Regelmäßig stellt sich die Frage der Haftung des Anschlussinhabers eines Internetzugangs wenn Dritte (also nicht der Anschlussinhaber selber) über dessen Anschluss Rechtsverletzungen begehen. Dabei geht es um die so genannte „Störerhaftung“ des Anschussinhabers oder WLAN-Betreibers. Besonders beliebt sind hierbei folgende Fragen:
- Ob derjenige haften soll, der mit einem gewissen Interesse ein offenes WLAN betreibt, wie etwa Internet-Cafes
- Wie die Haftung desjenigen aussieht, der zwar kein allgemein offenes WLAN anbietet, aber Dritten Zugang zum Internet über den eigenen Anschluss gestattet (so etwa bei Hotels)
- Wie sich die Haftung bei Rechtsverletzungen über private Anschlüsse, etwa durch Familienangehörige gestaltet
Im Folgenden eine Übersicht zum Thema, die regelmäßig aktualisiert wird. Seit dem Oktober 2017 soll dabei die Störerhaftung durch den Gesetzgeber durch eine Reform des Telemediengesetzes massiv eingeschränkt worden sein. Es bleibt abzuwarten ob dies tatsächlich erreicht wurde, aktuell spricht vieles dafür.
Entwicklung auf gesetzgeberischer Ebene
Die Rechtsprechung zur Störerhaftung bei WLAN war sehr stark im Fluss, bis dann im März 2016 der Generalanwalt beim EUGH die Meinung vertreten hat, dass das bisher in Deutschland vertretene Modell der Störerhaftung wohl nicht weiter zu halten ist. Seitdem hat die Bundesregierung im Mai 2016 bekannt gegeben, dass man noch im Jahr 2016 die Störerhaftung beim Betrieb von WLAN nahezu abschaffen möchte. Darüber hinaus hat der BGH im Mai 2016 entschieden, dass die Störerhaftung bei WLAN gegenüber erwachsenen Personen, Gästen und Mitbewohnern faktisch nicht anzuwenden ist. Nach einem ersten Anlauf des Gesetzgebers in Jahr 2016, der eher gemischt bewertet wurde, reagierte der Gesetzgeber dann zum Oktober 2017 – seit dem Oktober 2017 soll die Störerhaftung beim Betrieb offener WLAN weitestgehend beseitigt sein. Mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes scheint sich dies nunmehr bestätigt zu haben.
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Störerhaftung
Der Bundesgerichtshof hat sich inzwischen in mehreren Entscheidungen zum Thema Filesharing geäußert. An dieser Stelle möchte ich die hiesigen Besprechungen der jeweiligen Artikel an zentraler Stelle erfassen um einen Überblick zu ermöglichen:
- Die erste Entscheidung des BGH („Sommer unseres Lebens“, I ZR 121/08, Beitrag dazu) aus dem Jahr 2010 hat Grundzüge der Störerhaftung für Anschlussinhaber zusammen gestellt. Es lief damals im Kern darauf hinaus, dass der Anschussinhaber im Zweifelsfall haftet, zum einen stritt eine Vermutung für seine Tätershaft, zum anderen war er am Ende Störer bei Handlungen Dritter. Die Rechtsprechung fing unter Bezugnahme auf diese Entscheidung an, die sekundäre Darlegungslast des Anschlussinhabers über Gebühr zu erstrecken, Verteidigung war kaum denkbar.
- In den nächsten beiden Entscheidungen 2012 hat der BGH („Morpheus“, I ZR 74/12 und „Bearshare“, I ZR 169/12) sich dann weiter mit der Störerhaftung beschäftigt, hier speziell zur Familiensituation. Allgemein wurde die Entscheidung als Verbesserung für Anschussinhaber empfunden, hier begann es dann, dass der Anschlussinhaber unter Verweis auf die Nutzungsmöglichkeit durch Dritte die Vermutung der Täterschaft entkräften konnte; weiterhin war die Haftung innerhalb der Familie spürbar begrenzt.
- Im Jahr 2015 folgten drei weitere Entscheidungen des BGH („Tauschbörse I“, I ZR 19/14, „Tauschbörse II“, I ZR 7/14 und „Tauschbörse III“, I ZR 75/14) mit denen die bisherige Rechtsprechung weiter konkretisiert wurde. Es steht zu erwarten, dass die Entscheidungen eine Richtschnur vorgeben zu den Fragen: Beweislast des Rechteinhabers im Bereich der Ermittlung der IP-Adresse, Haftung und Aufsichtspflicht der Eltern bei minderjährigen Kindern, Beweisführung des Anschussinhabers und Höhe des Schadensersatzes.
- Im Mai 2016 folgten weitere Entscheidungen (BGH, I ZR 272/14, I ZR 1/15 und I ZR 44/15) in denen es um die Bemessung des Streitwerts ging. Der BGH erklärte, dass die Gerichte hier teilweise deutlich zu unsauber arbeiten, da bei der Bemessung des Streitwerts insbesondere wirtschaftlicher Wert des verletzten Rechts, Aktualität und Popularität des Werks, Intensität und Dauer der Rechtsverletzung sowie subjektive Umstände auf Seiten des Verletzers zu berücksichtigen sind. Das bisher schematische Ansetzen von Streitwerten lehnt der BGH strikt ab.
- Ebenfalls im Mai 2016 hat der BGH (BGH, I ZR 86/15) sodann laut der bisher vorliegenden Pressemitteilung wohl mit einem Paukenschlag verkündet, dass die bisher streng geltende Störerhaftung aufzuweichen ist: „Den Inhaber eines Internetanschlusses, der volljährigen Mitgliedern seiner Wohngemeinschaft, seinen volljährigen Besuchern oder Gästen einen Zugang zu seinem Internetanschluss ermöglicht, trifft keine anlasslose Belehrungs- und Überwachungspflicht.“
- Allerdings kam der BGH im März 2017 zu dem Ergebnis, dass man als Eltern Familienangehörige, die den Verstoss zugegeben haben, bei Gericht zu benennen hat (dazu hier mehr).
- Unter Berücksichtigung der vorher ergangen EUGH-Rechtsprechung zur Störerhaftung bei offenem WLAN konnte sich dann der BGH im Jahr 2018 nochmals postieren und klar stellen, dass eine Störerhaftung bei offenem WLAN nicht mehr in Frage kommt, allenfalls Sperrungen nach vorherigem Hinweis im Raum stehen.
Fallgruppen zur Störerhaftung
Es gibt eine beachtliche Menge an gerichtlichen Entscheidungen zur Störerhaftung des Anschlussinhabers, die hier nicht (mehr) erschöpfend dargestellt wird. Ausreichend ist die Erkenntnis, dass es mit der Rechtsprechung des BGH eine grundsätzliche Störerhaftung des Anschlussinhabers gibt, wobei eine Vermutung dafür spricht, dass der Anschlussinhaber die über seinen Anschluss begangene rechtswidrige Handlung auch selber begangen hat.
Doch: Dies ist nur eine Vermutung, die widerlegt werden kann – so wie es auch Ausnahmen von dieser grundsätzlichen Störerhaftung gibt. Hinsichtlich der Widerleglichkeit der Vermutung der eigenen Täterschaft hat der BGH (I ZR 169/12) Anfang 2014 endlich klargestellt:
Wird über einen Internetanschluss eine Rechtsverletzung begangen, ist eine tatsächliche Vermutung für eine Täterschaft des Anschlussinhabers nicht begründet, wenn zum Zeitpunkt der Rechtsverletzung (auch) andere Personen diesen Anschluss benutzen konnten.
Das bedeutet, wenn man seinen Internetanschluss mit anderen teilt und dies auch darlegt, besteht keine Vermutung mehr für eine eigene Täterschaft! Aber es verbleibt bei der Frage, ob hinsichtlich der Dritten, denen der Zugriff gewährt wurde, eine Störerhaftung begründet wurde.
Störerhaftung innerhalb der Familie
Die Situation innerhalb der Familie hatte sich mit der sich entwickelnden Rechtsprechung des BGH, die seit Mitte 2014 auch die Amtsgerichte erreicht hat, durchaus verbessert. Soweit andere Familienmitglieder als Nutzer vorhanden sind, scheidet wie dargestellt eine Vermutung der Täterschaft aus. Es verbleibt dann aber bei der Frage, ob eine Störerhaftung vorliegt.
Dabei hatte der BGH klar gestellt, dass das Eltern-Kind-Verhältnis privilegiert ist und sowohl bei minderjährigen als auch volljährigen Kindern, gleich ob leibliche Kinder oder „Stiefkinder“ keine anlasslosen Prüf- und Überwachungspflichten bestehen. Diese Rechtsprechung hat der BGH dann weiter ausgebaut und erklärt:
Der Inhaber eines Internetanschlusses haftet grundsätzlich nicht als Störer auf Unterlassung, wenn volljährige Familienangehörige den ihnen zur Nutzung überlassenen Anschluss für Rechtsverletzungen missbrauchen. Erst wenn der Anschlussinhaber konkrete Anhaltspunkte für einen solchen Missbrauch hat, muss er die zur Verhinderung von Rechtsverletzungen erforderlichen Maßnahmen ergreifen.
Zwischen Ehepartnern wurde schon früher von verschiedenen OLG eine anlasslose Prüfung und damit Haftung abgelehnt; mit der von dem BGH entwickelten Linie wird man somit bei volljährigen Familienangehörigen – und seit 2016 auch bei volljährigen Gästen! – abschliessend gar keine anlasslose Überwachung fordern können. Die frühere Rechtsprechung zur Haftung in Familien ist damit im Kern weitestgehend überholt, ältere Berichte sollten mit diesem Augenmerk gelesen werden.
Übrigens: Etwas anderes ist die Frage, ob ein Anschlussinhaber für alle Kosten aufkommen muss, die (etwa durch Kinder) über seinen Anschluss erzeugt werden – etwa Telefoniekosten oder auch Kosten für Online-Spiele. Dies ist noch umstritten, das AG Hamburg lehnte hier eine Haftung ab – das Landgericht Bochum (4 O 408/08) sah dies jedoch anders.
Insgesamt, nachdem die Störerhaftung abgeschaffen wurde, sehe ich hier keinen direkten Anhaltspunkt für eine Haftung bei Rechtsverletzungen die ab Oktober 2017 begangen werden. Eine Ausnahme ist aber bei minderjährigen Kindern gegeben wenn sich Anhaltspunkte für eine Aufsichtspflichtverletzung ergeben.
Dazu mehr von mir: Rechtsprechung zur Störerhaftung in Familien
Störerhaftung im Mietverhältnis
Ebenfalls soll mit dem Amtsgericht München (142 C 10921/11, hier bei uns) eine Haftung des Vermieters ausgeschlossen sein, wenn dessen Mieter einen auf den Vermieter laufenden Anschluss nutzt. Selbiges soll in vermieteten Ferienwohnungen gelten (LG Frankfurt, 2-06 O 304/12). Auch in Wohngemeinschaften soll es – jedenfalls für den Hauptmieter im Verhältnis zu seinen Untermietern – keine solche Haftung geben mit dem Landgericht Köln.
Die Rechtsprechung in diesem Bereich überzeugt, da sie daran anknüpft, dass hier selbstverantwortliche Personen agieren. In der Praxis zeigt sich, dass Abmahner in entsprechenden Situationen vorsichtig reagieren. Da aber höchstrichterliche Rechtsprechung fehlt: Lieber zumindest schriftlich die Nutzer belehren und sich gegenzeichnen lassen, dass der Internetanschluss nicht für rechtswidrige Aktionen genutzt wird. Kontrollpflichten sind daneben nicht zu erkennen, vielmehr wären sie wahrscheinlich sogar rechtswidrig.
Inzwischen scheint der BGH, I ZR 86/15, im Mai 2016 entschieden zu haben, dass auch innerhalb von Wohngemeinschaften keine Überwachungspflichten bestehen (siehe oben). Darüber hinaus, nachdem die Störerhaftung abgeschaffen wurde, sehe ich hier keinen direkten Anhaltspunkt für eine grundsätzliche Haftung bei Rechtsverletzungen die ab Oktober 2017 begangen werden.
Störerhaftung bei Angeboten von Hotels und Internet-Cafés
Immer wieder fraglich ist es, wie es bei Internet-Cafés und Hotels aussehen soll, die zum Kaffee oder Zimmer noch einen WLAN-Zugang bereit halten, um Kunden „anzulocken“. Tatsächlich gab es hier einige Abmahnungen, die aber wohl kritisch zu sehen sind. Denn der BGH hatte in einer früheren Entscheidung (BGHZ 158, 236, 251) die Störerhaftung dann eingeschränkt, wenn ein (legales) Geschäftsmodell durch die Störerhaftung bedroht wird. Beachten Sie dazu den Beitrag von uns zur Störerhaftung bei Hotels oder Internet-Cafes.
Das Landgericht Hamburg (310 O 433/10) war hier weniger kritisch und wollte eine Störerhaftung bei einem Internet-Cafe jedenfalls nicht ausschließen, wenn gar keine Sicherungsmaßnahmen gegen Rechtsbrüche vorgenommen wurden. Überzeugender ist da die Entscheidung des Landgerichts Frankfurt a.M. (2-6 S 19/09: Dieses sah jedenfalls dann keine Haftung des Hotelinhabers, wenn die Gäste vor Nutzung des WLAN auf die Einhaltung gesetzlicher vorgaben hingewiesen wurden.
Inzwischen, nachdem die Störerhaftung abgeschaffen wurde, sehe ich keinen direkten Anhaltspunkt für eine grundsätzliche Haftung bei Rechtsverletzungen die ab Oktober 2017 über einen freien Internetzugang in der Gastronomie begangen werden.
Störerhaftung: Was können Betreiber eines WLAN tun?
Sie sollten sich im Klaren sein, dass auch wenn mehrere Ihr WLAN (erlaubt oder unerlaubt) nutzen, letztendlich faktisch der Anschlussinhaber zählt – Ihr Anschluss erhält eine IP im Netz. Gleich welcher Nutzer etwas unternimmt, am Ende wird es (erstmal) Ihrem Anschluss zugeordnet. Wie lange eine solche IP heute beim Provider aufbewahrt wird und im Nachhinein ihrem Anschluss zugeordnet werden kann, ist zur Zeit reines Glückspiel. Vertrauen Sie auf keinen Fall darauf, dass nach kürzerer Zeit eine Zuordnung unmöglich ist. Vielmehr gibt es vermehrt hinweise, die darauf deuten, dass gelegentlich bei manchem Provider auf die Daten über Wochen hinweg zugegriffen wird.
In juristischer Hinsicht sehe keine grundsätzliche Haftung mehr. Gleichwohl gibt es Besonderheiten, insoweit ist aus meiner Sicht hervor zu heben:
- In der Familie gibt es weiterhin die Möglichkeit einer Haftung im Zuge einer denkbaren Aufsichtspflichtverletzung
- Man muss in der Lage sein zügig Netzsperren durchzuführen und dies auch dokumentieren zu können
- Wer sich auf die Haftungsprivilegierung eines freien WLAN berufen will muss hinreichend sicher dokumentieren ein solches auch angeboten zu haben
Letztlich aber sind die obigen Absätze nur grobe Einschätzungen, aufgrund der durch die Gesetzgebung neuen Rechtslage ist es nahezu unmöglich, ernsthafte Ratschläge zu geben die einen generellen Anspruch auf Richtigkeit erheben können.
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