Prozessuale Hintergründe einer Aussetzung eines Zivilprozesses nach Vorlage an das Bundesverfassungsgericht (BVerfG)

Nach § 148 Abs. 1 ZPO kann ein Gericht ein Verfahren aussetzen, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder teilweise von einem anderen Rechtsverhältnis abhängt, das Gegenstand eines anderen Rechtsstreits ist. Dies bedeutet, dass die Entscheidung in einem Verfahren die Entscheidung des anderen Verfahrens rechtlich beeinflussen kann.

Vorlage an das Bundesverfassungsgericht

Wenn in einem Zivilverfahren eine entscheidungserhebliche Frage zur Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes oder einer Norm besteht, kann das Gericht diese Frage dem Bundesverfassungsgericht vorlegen. Während dieser Vorlage kann das Verfahren ausgesetzt werden, um die Entscheidung des BVerfG abzuwarten.

Entscheidung des BGH im Fall VIII ZB 40/23

Der BGH entschied, dass die bloße Tatsache, dass eine Verfassungsbeschwerde anhängig ist, nicht ausreicht, um ein Zivilverfahren nach § 148 Abs. 1 ZPO auszusetzen. Das Berufungsgericht hatte den Rechtsstreit bis zum Abschluss des vor dem Bundesverfassungsgericht anhängigen Verfahrens 2 BvR 1361/22 und zwei beim BGH anhängigen Revisionsverfahren ausgesetzt.

Der BGH hob diesen Aussetzungsbeschluss auf und führte aus:

  1. Fehlende Vorgreiflichkeit: Die Entscheidung des BVerfG entfaltet keine materielle Rechtskraft für den hier streitgegenständlichen Rechtsstreit anderer Kläger. Sie hat auch keine Gestaltungs- oder Interventionswirkung.
  2. Keine Rechtsfrage als Rechtsverhältnis: Die Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes oder einer gerichtlichen Entscheidung ist keine Frage eines Rechtsverhältnisses im Sinne des § 148 Abs. 1 ZPO, sondern eine Rechtsfrage.
  3. Keine analoge Anwendung von § 148 Abs. 1 ZPO: Die bloße Existenz zahlreicher Parallelverfahren rechtfertigt keine Aussetzung. Die Vorschrift stellt auf die Abhängigkeit vom Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses ab. Es müssen qualifizierte Gründe vorliegen, die über bloße Zweckmäßigkeit hinausgehen.
  4. Unmöglichkeit der Bewältigung von Massenverfahren: Der BGH ließ die Frage offen, ob eine Vielzahl von gleichgelagerten Verfahren eine Aussetzung rechtfertigen könnte, stellte aber klar, dass dies im vorliegenden Fall nicht zutrifft, da nur etwa 22 Parallelverfahren anhängig waren.

Fazit

Die Aussetzung eines Zivilprozesses nach Vorlage an das BVerfG ist nicht gerechtfertigt, wenn es lediglich um die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage geht. Es muss eine rechtliche Abhängigkeit zwischen den Verfahren bestehen, die mehr als nur eine sachliche oder tatsächliche Verbindung darstellt. Der BGH betont die Notwendigkeit einer strikten Anwendung der gesetzlichen Voraussetzungen für eine Verfahrensaussetzung nach § 148 ZPO.

Fachanwalt für IT-Recht Jens Ferner