AG Hannover: Minderjährige haften bei Urheberrechtsverletzungen nur eingeschränkt

Das Amtsgericht Hannover (439 C 2674/08) hatte im Jahr 2008 einen Fall zu verhandeln, in dem es um die Urheberrechtsverletzung durch einen Minderjährigen ging. Die Entscheidung, wenn auch von einem Amtsgericht, sollte durchaus Modellcharakter haben.

Dazu auch:


Hintergrund: Haftung von Minderjährigen
Der Schutz von Minderjährigen ist bekanntlich die „heilige Kuh“ des BGB. Nicht nur im Schuldrecht, auch im Deliktsrecht gibt es eine Vielzahl von Privilegierungen, die stark zu Lasten der Rechtssicherheit gehen, um den Schutz des Minderjährigen zu gewährleisten. Dabei gelten zwei Grundsätze:

  1. Wer jünger als 7 Lebensjahre alt ist, haftet für einen Schaden den er einem anderen zufügt gar nicht (§828 I BGB), wer älter als 7 Jahre, aber jünger als 18 Jahre ist, haftet nur dann, wenn er die notwendige Einsichtsfähigkeit hatte (§828 III BGB).
  2. Wen eine Aufsichtspflicht über einen Minderjährigen trifft, hat (nur) für den Schaden einzutreten, der im Zuge der Verletzung dieser Aufsichtspflicht auftritt (§832 BGB).

Anmerkung: Wenn diese zwei Grundgedanken kombiniert werden, lassen sich meines Erachtens – dafür plädiere ich seit geraumer Zeit – erhebliche Einschränkungen der sogenannten Störerhaftung annehmen, wenn der Anschlussinhaber ein Elternteil ist. Ich sehe in dieser gesetzlichen Wertung eine spezielle Regelung, die Ansprüche aus einer Störerhaftung verdrängen. Gleichwohl ist diese Frage bisher nicht Gegenstand der Rechtsprechung gewesen.

AG Hannover zur Schadensersatzpflicht des Minderjährigen

Jedenfalls hinsichtlich der Schadensersatzpflicht des Minderjährigen hat sich das Amtsgericht Hannover mit der Frage beschäftigt und bekräftigt, dass bei einer Urheberrechtsverletzung durch einen Minderjährigen obige Grundsätze zu berücksichtigen sind, wenn der Minderjährige auf Zahlung von Schadensersatz in Anspruch genommen wird. Es kommt somit am Ende auf die Frage an, ob er die Einsichtsfähigkeit hatte, die Konsequenzen seines Verhaltens abzusehen. Hier ging es um einen „Fotoklau“ auf ebay, also die Verwendung fremder Fotos in eigenen Auktionen. Das Amtsgericht erkannte hier letztlich die Einsichtsfähigkeit bei einem 17-jährigen problemlos und wohl auch richtig:

Es entspricht allgemeiner Kenntnis, auch der eines 17-Jährigen, dass über fremde Rechtsgüter nur dann verfügt werden darf, wenn einem hierzu die Erlaubnis erteilt worden ist. Angesichts der Formulierungen in den einzelnen ebay-Auktionen ist der Beklagte bereits seit dem 21.10. 2005 bei ebay angemeldet und verfügt über 78 Bewertungen. Auch die Verkaufsanzeigen sind professionell aufgemacht, insbesondere weist der Beklagte auf andere Auktionen hin, so dass davon auszugehen ist, dass der Beklagte sich mit den Verkaufsbedingungen auseinandergesetzt hat und diese kennt. Gerade Jugendliche kennen sich im übrigen mit dem Internet besser aus als einige Erwachsene.

Alleine der letzte Satz erscheint etwas befremdlich, da die Einsichtsfähigkeit hier an der Frage der rechtlichen und tatsächlichen Bewertung eines Handelns hängt. Die Tatsache, dass junge Generationen mit dem Internet groß werden hat mit der Fähigkeit, rechtliche Bewertungen vorzunehmen, eher wenig zu tun.

Fazit: Einschränkte Haftung?
Die Entscheidung zeigt im Umkehrschluss aber auch, dass jedenfalls bei urheberrechtlichen Verletzungen durch jüngere Menschen der Minderjährigenschutz greifen könnte – und es insgesamt auch tun müsste. Das wirft beim Filesharing, das bevorzugt auch von 10-15-Jährigen begangen wird, durchaus relevante Fragen auf. Jedenfalls muss bei Urheberrechtsverletzungen durch Minderjährige letztlich immer geprüft werden, ob hier eine notwenige Einsichtsfähigkeit in das jeweilige Verhalten vorliegt.

Die Entscheidung (Auszug, von einem Tatbestand wurde nach §313a ZPO abgesehen):

[…] Die Klage ist zulässig und begründet.

Dem Kläger steht gemäß § 97, 72 Urheberrechtsgesetz gegen den Beklagten ein Schadensersatzanspruch im Hinblick auf die rechtswidrige Verwendung seiner Nutzungsrechte an den Lichtbildern „San Marino Kursmünzensatz 2003 BU“ und „San Marino Kursmünzensatz 2006 BU“ im Rahmen von Internetauktionen zu.

Der Beklagte verwendete unter dem ebay-Auktionsnummern 12…1, 12…6, 12…2 und 12…9 unstreitig die Lichtbilder, an denen dem Kläger die Nutzungsrechte zustehen. Die streitgegenständlichen Lichtbilder unterfallen auch dem Schutzbereich des § 72 Urheberrechtsgesetz. Das Verhalten des Beklagten war auch rechtswidrig, ein Nutzungsrecht wurde ihm unstreitig nicht eingeräumt.

Dem Kläger steht ein Schadensersatzanspruch in Höhe von 476,– Euro zu.

Wer das Urheberrecht verletzt, kann vom Verletzten auf Schadensersatz in Anspruch genommen werden, wenn dem Verletzer Vorsatz oder Fahrlässigkeit zur Last fällt.

Hier handelte der Beklagte zur Überzeugung des Gerichts zumindest fahrlässig.

Der Beklagte stellte die streitbefangenen Lichtbilder zeitnah zu seinem 17. Geburtstag ins Internet. Gemäß § 828 Abs. 3 BGB ist derjenige, der das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, für den Schaden, den er einen anderen zufügt, nur dann nicht verantwortlich, wenn er bei der Begehung der schädigenden Handlung nicht die zur Erkenntnis der Verantwortlichkeit erforderliche Einsicht hat. Die Zurechnungsfähigkeit ist gegeben, wenn der Minderjährige die zur Erkenntnis der Verantwortlichkeit erforderliche Einsicht hat, d. h. nach seiner individuellen Verstandesentwicklung fähig ist, sich der Verantwortung für die Folgen seines Tuns bewusst zu sein.

Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall zur Überzeugung des Gerichts gegeben. Es entspricht allgemeiner Kenntnis, auch der eines 17-Jährigen, dass über fremde Rechtsgüter nur dann verfügt werden darf, wenn einem hierzu die Erlaubnis erteilt worden ist. Angesichts der Formulierungen in den einzelnen ebay-Auktionen ist der Beklagte bereits seit dem 21.10. 2005 bei ebay angemeldet und verfügt über 78 Bewertungen. Auch die Verkaufsanzeigen sind professionell aufgemacht, insbesondere weist der Beklagte auf andere Auktionen hin, so dass davon auszugehen ist, dass der Beklagte sich mit den Verkaufsbedingungen auseinandergesetzt hat und diese kennt. Gerade Jugendliche kennen sich im übrigen mit dem Internet besser aus als einige Erwachsene.

Nach dem Wortlaut des § 828 Abs. 3 BGB wird die Einsichtsfähigkeit auch widerlegbar vermutet, ihr Mangel ist vom minderjährigen Schädiger zu behaupten und zu beweisen. Zweifel gehen zu Lasten des Minderjährigen. Zu seiner eigenen Persönlichkeit trägt der Beklagte aber nichts vor. Er hat weder substantiiert dargelegt noch unter Beweis gestellt, dass bei ihm keine Einsichtsfähigkeit gegeben ist. Vorliegend muss angesichts der Professionalität der einzelnen Auktionen und mangels anderweitigen Vortrags somit von einer Einsichts- und Zurechnungsfähigkeit des Beklagten ausgegangen werden.

Der Schaden der unberechtigten Verwendung von Lichtbildern im Internet kann nach der Lizenzanalogie berechnet werden. Hierbei kann der Kläger den Betrag zugrunde legen, den er normalerweise für die berechtigte Verwendung eines Lichtbildes hätte verlangen können. Es bleibt dem Kläger unbenommen, sich auf die ermittelten Werte der Mittelstandsvereinigung Foto-Marketing (MFM) zu beziehen. Das Gericht nimmt auf deren Werte Bezug und schätzt den Schadensersatzanspruch im Rahmen des § 287 ZPO auf 100,– Euro pro Lichtbild zuzüglich 19% Umsatzsteuer, insgesamt demnach 119,– Euro pro Lichtbild.

Der Kläger ist ferner berechtigt, einen Betrag in gleicher Höhe nebst Mehrwertsteuer als weiteren Schadensersatzanspruch wegen des unterlassenen Bildquellennachweises geltend zu machen. Die Verdoppelung der Lizenzgebühr in Form eines pauschalen Strafzuschlages kann begehrt werden, da eine deutliche Nennung des Bildautors eine eigene Werbewirkung hat. Soweit diese unterbleibt, ist dem Nutzungsberechtigten der daraus entstandene Verlust zu ersetzen. Bei seiner Schätzung im Rahmen des § 287 ZPO geht das Gericht davon aus, dass der Kläger für die Verwertung seiner Nutzungsrechte an den streitgegenständlichen Lichtbilder ohne die Nennung seines Namens den doppelten Erlös hätte erzielen können.

Soweit der Beklagte vorträgt, dass die Lichtbilder jeweils nur unter einer Woche verwendet worden sind, so weist der Kläger zurecht darauf hin, dass jedes Lichtbild zweimal benutzt wurde, so dass er jeweils einen Anspruch für jede Urheberrechtsverletzung in Höhe von 60,– Euro hätten geltend machen können. Demzufolge ist die Berechnung des Klägers für den Beklagten günstiger.

Der Kläger hatte folglich einen Schadensersatzanspruch in Höhe von insgesamt 476,00 Euro. Abzüglich bereits gezahlter 150,00 Euro steht dem Kläger somit ein noch offener Schadensersatzanspruch in Höhe von 326,00 Euro zu.
Weiter hat der Kläger einen Schadensersatzanspruch in Höhe der Kosten der Einschaltung des jetzigen Prozessbevollmächtigten des Klägers in Höhe von 83,54 Euro. […]

Fachanwalt für IT-Recht Jens Ferner