Offene Videoüberwachung im Arbeitsverhältnis

Die Speicherung von Bildsequenzen aus einer zulässigen offenen Videoüberwachung, die vorsätzliche Handlungen eines Arbeitnehmers zulasten des Eigentums des Arbeitgebers zeigen, wird nicht durch bloßen Zeitablauf unverhältnismäßig, solange die Rechtsverfolgung durch den Arbeitgeber materiell-rechtlich möglich ist, so das Bundesarbeitsgericht (2 AZR 133/18).

Weder die Zivilprozessordnung noch das Arbeitsgerichtsgesetz enthalten Regelungen, die die Verwertbarkeit von Erkenntnissen oder Beweismitteln einschränken, die eine Arbeitsvertragspartei rechtswidrig erlangt hat. Ein Verwertungsverbot kann sich zwar aus einer verfassungskonformen Auslegung des Verfahrensrechts ergeben. Da der Anspruch auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG grundsätzlich gebietet, den Sachvortrag der Parteien und die von ihnen angebotenen Beweismittel zu berücksichtigen, kommt ein „verfassungsrechtliches Verwertungsverbot“ jedoch nur in Betracht, wenn dies aufgrund einer grundrechtlich geschützten Position einer Prozesspartei zwingend geboten ist.

Dies setzt in der Regel voraus, dass bereits durch die Auskunfts- oder Beweiserhebung in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Partei eingegriffen wird, ohne dass dies durch überwiegende Interessen der anderen Partei gerechtfertigt ist. Darüber hinaus muss der Schutzzweck des bei der Erlangung verletzten Grundrechts der Verwertung der Information oder des Beweismittels im Rechtsstreit entgegenstehen.

Dies ist der Fall, wenn das nach Art. 1 Abs. 3 GG unmittelbar an die Grundrechte gebundene Gericht ohne Rechtfertigung in eine verfassungsrechtlich geschützte Position einer Prozesspartei eingreift, indem es eine Persönlichkeitsrechtsverletzung eines Privaten perpetuiert oder vertieft. Insoweit kommt die Funktion der Grundrechte als Abwehrrechte gegen den Staat zum Tragen. Auf einen ungerechtfertigten Eingriff in das Persönlichkeitsrecht durch einen Privaten darf kein verfassungswidriger Grundrechtseingriff durch ein Staatsorgan „aufgesattelt“ werden. Nicht abschließend geklärt ist, ob die Gerichte über die ihnen obliegende Pflicht, ungerechtfertigte Grundrechtseingriffe zu unterlassen, hinaus aufgrund einer verfassungsrechtlichen Schutzpflicht gehalten sein können, einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch Private aktiv entgegenzutreten und Sachvortrag oder Beweisantritte einer Partei aus generalpräventiven Gründen unberücksichtigt zu lassen. Dies würde jedenfalls voraussetzen, dass die verletzte Schutznorm in den betreffenden Fällen ohne ein prozessuales Verwertungsverbot leer liefe.


Auch wenn die Vorschriften des BDSG aF die Zulässigkeit des Parteivortrags und dessen Verwertung im arbeitsgerichtlichen Verfahren nicht einschränken und es für das Eingreifen eines Verwertungsverbots darauf ankommt, ob bei der Erkenntnis- oder Beweisgewinnung das allgemeine Persönlichkeitsrecht verletzt wurde, sind die einfachrechtlichen Vorgaben insoweit nicht ohne Bedeutung. Die Vorschriften des BDSG aF über die Anforderungen an eine zulässige Datenverarbeitung konkretisieren und aktualisieren für den Einzelnen den Schutz seines Rechts auf informationelle Selbstbestimmung und am eigenen Bild (§ 1 Abs. 1 BDSG aF). Sie regeln, inwieweit im Anwendungsbereich des Gesetzes Eingriffe in diese Rechtspositionen durch öffentliche oder nicht-öffentliche Stellen im Sinne des § 1 Abs. 2 BDSG aF zulässig sind. War die betreffende Maßnahme nach den Vorschriften des BDSG aF zulässig, liegt insoweit keine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts in Gestalt des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung und des Rechts am eigenen Bild vor.

Ein Verwertungsverbot scheidet von vornherein aus. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Gesamtabwägung der widerstreitenden Interessen und Grundrechtspositionen im Rahmen der Generalklauseln des § 32 Abs. 1 BDSG aF zugunsten des Arbeitgebers ausfällt. Nur dann, wenn die fragliche Maßnahme nach den Vorschriften des BDSG aF unzulässig war, ist gesondert zu prüfen, ob die Verwertung der im Rahmen dieser Maßnahme gewonnenen Erkenntnisse oder Beweismittel durch das Gericht einen Grundrechtsverstoß darstellen würde. Daran kann es zum einen fehlen, wenn sich die Unzulässigkeit der Maßnahme des Arbeitgebers allein aus der (Grund-)Rechtswidrigkeit der Datenerhebung(en) gegenüber anderen Beschäftigten ergibt oder die verletzte einfachrechtliche Norm keinen eigenen „Grundrechtsgehalt“ hat. Zum anderen kann die gerichtliche Verwertung weder einen ungerechtfertigten Grundrechtseingriff darstellen noch aufgrund einer verfassungsrechtlichen Schutzpflicht unterbleiben müssen, weil sie den ungerechtfertigten „vorprozessualen“ Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht einer Prozesspartei nicht perpetuiert oder vertieft und der Verwertung auch keine generalpräventiven Gründe entgegenstehen.


Das Bundesarbeitsgericht unterscheidet zwischen Sachvortragsverboten und Beweisverwertungsverboten. Ein Sachvortragsverwertungsverbot kommt nicht in Betracht, wenn der Arbeitnehmer den betreffenden Vortrag des Arbeitgebers hinreichend bestreitet. Dann greift die Geständnisfiktion des § 138 Abs. 3 ZPO schon einfachrechtlich nicht ein. Sie muss nicht erst durch eine verfassungskonforme Auslegung der Vorschrift „ausgeschaltet“ werden. Verzichtet der Arbeitnehmer hingegen auf ein – möglicherweise wahrheitswidriges – Bestreiten, führt ein Sachvortragsverwertungsverbot dazu, dass das inkriminierte Vorbringen des Arbeitgebers gleichwohl als bestritten zu behandeln ist. Damit wird der Streit auf die Beweisebene verlagert. Dort greift ggf. ein entsprechendes Beweisverwertungsverbot zu Lasten des Arbeitgebers mit der Folge, dass er für seinen – als streitig anzusehenden – Vortrag beweispflichtig bleibt. Insofern bedeutet ein „Verwertungsverbot“, dass das Gericht den fraglichen Vortrag weder als unstreitig (Sachvortragsverwertungsverbot) noch als durch das beanstandete Beweismittel bewiesen (Beweisverwertungsverbot) seiner Entscheidung zugrunde legen darf.

Ob ein Beweisverwertungsverbot eingreift, hat das Gericht – nur – dann von Amts wegen zu prüfen, wenn entsprechende Anhaltspunkte vorliegen und die betroffene Partei nicht wirksam auf die Geltendmachung der – möglichen – Verletzung ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts verzichtet hat. Es trifft nicht zu, dass der Arbeitgeber Tatsachen nur unter Angabe der genauen Beschaffungsmodalitäten in den Rechtsstreit einführen kann. Vielmehr ist es der von einer möglicherweise grundrechtswidrigen Erkenntnis- oder Beweisgewinnung betroffene Arbeitnehmer, der relevante Umstände vortragen muss, wenn sich nicht bereits aus dem Vorbringen des Arbeitgebers (einschließlich der Beweisantritte) oder sonst wie „Verwertbarkeitsbedenken“ ergeben. Bestehen Anhaltspunkte dafür, dass ein Verwertungsverbot eingreifen könnte, gelten die allgemeinen Grundsätze der Amtsermittlung. Eine Amtsermittlung findet nicht statt. Vielmehr bleibt es beim Beibringungsgrundsatz. Das Gericht wird begründeten Zweifeln durch Hinweise und Auflagen an die Parteien nachgehen und gegebenenfalls Beweis über die tatsächlichen Voraussetzungen für das Vorliegen eines Verwertungsverbots erheben. So wird es regelmäßig Anlass haben nachzufragen, aus welchem Anlass und auf welche Weise eine Videoaufzeichnung entstanden ist, deren Inaugenscheinnahme als (einziger) Beweis angeboten wird.

Fachanwalt für IT-Recht Jens Ferner