Internet-System-Vertrag: Werkvertrag und Kündigungsvergütung

Der Internet-System-Vertrag beschäftigt weiterhin die Gerichte, in erster Linie geht es darum, dass jemand aus dem Vertrag aussteigen möchte, weil ihm (bei ungünstigen Vertragskonditionen) die Vertragslaufzeit zu lange erscheint.

Vorher ist grundsätzlich die vertragliche Natur des Internet-System-Vertrages zu klären, wobei heute problemlos ein Internet-System-Vertrag anzunehmen ist. Wenn dann die sofortige Kündigung möglich ist, wird schnell Streit um die Kündigungsvergütung geführt.

Internet-System-Vertrag ist Werkvertrag

Die Meinung ist hier grds. einhellig: Ein Internet-System-Vertrag ist ein Werkvertrag, dazu nur der Bundesgerichtshof in den Sachen VII ZR 111/10 (hier bei uns), VII ZR 133/10, VIII ZR 314/86 sowie III ZR 79/09; Ausserdem: LG Düsseldorf 21 S 53/08; OLG Oldenburg, 14 U 61/09 – in der Literatur: Cichon in Internetverträge bei Rn.402, Härting in seinem „Internetrecht“ bei Rn. 478, 489 sowie Palandt, vor §631, Rn.22. Dazu kommen nun allmählich erstinstanzliche Urteile, die das ebenso bewerten, hier sind aus 2010 zu nennen:

  • LG Schweinfurt (24 S 42/10)
  • LG Bautzen (1 S 22/10)
  • LG Dresden (4 S 26/10)
  • LG Hildesheim (7 S 92/10)
  • AG Düsseldorf (36 C 13206/09 & 50 C 11814/08)
  • LG Düsseldorf (22 S 282/09)

Vorleistungspflicht bei Internet-System-Vertrag?

Das bedeutet im Ergebnis keine vorzeitige Zahlungspflicht, sondern erst eine Zahlungspflicht nach Abnahme (dazu auch in den oben zitierten Entscheidungen, speziell denen aus Düsseldorf). Ausnahme: Wenn es eindeutig anders vereinbart wurde, wobei eine entsprechende Vereinbarung in den AGB nicht grundsätzlich Bedenken begegnet (dazu insbesondere LG Düsseldorf, 35 O 37/09 und 22 S 28/09 sowie 21 S 53/08). Eine vertragliche Laufzeit von 2-3 Jahren begegnet in der Rechtsprechung dabei keinen Bedenken, was für den Auftraggeber sicherlich angenehm ist – problematisch ist aber, dass nun einmal eine Abnahme zu erfolgen hat, was andererseits mit einer gültigen (!) vertraglichen Vereinbarung anders geregelt werden kann.

Sofortiges Kündigungsrecht nach §649 BGB

Umstritten war dabei die Möglichkeit der Handhabung des §649 BGB (Jederzeitiges Kündigungsrecht). Der BGH hatte mangels Vortrag in der Entscheidung III ZR 79/09 dazu früher nichts gesagt, das LG Schweinfurt (24 S 42/10) und LG Düsseldorf (22 S 282/09) wenden den §649 BGB mit ausdrücklichem Blick auf den BGH problemlos an. Nunmehr hat der BGH im Januar 2011 (VII ZR 133/10) und März 2011 (VII ZR 111/10) ausdrücklich festgehalten, dass dieses Kündigungsrecht auch bei Verträgen mit Laufzeit Anwendung finden soll. Das Ergebnis könnte für den Werkleister sehr unangenehm sein, zumal die Vermutung des §649 S.3 BGB bisher wohl keine Anwendung finden sollte. Aber: Der BGH (VII ZR 133/10) löst das Problem über die Vergütungspflicht. So muss mit dem BGH im Falle der vorzeitigen Kündigung nun geprüft werden, welche Leistungen erbracht wurden und diese Leistungen müssen dann auch vergütet werden. Wenn also ein Vertrag von der erheblichen Vorleistung des Vertragspartners lebt, die sich erst durch die lange Laufzeit rechnet, muss bei vorzeitiger Kündigung entsprechend mehr gezahlt werden. Jedoch verlangt der BGH (VII ZR 111/10) auch, dass der Werkleister sein Kalkulationsmodell offenlegt und schlüssig die geforderten Kosten darlegt – eine pauschale Abrechnung ist nicht möglich.

Ein Ausschluss des ordentlichen Kündigungsrechts ist mit dem LG Düsseldorf übrigens nicht möglich (22 S 282/09, 22 S 12/10).

Beweislast hinsichtlich Kündigungsvergütung bei Kündigung des Internet-Systemvertrags

Die inzwischen als gefestigt zu betrachtende Rechtsprechung zur Beweislast hinsichtlich der Kündigungsvergütung bei Kündigung des Internet-Systemvertrags hat das LG Düsseldorf im Jahr 2016 so zusammengefasst:

Das Amtsgericht hat die Beweislast verkannt. Die Grundsätze des BGH zur Beweislastverteilung für den Anspruch auf Kündigungsvergütung gem. § 649 S. 2 BGB bei einem noch nicht in Vollzug gesetzten Internet-System-Vertrag (vgl. BGH, NJW-RR 2015, S. 469), welche einen Vertragsschluss aus dem Jahre 2008 betrafen, sind auch auf den hier erfolgten Vertragsschluss am 03.07.2014 nach wie vor anwendbar. Hieran ändert auch nichts die Einfügung des § 649 S. 3 n. F. durch das zum 01.01.2009 in Kraft getretene Forderungssicherungsgesetz (FoSiG), welcher gem. Art. 229 § 19 Abs. 1 EGBGB erst auf Verträge Anwendung findet, welche nach dem 01.01.2009 abgeschlossen wurden. Durch die Einfügung des § 649 S. 3 BGB n. F. sollte lediglich die den Unternehmer gem. § 649 S. 2 BGB treffende sekundäre Darlegungslast abgemildert und dessen Anspruchsdurchsetzung erleichtert werden. Eine Änderung der Beweislastverteilung war hiermit nicht verbunden (vgl. BGH, NJW 2011, S. 1954, 1956 Rz. 29; Begr. z. Gesetzentwurf d. FoSiG, BT-Drucks. 16/511, S. 18: „Der Besteller kann den Nachweis höherer Ersparnisse führen“).

Es verbleibt daher auch für nach dem 01.01.2009 geschlossene Internet-System-Verträge bei der bisherigen Darlegungs- und Beweislastverteilung: Welche Anforderungen an die Abrechnung des gekündigten Werkvertrags zu stellen sind, hängt vom Vertrag sowie den seinem Abschluss und seiner Abwicklung zu Grunde liegenden Umständen ab. Sie ergeben sich daraus, welche Angaben der Besteller zur Wahrung seines Interesses an sachgerechter Verteidigung benötigt. Der Unternehmer muss über die kalkulatorischen Grundlagen der Abrechnung so viel vortragen, dass dem für höhere ersparte Aufwendungen darlegungs- und beweisbelasteten Besteller eine sachgerechte Rechtswahrung ermöglicht wird. Die Anforderungen lassen sich nicht schematisch festlegen; sie ergeben sich aus dem Vertragsgegenstand im Einzelfall. Durch diesen werden sie bestimmt und begrenzt. Dabei sind unter anderem auch die Vertragsgestaltung und der Vertragsinhalt von Bedeutung. Der Unternehmer hat seinen Vortrag gegebenenfalls nach allgemeinen Grundsätzen näher zu substanziieren, wenn er auf Grund der Stellungnahme der Gegenseite relevant unklar und deshalb ergänzungsbedürftig wird. Das erfordert allerdings mehr als den Hinweis der Gegenseite, der Vortrag des Unternehmers sei nicht schlüssig. Ausreichend ist es, wenn der Web-Hoster den kalkulierten Ablauf des Vertragsverhältnisses mit dem Kunden skizziert und die voraussichtlich ersparten Aufwendungen, nämlich Fahrtkosten für den Medienberater, Porti, Registrierungskosten und Kosten für Büromaterial, ersparte Hosting-Kosten sowie den ersparten Einsatz freier Mitarbeiter dargelegt. Dies ist eine nachvollziehbare vertragsbezogene Abrechnung (vgl. BGH, NJW-RR 2015, S. 469).

Hierbei darf auf eine durchschnittliche Kalkulation für einen Internet-System-Vertrag abgestellt werden, weil über den Durchschnitt hinausgehende anfallende Betreuungsleistungen für den Kunden gerade nicht kalkuliert werden können. Der Unternehmer muss zwar grundsätzlich die konkrete Entwicklung der Kosten vortragen, die bei Durchführung des Auftrags tatsächlich entstanden wären und die er erspart hat. Solange sich keine Anhaltspunkte für eine andere Kostenentwicklung ergeben, reicht es jedoch aus, wenn er die Ersparnis auf der Grundlage seiner ursprünglichen Kalkulation berechnet (vgl. BGH, a. a. O.).

Der Web-Hoster muss demgegenüber nicht darlegen, welche Mitarbeiter zu welchen Kostensätzen welche Arbeitsschritte hätten erbringen müssen und welche Gemeinkosten und andere Kostenpositionen hierbei zu veranschlagen gewesen wären, wenn er angibt, die Vertragsdurchführung mit fest angestellten Mitarbeitern zu erledigen und auf Grund der Kündigung keine Mitarbeiter entlassen zu haben und auch keinen anderweitigen Erwerb gehabt zu haben, weil er durch die entsprechende dauerhafte Vorhaltung der materiellen und personellen Ressourcen auch unabhängig von der Kündigung einzelner Verträge in der Lage sei, neue Vertragsverhältnisse abzuschließen. Für die Darlegungslast zur Frage, ob anderweitiger Erwerb vorliegt, gelten nicht ohne Weiteres die zur prüffähigen Darlegung der ersparten Aufwendungen geltenden Anforderungen. Während sich diese nur konkret vertragsbezogen ermitteln lassen und sich deshalb auch nachvollziehbar aus dem Vertrag ableiten lassen müssen, kommt es beim anderweitigen Erwerb zunächst darauf an, inwieweit ein Füllauftrag erlangt worden ist oder es der Unternehmer böswillig unterlassen hat, einen solchen zu erlangen. Es reicht deshalb grundsätzlich aus, wenn sich der Unternehmer dazu wahrheitsgemäß, nachvollziehbar und ohne Widerspruch zu den Vertragsumständen ausdrücklich oder auch konkludent erklärt. Je wahrscheinlicher ein anderweitiger Erwerb ist, umso ausführlicher müssen die Angaben sein. Der Besteller kann jedoch grundsätzlich nicht verlangen, dass der Unternehmer von vornherein seine gesamte Geschäftsstruktur offenlegt, um ihm die Beurteilung zu ermöglichen, welche Aufträge auch ohne die Kündigung akquiriert worden wären. Das entspricht dem Grundsatz, dass sich der Umfang der sekundären Darlegungslast einerseits nach der Intensität des Sachvortrags der beweisbelasteten Partei richtet und andererseits seine Grenzen in der Zumutbarkeit der den Prozessgegner treffenden Offenbarungspflicht findet. Ob hier nach Parteivortrag der sekundären Darlegungslast genügt ist, hat das Tatsachengericht im Einzelfall zu beurteilen (vgl. BGH, a. a. O.).

Kündigung des Internet-System-Vertrags in der Praxis

Die Vielzahl an rechtlichen Streitereien bei dem Thema zeigt vor allem zwei typische Problemstellen: Zum einen gibt es tatsächlich Geschäftsleute, die zu schnell entsprechende Verträge bei schlechten Konditionen abzeichnen und später „rauskommen“ wollen. Zum anderen ist es eine typische Schwäche von IT-Projekten, dass der gesetzte Zeitpunkt gerne Mal überschritten wird. Bei den vertraglichen Vereinbarungen wird dann vorher auf selbst zusammengeschusterte Texte aus dem Internet gesetzt, es ist ja „ohnehin alles klar und problemlos“. Und wenn dann ganz überraschend Termine überschritten werden oder im Vergleich heraus kommt, dass das Angebot so toll gar nicht war, gibt es dann doch Probleme.

Gerade Einzelkaufleute im IT-Bereich haben dabei die Schwäche, auf das Internet als Problemlöser zurück zu greifen. Im heimischen Forum tauscht man sich aus, bei diversen Frage-Webseiten werden gar mal 50 Euro „investiert“, um einen Rechtsanwalt um „Rat“ zu fragen. Dass der aber nur die eigene Sicht der Dinge als Sachverhalt vorgegeben bekommt, somit naturgemäß – ohne Sichtung aller Unterlagen – gewisse Probleme mit der Einschätzung hat, wird da schnell vergessen. Richtig haarig ist es, wenn man (entsprechend der menschlichen Natur) sich gar selber auf die Suche nach Urteilen macht. Wenn man dann ein Urteil aus dem Jahr 2004 findet, das heute überholt ist und keine Relevanz mehr hat, zur eigenen Sicht der Dinge aber passt, wird das plötzlich der Auslöser, um sich in einen gefährlichen Rechtsstreit zu stürzen. Dabei als Rechenbeispiel: Wer sich bei einem Auftragswert um die 5.000 Euro streitet, geht ein Prozesskostenrisiko von gut 2.000 Euro ein.

Fazit zur Kündigung des Internet-System-Vertrags

Es hilft nur eines: Knackpunkte vorher mit einem Profi, also einem hier erfahrenen Rechtsanwalt, ordentlich klären und vertraglich alles sauber erfassen. Dabei als Hinweis: Auch Selbstverständlichkeiten wie ein „Pflichtenheft“ bereiten bis heute selbst erfahrenen Dienstleistern immer wieder Probleme. So ein Vertrag will dann auch nicht schnell unterschrieben, sondern nach Sichtung und Prüfung überdacht abgezeichnet werden. Ich möchte dabei davon absehen, in „Bagatellfällen“ den Rat einzuschränken, auch ein vermeintlich „kleiner“ Auftrag mit einer Auftragssumme von wenigen hundert Euro kann bei schlechter Umsetzung im Zuge des Schadensersatzes zu erheblichen finanziellen Mehrbelastungen führen. Und selbst wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist: Es ist klug, sich aussergerichtlich zu einigen. Zum einen kann man hier erhebliche Kosten sparen, zum anderen profitieren beide Seiten von einer schnellen Erledigung, da Ressourcen wieder frei werden. Und auch hier sind Profis Geld wert, die nicht blind in die Klage treiben, sondern mit Blick auf die Interessen ihres Mandanten die Sache erledigen werden.

Fachanwalt für IT-Recht Jens Ferner