Der fliegende Gerichtsstand ist immer wieder Gegenstand von Kontroversen. Zur Erinnerung: Nach §32 ZPO ist bei einer unerlaubten Handlung das Gericht zuständig, in dessen Bezirk die Handlung begangen wurde. Bei Internetdelikten ist das quasi … überall. Das Ergebnis ist, dass bei Streitigkeiten nach Urheberrechtsverletzungen der Verletzte sich quasi sein Gericht aussuchen kann. Und damit nicht nur das Gericht mit der genehmen Rechtsprechungstendenz, sondern zugleich auch sonstige Kosten, wie Reisekosten, in die Höhe treiben kann.
Während bis Ende 2012 bundesweit von der Rechtsprechung – mit vereinzelten Ausreißern – eher keine Kritik am „fliegenden Gerichtsstand“ bei Klagen nach Filesharing-Abmahnungen kam, hat sich dies im Jahr 2013 geändert. Ein Hoffnungsschimmer?
Beginn: Landgericht Frankfurt im Juli 2012
Das Landgericht Frankfurt a.M. (2-06 S 3/12) hatte sich seinerzeit – unter Berücksichtigung der BGH-Rechtsprechung – kritisch zum „fliegenden Gerichtsstand“ bei Filesharing-Verfahren geäußert und entschieden, dass es keine Bedenken gibt, wenn bei dem Vorwurf illegalen Filesharings der Kläger sich quasi seinen Gerichtsstand aussuchen kann:
Aber auch innerhalb des deliktischen Gerichtsstandes sind Wahlmöglichkeiten weder neu noch sachlich ungerechtfertigt. So war schon bei Pressedelikten im Vor-Internet-Zeitalter ein Gerichtsstand im Sinne von § 32 ZPO an jedem Ort begründet, an dem eine Zeitung zu kaufen war (BGH NJW 1977, 1590 – Profil; BGHZ 131, 335; OLG Frankfurt NJW-RR 1989, 491), ohne dass hieran – soweit ersichtlich – grundlegende Kritik geübt wurde. Gleiches galt und gilt für die Verletzung von Markenrechten und technischen Schutzrechten durch Produkte, die bundesweit angeboten werden.
Die Tatsache, dass nunmehr durch neue technische Möglichkeiten die Verletzung gerade von Urheberrechten jedermann auf technisch einfache Weise mit einer großen räumlichen Streuung möglich wird, vermag an der grundsätzlichen rechtlichen Würdigung nicht zu ändern, sondern kann allenfalls rechtspolitische Forderungen begründen. Diese kann die Kammer in ihrer Entscheidung allerdings nicht berücksichtigen; sie sind vielmehr in den dafür vorgesehen Foren zu erheben.
Das begegnet auch hier keinen durchgreifenden rechtlichen Entgegnungen. Interessant sind zwei weitere Argumente des Landgerichts: Zum einen wird darauf verwiesen, dass die Argumentation der Gegenseite in sich unschlüssig ist, da bei jedem anderen Gerichtsstand (etwa in Köln) genauso gefragt werden könne, ob der Download als Anknüpfungshandlung dort wahrscheinlicher gewesen wäre. Weiterhin wird damit argumentiert, dass der Gesetzgeber bisher untätig war und die Frage der Zuständigkeit bei Urheberrechtsverletzungen gerade nicht gesondert geregelt hat.
Hintergrund: Die BGH-Rechtsprechung
Der Bundesgerichtshof hat sich in den vergangenen Jahren mehrfach – und teilweise sehr ausführlich – der Frage gewidmet, wie der §32 ZPO im Zusammenhang mit Internetveröffentlichungen anzuwenden ist. In der Kurzfassung kann man dazu festhalten, dass mit dem BGH die Abrufbarkeit alleine nicht ausschlaggebend ist, sondern immer ein wie auch immer gearteter sachlicher Bezug zum Gerichtsstand gewählt sein muss. Ich habe das im Jahr 2011 bereits dargestellt (siehe hier), und kürzlich nochmals in einem Überblick präsentiert bei der Frage der internationalen Zuständigkeit (siehe hier). Dass es nun gute 2 Jahre dauerte, bis diese BGH-Rechtsprechung bei den Instanzgerichten ankommt mag ein wenig erschrecken, ist aber leider nichts neues.
Entwicklung im Jahr 2013: Die Amtsgerichte ändern ihre Meinung
Danach war festzustellen, dass zunehmend Amtsgerichte in Deutschland unter Rückgriff auf besagte BGH-Rechtsprechung die Meinung vertreten, dass ein fliegender Gerichtsstand nicht in Frage kommt. So haben bereits folgende Gerichte den fliegenden Gerichtsstand in Hinweisbeschlüssen verneint:
- Amtsgericht Köln, 137 C 99/13
- Amtsgericht Frankfurt am Main, 30 C 1042/13 (71)
- Amtsgericht Berlin, 6 C 65/13
Man merkt allerdings: Die wichtigen Gerichtsstände Hamburg und München fehlen noch, wobei darauf hinzuweisen ist, dass das LG Hamburg im Jahr 2012 bereits in diesem Sinne entschieden hatte. Risiko: Ein anderer Richter an einem der benannten Amtsgerichte mag es vielleicht auch noch anders sehen. Gleichwohl: Vielleicht ein kleiner Hoffnungsschimmer.
Beim Amtsgericht München (142 C 32827/11) hatte man zwar weiterhin kein Problem mit dem fliegenden Gerichtsstand. Wenn aber ohne sachlichen Grund „am anderen Ende von Deutschland“ geklagt wird und dadurch enorme Reisekosten entstehen, soll der Kläger auf diesen Kosten sitzen bleiben. Aber es gilt auch hier, vorsichtig zu sein – nicht wenige Rechteinhaber aus bekannten Filesharing-Abmahnungen haben schliesslich ihren Sitz in München.
2013: Der Gesetzgeber greift ein
Im Oktober 2013 hat dann der Gesetzgeber eingegriffen und gesetzlich geklärt, dass bei Filesharing-Abmahnungen von Verbrauchern nur noch das Gericht zuständig für den Wohnsitz des Verbrauchers sein soll.
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