Sachvortragsverwertungsverbots im Kündigungsschutzprozess

Das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg (12 Sa 56/21) hat eine Einzelfallentscheidung zum Bestehen eines Sachvortragsverwertungsverbots im Kündigungsschutzprozess in Bezug auf Erkenntnisse getroffen, die durch eine unverhältnismäßige Auswertung von E-Mails oder WhatsApp-Nachrichten gewonnen wurden.

Dabei betonte das Gericht, dass bei erlaubter Privatnutzung eines dienstlichen E-Mail-Accounts eine verdachtsunabhängige Kontrolle durch den Arbeitgeber grundsätzlich nicht heimlich erfolgen darf. Vielmehr muss dem Arbeitnehmer angekündigt werden, dass und aus welchem Grund eine Auswertung der E-Mails erfolgen soll. Ihm ist Gelegenheit zu geben, private Nachrichten in einem gesonderten Ordner zu speichern, auf den nicht zugegriffen werden kann.

Vieles spricht dafür, dass der Arbeitnehmer bei Fehlen einer ausdrücklichen Regelung durch den Arbeitgeber grundsätzlich davon ausgehen kann, dass er auch zur privaten Kommunikation über einen dienstlichen E-Mail-Account berechtigt ist.

Und: Wird einem Arbeitnehmer ein Smartphone als umfassendes Kommunikations- und Organisationsgerät zur Verfügung gestellt und erfolgt ausdrücklich eine einvernehmliche Mischnutzung hinsichtlich bestimmter Kommunikationsformen (WhatsApp; SMS; Telefon), darf der Arbeitnehmer davon ausgehen, dass sich die Erlaubnis auch auf andere Kommunikationsformen (E-Mail) bezieht.

Zum Verwertungsverbot führt es dann aus:

Ein Sachvortrags- oder Beweisverwertungsverbot wegen einer Verletzung des gemäß Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 1 Abs. 1 GG geschützten allgemeinen Persönlichkeitsrechts einer Partei (vgl. auch Art. 8 Abs. 1 EMRK) kann sich im arbeitsgerichtlichen Verfahren aus der Notwendigkeit einer verfassungskonformen Auslegung des Prozessrechts – etwa von § 138 Abs. 3, § 286, § 331 Abs. 1 Satz 1 ZPO – ergeben. Wegen der nach Art. 1 Abs. 3 GG bestehenden Bindung an die insoweit maßgeblichen Grundrechte und der Verpflichtung zu einer rechtsstaatlichen Verfahrensgestaltung hat das Gericht zu prüfen, ob die Verwertung von heimlich beschafften persönlichen Daten und Erkenntnissen, die sich aus diesen Daten ergeben, mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Betroffenen vereinbar ist.

Das Grundrecht schützt neben der Privat- und Intimsphäre und seiner speziellen Ausprägung als Recht am eigenen Bild auch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, das die Befugnis garantiert, selbst über die Preisgabe und Verwendung persönlicher Daten zu befinden (vgl. BAG 27. Juli 2017 – 2 AZR 681/16 – Rn. 16). Da der Anspruch auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG grundsätzlich gebietet, den Sachvortrag der Parteien und die von ihnen angebotenen Beweise zu berücksichtigen, kommt ein „verfassungsrechtliches Verwertungsverbot“ nur in Betracht, wenn dies wegen einer grundrechtlich geschützten Position einer Prozesspartei zwingend geboten ist (BAG 23. August 2018 – 2 AZR 133/18 – Rn. 14).

Die Bestimmungen des BDSG über die Anforderungen an eine zulässige Datenverarbeitung konkretisieren und aktualisieren den Schutz des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung. Sie ordnen für sich genommen jedoch nicht an, dass unter ihrer Missachtung gewonnene Erkenntnisse oder Beweismittel bei der Feststellung des Tatbestands im arbeitsgerichtlichen Verfahren vom Gericht nicht berücksichtigt werden dürften. War die betreffende Maßnahme nach den Vorschriften des BDSG zulässig, liegt insoweit keine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts in Gestalt des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung vor. Ein Verwertungsverbot scheidet von vornherein aus. So liegt es namentlich, wenn die umfassende Abwägung der widerstreitenden Interessen und Grundrechtspositionen im Rahmen der Generalklausel des § 26 Abs. 1 BDSG n.F. (früher: § 32 Abs. 1 BDSG a.F.) zugunsten des Arbeitgebers ausfällt (BAG 23. August 2018 – 2 AZR 133/18 – Rn. 15, BAGE 163, 239; LAG Niedersachsen 6. Juli 2022 – 8 Sa 1148/20 – Rn. 72 ff).

War die fragliche Maßnahme nach den Bestimmungen des BDSG indes nicht erlaubt, folgt hieraus regelmäßig ein Verbot der Verwertung der unzulässig beschafften Daten und Erkenntnisse. Allenfalls wenn weitere, über das schlichte Beweisinteresse hinausgehende Aspekte hinzutreten und diese besonderen Umstände gerade die in Frage stehende Informationsbeschaffung als gerechtfertigt ausweisen, kann trotz unzulässiger Datenerhebung eine Verwertung in Betracht kommen (BAG 27. Juli 2017 – 2 AZR 681/16 –, BAGE 159, 380 ff, Rn. 41; LAG Berlin-Brandenburg 11. September 2020 – 9 Sa 584/20 – Rn. 83). Ebenso kann eine Verwertung ausnahmsweise in Betracht kommen, wenn die (Grund-)Rechtswidrigkeit der Datenerhebung allein gegenüber anderen Beschäftigten besteht, die ungerechtfertigte „vorprozessuale“ Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch die Verwertung ausnahmsweise nicht perpetuiert oder vertieft würde und der Verwertung auch Gründe der Generalprävention nicht entgegenstehen (BAG 23. August 2018 – 2 AZR 133/18 – Rn. 15 mwN, BAGE 163, 239; LAG Niedersachsen 6. Juli 2022 – 8 Sa 1148/20 – Rn. 64)

Fachanwalt für IT-Recht Jens Ferner