VI ZR 382/21) seine Rechtsprechung und stellt den Grundsatz klar, dass nach § 398 Abs. 1 ZPO die wiederholte Vernehmung eines Zeugen im Ermessen des Berufungsgerichts steht. Diesem Ermessen sind jedoch Grenzen gesetzt. So muss das Berufungsgericht einen bereits in erster Instanz vernommenen Zeugen nach § 398 Abs. 1 ZPO erneut vernehmen, wenn es dessen Aussage anders würdigen will als die Vorinstanz. Die erneute Vernehmung eines Zeugen kann allenfalls dann unterbleiben, wenn sich das Rechtsmittelgericht auf solche Umstände stützt, die weder die Urteilsfähigkeit, das Erinnerungsvermögen oder die Wahrheitsliebe des Zeugen noch die Vollständigkeit oder Widerspruchsfreiheit seiner Aussage betreffen. Trägt das Berufungsgericht dem nicht Rechnung, liegt darin ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG!
Entsprechendes gilt, wenn die erste Instanz von einer Würdigung der Aussagen der von ihr vernommenen Zeugen und von einer Erörterung der Glaubwürdigkeit der Zeugen gänzlich abgesehen hat. In der Berufungsinstanz kann ein angetretener Zeugenbeweis nur dann durch die Verwertung des Protokolls über die erstinstanzliche Zeugenvernehmung ersetzt werden, wenn es für die Würdigung der Aussage nicht auf den persönlichen Eindruck ankommt, den der Zeuge bei seiner Vernehmung hinterlassen hat oder bei einer erneuten Vernehmung hinterlassen würde. Andernfalls ist die Beweisaufnahme zu wiederholen.
Achtung: Diese Grundsätze gelten in gleicher Weise für die informelle Anhörung der Parteien.
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