Ein Arbeitnehmer, der sich in einer aus sieben Mitgliedern bestehenden privaten Chatgruppe in stark beleidigender, rassistischer, sexistischer und zu Gewalt aufstachelnder Weise über Vorgesetzte und andere Kollegen äußert, kann sich gegen eine dies zum Anlass nehmende außerordentliche Kündigung seines Arbeitsverhältnisses nur im Ausnahmefall auf eine berechtigte Vertraulichkeitserwartung berufen, so das Bundesarbeitsgericht (2 AZR 17/23).
Sachverhalt
Der bei der Beklagten beschäftigte Kläger gehörte seit 2014 einer Chatgruppe mit fünf anderen Arbeitnehmern an. Im November 2020 wurde ein ehemaliger Kollege als weiteres Gruppenmitglied aufgenommen. Alle Gruppenmitglieder waren nach den Feststellungen der Vorinstanz „langjährig befreundet“, zwei miteinander verwandt. Neben rein privaten Themen
äußerte sich der Kläger – wie auch mehrere andere Gruppenmitglieder – in beleidigender und menschenverachtender Weise ua. über Vorgesetzte und Arbeitskollegen. Nachdem die Beklagte hiervon zufällig Kenntnis erhielt, kündigte sie das Arbeitsverhältnis des Klägers außerordentlich fristlos. (Quelle: Pressemitteilung des Gerichts)
Kündigung und Abmahnung
Für eine verhaltensbedingte Kündigung genügen Umstände, die in dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen und bei verständiger Würdigung unter Abwägung der Interessen der Vertragsparteien die Kündigung als billigenswert und angemessen erscheinen lassen.
Als verhaltensbedingter Grund ist insbesondere eine schuldhafte, vorwerfbare und rechts- oder vertragswidrige Verletzung von Haupt- und/oder Nebenpflichten aus dem Arbeitsverhältnis geeignet. Entsprechende Pflichten bestehen im Leistungs- und im Vertrauensbereich. Vertragsstörungen im Leistungsbereich liegen z.B. vor, wenn der Arbeitnehmer eine Schlechtleistung erbringt, wobei grundsätzlich eine Arbeitsleistung „mittlerer Art und Güte“ geschuldet ist.
Es genügen Umstände, die aus der Sicht eines ruhig und verständig urteilenden Arbeitgebers die Kündigung als angemessene Reaktion auf das Fehlverhalten des Arbeitnehmers erscheinen lassen (BAG, 2 AZR 536/06). Die Rechtfertigung einer verhaltensbedingten Kündigung ist jedoch nicht daran zu messen, ob sie als Sanktion für die in Rede stehende Vertragsverletzung angemessen ist.
Im Kündigungsrecht gilt nicht das Sanktionsprinzip, sondern das Prognoseprinzip. Eine verhaltensbedingte Kündigung ist gerechtfertigt, wenn eine störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft nicht mehr zu erwarten ist und künftigen Pflichtverletzungen nur durch die Beendigung des Vertragsverhältnisses begegnet werden kann (BAG, 2 AZR 541/09). Diese zu erwartende Endgültigkeit ist nicht gegeben, wenn mildere Mittel und Reaktionen, z.B. eine Abmahnung, geeignet sind, eine Verhaltensänderung des Arbeitnehmers herbeizuführen. Mehr dazu hier bei uns im Blog!
Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts
Beide Vorinstanzen haben der vom Kläger erhobenen Kündigungsschutzklage stattgegeben. Die Revision der Beklagten hatte vor dem Zweiten Senat des Bundesarbeitsgerichts Erfolg. Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerhaft eine berechtigte Vertraulichkeitserwartung des Klägers betreffend der ihm vorgeworfenen Äußerungen angenommen und das Vorliegen eines Kündigungsgrundes verneint.
Eine Vertraulichkeitserwartung ist nur dann berechtigt, wenn die Mitglieder der Chatgruppe den besonderen persönlichkeitsrechtlichen Schutz einer Sphäre vertraulicher Kommunikation in Anspruch nehmen können. Das wiederum ist abhängig von dem Inhalt der ausgetauschten Nachrichten sowie der Größe und personellen Zusammensetzung der Chatgruppe. Sind Gegenstand der Nachrichten – wie vorliegend – beleidigende und menschenverachtende Äußerungen über Betriebsangehörige, bedarf es einer besonderen Darlegung, warum der Arbeitnehmer berechtigt erwarten konnte, deren Inhalt werde von keinem Gruppenmitglied an einen Dritten weitergegeben.
Das Bundesarbeitsgericht hat das Berufungsurteil insoweit aufgehoben und die Sache an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen. Dieses wird dem Kläger Gelegenheit für die ihm obliegende Darlegung geben, warum er angesichts der Größe der Chatgruppe, ihrer geänderten Zusammensetzung, der unterschiedlichen Beteiligung der Gruppenmitglieder an den Chats und der Nutzung eines auf schnelle Weiterleitung von Äußerungen angelegten Mediums eine berechtigte Vertraulichkeitserwartung haben durfte. (Quelle: Pressemitteilung des Gerichts)
Beleidigung und Meinungen
Als erstes ist zu Fragen, ob überhaupt eine Meinungsäußerung oder nicht vielmehr eine Tatsachenbehauptung vorliegt. Wenn dies geklärt ist, muss man mehrstufig vorgehen:
- Unzulässig ist die Meinungsäußerung, die sich als Verletzung der Menschenwürde, Formalbeleidigung oder Schmähkritik einordnen lässt;
- Wenn man dies verneint, ist eine Abwägung zwischen Meinungsfreiheit und Ehrenschutz vorzunehmen, wobei alle wesentlichen Umstände des Falles zu berücksichtigen sind und hierbei auch die Schwere der Beeinträchtigung der betroffenen Rechtsgüter einzubeziehen ist (zusammenfassend OLG Köln 1RVs 180/19; 1RVs 110/17; 1RVs 296/17; 1 RVs 150/18)
Die Kundgabe der Missachtung muss sich durch ein Verhalten mit einem entsprechenden Erklärungswert manifestieren. Dabei kann die Äußerung mündlich, schriftlich, bildlich, symbolisch, durch Gesten, schlüssige Handlungen oder Tätlichkeiten erfolgen. Zudem muss sich der Täter mit dem ehrenrührigen Inhalt seiner Äußerung identifizieren. Mehr hier bei uns zur Frage, was eine Beleidigung ist!
Kurzer Blick auf die Rechtslage
Das (un-)soziale Verhalten von Arbeitnehmern beschäftigt schon lange die Rechtsprechung. Auch wenn die vorliegende Mitteilung des Bundesarbeitsgerichts erhebliche Beachtung in den Medien bekommen hat: So neu ist das nicht! Allerdings stand die bisherige Rechtsprechung auf dem Standpunkt, dass geschlossene Kanäle (wie etwa ein Whatsapp-Chat) einen gewissen Vertrauensschutz haben – wobei es vorliegend bereits um eine, wenn auch überschaubare, Whatsapp-Gruppe ging.
Arbeitnehmer müssen sich in jedem Fall schwere Verstöße vorhalten lassen, die auch zu einer Kündigung führen können, etwa wenn intime Fotos in einem Whatsapp-Chat unerlaubt geteilt werden. Grundsätzlich sind schwerste Beleidigungen ein regelmässiger Kündigungsgrund, insbesondere bei rassistischen Beleidigungen – in sozialen Medien auch dann, wenn der Beleidigte selber gar nicht die Beleidigung, mangels Verknüpfung, sehen kann; Ausnahmen können bei Auszubildenden anzunehmen sein und, wenn eine Provokation vorausgegangen ist.
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