Das Urteil des BGH vom 17.10.2023 (VI ZR 192/22) behandelt eine Klage auf Unterlassung von Äußerungen und auf Zahlung vorgerichtlicher Abmahnkosten, die im Kontext einer Debatte über sexuell übergriffiges Verhalten in der Poetry-Slam-Szene stehen
Sachverhalt
Der Kläger, ein bekannter Poetry-Slam-Künstler, wurde von der Beklagten, ebenfalls eine Poetry-Slammerin, beschuldigt, sie sexuell übergriffig behandelt zu haben. Die Äußerungen der Beklagten erfolgten in einer Facebookgruppe, die der Poetry-Slam-Szene zugehörig ist. Der Kläger hatte zuvor in einem öffentlichen Post zu Diskussionen um sein Verhalten aufgerufen.
Rechtliche Analyse
- Bewertung der Äußerungen: Die vom BGH vorgenommene Abwägung bezieht sich auf das Persönlichkeitsrecht des Klägers und die Meinungsfreiheit der Beklagten. Die Äußerungen über sexuelle Übergriffe betreffen die Intimsphäre des Opfers und sind Teil seines persönlichen Erlebens, wodurch sie von besonderem Gewicht sind.
- Meinungsfreiheit und Opferperspektive: Der BGH stellt fest, dass das Interesse der Gesellschaft an der Information aus Opferperspektive überwiegt, besonders in einem thematisch relevanten Kontext wie der Debatte in der Poetry-Slam-Szene.
- Gewicht der Äußerungen: Die vom Kläger behauptete Rechtswidrigkeit der Äußerungen wurde vom BGH abgelehnt. Die Meinungsfreiheit des Opfers wiegt in diesem Fall schwerer, da die Äußerungen Teil einer wichtigen gesellschaftlichen Debatte sind.
Schlussfolgerungen für Betroffene
Dieses Urteil unterstreicht die Bedeutung der Meinungsfreiheit und der Möglichkeit für Opfer, ihre Erfahrungen zu teilen, auch wenn dies schwerwiegende Folgen für die Persönlichkeitsentfaltung des Täters haben kann. In Fällen, in denen öffentliches Interesse besteht und die Schilderung für eine gesellschaftliche Debatte relevant ist, kann das Interesse des Opfers, über die Tat und die Identität des Täters zu berichten, das Persönlichkeitsrecht des Täters überwiegen.
Empfehlungen für den Alltag
- Opfer sexueller Übergriffe sollten ermutigt werden, über ihre Erfahrungen zu sprechen, besonders wenn dies zur Aufklärung oder Prävention beitragen kann.
- Die Gesellschaft muss sich der Bedeutung des Themas sexuelle Übergriffe und deren öffentliche Diskussion bewusst sein.
- In solchen Debatten ist eine sorgfältige Abwägung zwischen Persönlichkeitsrecht und Meinungsfreiheit erforderlich, wobei der Kontext und das öffentliche Interesse entscheidend sind.
Das Urteil trägt zur Klärung bei, wie das Persönlichkeitsrecht und die Meinungsfreiheit, insbesondere aus der Opferperspektive, in Fällen von sexueller Übergriffigkeit zu bewerten sind.
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