Das LG Berlin hat Anfang November (Az. 27 O 313/09) festgehalten, dass die Berichterstattung über ein Vergewaltigungsopfer, in nicht anonymisierter Form, in dessen Intim- und Privatsphäre eingreift. Insbesondere gibt es kein sachliches Interesse, die Identität von Opfern in Strafprozessen der Öffentlichkeit bekannt zu geben. Aus einer Zustimmung zu verpixelten Aufnahmen (mit Klarnamen) darf keinesfalls eine Zustimmung zu unverpixelten Aufnahmen gedeutet werden.
Aus den Gründen des Urteils dazu:
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Grundsätzlich besteht bei der Wiedergabe der Einzelheiten aus dem Intim- und Privatleben der Klägerin als Opfer einer Straftat eine Pflicht zur Anonymisierung (BGH NJW 1988, 1984; von Strobl-Albeg, in: Wenzel, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, Rz. 8.87 m.w. Nachw.). Anhand des Artikels ist die Identität der Klägerin aber für einen nicht unbedeutenden Personenkreis problemlos zu erkennen. Im Artikel werden ihr Vorname sowie der Anfangsbuchstabe ihres Nachnamens richtig genannt, ihr damaliges Alter sowie ihre Familienverhältnisse wiedergegeben. Durch die Angabe der Berufsbezeichnung des Angeklagten Jürgen H. („Kraftfahrer“), der ebenfalls, wie auch ihre Tochter („…“) mit richtigem Namen genannt wird, werden auch weitere Rückschlüsse auf die Herkunft der Klägerin möglich. Schließlich wird die Klägerin mit einem ungepixelten Porträt-Foto gezeigt, durch das sie sofort und ohne Zweifel identifiziert werden kann.
Entgegen der Auffassung der Beklagten war eine identifizierende Berichterstattung über die Klägerin anlässlich des Strafverfahrens gegen ihren Stiefvater und Vater ihrer Tochter Jürgen F. auch nicht aufgrund des öffentlichen Interesses an dem Strafverfahren, in dem ihre Tochter als Nebenklägerin auftrat, zulässig. Zwar stoßen Strafverfahren um Vorwürfe sexuellen Missbrauchs grundsätzlich auf ein öffentliches Interesse und sind auch insoweit öffentlichkeitsrelevant, als sie die Frage aufwerfen, wie es zu einer solchen Tat kommen konnte und warum Freunde, Familie und Bekannte nichts davon bemerkt haben wollen oder den vermutlichen Täter sogar deckten. Die Kammer vermag allerdings nicht zu erkennen, dass dieses öffentliche Informationsinteresse an dem Strafverfahren eines Dritten („Jürgen H.“) die berechtigten Schutzinteressen eines mutmaßlichen Opfers sexuellen Missbrauchs und häuslicher Gewalt von einer identifizierbaren Berichterstattung verschont zu bleiben, überwiegen kann. Ein sachliches Berichterstattungsinteresse daran, gerade die Identität von Opfern in Strafprozessen offen zu legen, besteht nicht. Denn dem Informationsinteresse der Allgemeinheit bezüglich der Tat kann auch Rechnung getragen werden, ohne dass das Opfer dem Publikum im Bild vorgestellt wird (von Strobl-Albeg, in: Wenzel, a.a.O.).
[…]
Allerdings ist zu berücksichtigen, dass die Klägerin im Rahmen dieser Berichterstattung im Vorfeld sicherstellte, dass ihr Name sowie der ihrer Tochter und deren „Großvaters“ nicht genannt werden dürften und das veröffentlichte Bildnis der Tochter – wenn auch ungepixelt – nur ihr Rückansicht offenbart. Zwar mag die Tochter insoweit für ihren engeren Familien- und Freundeskreis durch Andeutung ihres linksseitigen Gesichtsprofils und des Haarschnitts erkennbar sein. Damit hat die Klägerin aber nicht in die streitgegenständliche Berichterstattung, in der sie selbst in keiner Weise anonymisiert wurde, eingewilligt.
Eine Einwilligung der Klägerin folgt auch nicht – konkludent – aus ihrem Verhalten nach Ende der mündlichen Verhandlung vordem Landgericht Neuruppin am 13. Oktober 2008.
Zwar kann sowohl die Einwilligung als Rechtsgeschäft (vgl. Dasch, Die Einwilligung zum Eingriff in das Recht am eigenen Bild, 1990, S. 57; Löffler/Ricker, Handbuch des Presserechts, 4. Aufl., Kap. 43 Rn. 6) als auch – wie vorlegend – als einseitige Willenserklärung (Soehring a.a.O. Rn. 19.44) konkludent erklärt werden. Denn hier gilt nichts anderes als im Bereich der allgemeinen Willenserklärungen; auch sie können sich aus schlüssigem Verhalten ergeben, nämlich aus Handlungen, die mittelbar einen Schluss auf einen bestimmten Rechtsfolgewillen zulassen (Palandt/Heinrichs, BGB, 68. Aufl., Einf. 6 vor § 116).
Selbst wenn die Klägerin hiernach durch ihr Verhalten bei Verlassen des Gerichtsgebäudes, insbesondere auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass der Rechtsanwalt ihrer Tochter die im Gerichtssaal befindlichen Pressevertreter nach dem Schluss der Verhandlung ausdrücklich aufforderte, vor das Gerichtsgebäude zu kommen, da dann dort die Möglichkeit zur Fertigung von Fotos von der Klägerin und ihrer Tochter bestünde, ihre grundsätzliche Zustimmung zu Foto-Aufnahmen zum Ausdruck brachte, so durften die Beklagten dennoch nicht ohne weiteres davon ausgehen, dass dies auch für ungepixelte Aufnahmen gelten soll. Denn die konkludente Einwilligung der Klägerin mit der Aufnahme von Fotos nach Ende des Verhandlungstages am 12. Oktober 2008 vor dem Gerichtsgebäude des Landgerichts Neuruppin deckte nicht die Aufhebung ihrer Anonymität.
Zur Bestimmung der Reichweite der Einwilligung in den Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht sind die Grundsätze der für das Urheberrecht entwickelten Zweckübertragungslehre entsprechend anzuwenden (Soehring a.a.O. Rn. 19.46 a). Die Einwilligung reicht nur soweit, wie der mit ihrer Erteilung verfolgte Zweck.
Hinsichtlich einer – wie vorliegend – ohne Einwilligung unzulässigen Text- und Bildberichterstattung ist dabei entscheidend, ob die Einwilligung die Aufdeckung der Anonymität des Betroffenen umfasst. Allein aus der Mitteilung von intimen Tatsachen über den Missbrauchsvorwurf ergibt sich eine solche Einwilligung nicht, unabhängig davon, ob sich die Klägerin überhaupt wie im Beitrag zitiert gegenüber dem Beklagten zu 2) äußerte. Denn dem Betroffenen mag die Veröffentlichung solcher von ihm selbst mitgeteilten Daten gleichgültig sein, solange er nicht erkennbar ist. Dadurch aber, dass seine Identität aufgedeckt wird, entsteht die eigentliche Belastung der Person. Deshalb muss sich eine Einwilligung insoweit, jedenfalls in Fällen wie dem vorliegenden, auch und sicher auf eine Aufdeckung der Identität erstrecken. Zum Schutz der Person wird man hier in der Regel eine ausdrückliche Erklärung des Betroffenen verlangen – auch unter Berücksichtigung der Äußerungs- und Pressefreiheit. Dies entspricht auch den allgemeinen Grundsätzen zur Behandlung konkludenter Willenserklärungen. Aus den Äußerungen des Interviewten kann oft auf eine Einwilligung in die Veröffentlichung dieser Tatsachen geschlossen werden. Die Aufdeckung der Anonymität wird dadurch aber nicht erlaubt. Dies ergibt sich vorliegend schon zwingend aus der Berücksichtigung von für die Klägerin streitenden Opferschutzgesichtspunkten, als mögliches Opfer eines sexuellen Missbrauchs in der eigenen Familie nicht identifizierbar einem Millionenpublikum vorgestellt zu werden. Auf diesen Schutz hat die Klägerin – wie dargelegt – auch nicht durch die vorangegangene Berichterstattung über ihre Tochter in der „…“ verzichtet, da diese in dieser gerade nicht ohne weiteres für einen großen Kreis erkennbar ist.
Auch für die Veröffentlichung eines Fotos der Klägerin geht die Kammer mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung davon aus, dass eine ausdrückliche Einwilligung erforderlich ist, wenn es – wie vorliegend – um ein Foto unmittelbar im Zusammenhang mit einer Strafverhandlung geht.
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