In einem bemerkenswerten Urteil des Kammergerichts (KG) Berlin vom 30. November 2023 (Aktenzeichen: 2 ORs 31/23 – 121 Ss 130/23) wurde die Frage der Strafbarkeit der Aufzeichnung und Speicherung von Videoaufnahmen einer Routinepolizeikontrolle behandelt. Dieser Fall wirft wichtige Fragen über die Grenzen der Überwachung durch Bürger und den Schutz der Privatsphäre von Polizeibeamten auf. Dazu auch auf LinkedIN.
Der Sachverhalt
Der Angeklagte hatte während einer Routinepolizeikontrolle am 4. Juli 2020 die Beamten ohne deren Wissen gefilmt und die Aufnahmen später auf seinen sozialen Medien veröffentlicht, nachdem er die Identität der Beamten durch Verpixelung und Stimmenverzerrung unkenntlich gemacht hatte. Trotz dieser Anonymisierung stellte einer der Beamten einen Strafantrag, woraufhin der Angeklagte vom Amtsgericht Tiergarten ursprünglich zu einer Geldstrafe verurteilt wurde. Das Landgericht Berlin hob dieses Urteil jedoch auf und sprach den Angeklagten frei, eine Entscheidung, die von der Staatsanwaltschaft angefochten wurde.
Die rechtliche Bewertung
Das KG Berlin stellte fest, dass die Aufzeichnung und Speicherung von Videoaufnahmen ohne Wissen der gefilmten Personen eine Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs darstellen kann, auch wenn die Beamten während ihrer Amtsausführung öffentlich sichtbar waren. Die Gerichtsentscheidung betont, dass selbst Polizeibeamte in Ausübung ihres Amtes nicht automatisch den Schutz ihrer personenbezogenen Daten verlieren.
Datenschutz und Persönlichkeitsrechte
Das Gericht verwies auf die DSGVO, nach der das von einer Kamera aufgezeichnete Bild einer Person als „personenbezogene Daten“ gilt, sofern es die Identifikation der betroffenen Person ermöglicht. Es wurde betont, dass die Anonymisierung durch Verpixelung in diesem Fall nicht ausreichte, um die rechtlichen Anforderungen zu erfüllen.
Dies führt dann zu einer Strafbarkeit, denn: Nach § 42 Abs. 2 Nr. 1 BDSG macht sich strafbar, wer personenbezogene Daten, die nicht allgemein zugänglich sind, unbefugt und gegen Entgelt oder in der Absicht, sich oder einen anderen zu bereichern oder einen anderen zu schädigen, verarbeitet:
Der Begriff der personenbezogenen Daten als Schlüsselbegriff des Datenschutzrechts ist nach Art. 4 Nr. 1 DSGVO auszulegen (vgl. Auernhammer/Gola, DSGVO BDSG 7. Aufl., § 42 BDSG Rn. 6). Das von einer Kamera aufgezeichnete Bild einer Person fällt unter den Begriff „personenbezogene Daten“ im Sinne von Art. 4 Nr. 1 DSGVO, sofern es die Identifikation der betroffenen Person ermöglicht (vgl. EuGH NVwZ 2019, 465; Kirchhoff NVwZ 2021, 1177; Krüger/Wiencke MMR 2019, 76; Benedikt/Kranig ZD 2019, 4; Raji ZD 2019, 61).
Die Voraussetzungen der – eng zu verstehenden (vgl. Raji aaO) – sogenannten Haushaltsausnahme nach Art. 2 Abs. 2 c) DSGVO, wonach die Verordnung keine Anwendung auf die Verarbeitung personenbezogener Daten durch natürliche Personen zur Ausübung ausschließlich persönlicher oder familiärer Tätigkeiten findet, liegen ersichtlich nicht vor (vgl. EuGH aaO). Auch der Umstand, dass Polizeibeamte im Rahmen der Ausübung ihres Amtes auf Video aufgezeichnet werden, führt nicht zum Ausschluss einer solchen Art der Verarbeitung personenbezogener Daten aus dem Anwendungsbereich der Verordnung (vgl. EuGH aaO für die Richtlinie 95/46/EG). (…)
Soweit der Täter nicht gegen Entgelt oder mit Schädigungsabsicht handelt, setzt Abs. 2 des § 42 BDSG voraus, dass der Täter in der Absicht handelt, sich oder einen anderen zu bereichern. Der Wille des Täters muss gerade darauf gerichtet sein, sich oder einem Dritten einen Vermögensvorteil zu verschaffen. Kommt es dem Täter gerade auf diesen Erfolg an, genügt es, dass er dessen Eintritt nur für möglich hält. Ob der Täter tatsächlich einen Vermögensvorteil erlangt, ist irrelevant (vgl. Kühling/Buchner/Bergt aaO Rn. 47 mwN). Die Bereicherungsabsicht braucht auch nicht der alleinige Zweck der strafbaren Handlung zu sein (vgl. Schaffland/Holthaus aaO Rn. 34). Der erstrebte Vermögensvorteil muss weder rechtswidrig sein, noch sich unmittelbar aus der Tathandlung ergeben und wird dies auch häufig nicht (vgl. Kühling/Buchner/Bergt aaO Rn. 49; Gola/Heckmann/Ehmann aaO Rn. 25; Taeger/Gabel/Wybitul/Zhou aaO Rn. 21). Auch Vermögensvorteile, die der Täter von Dritten erwartet, sind tatbestandsmäßig. Bereits kleinste Vermögensverschiebungen genügen, um eine Bereicherung zu bejahen (vgl. Kühling/Buchner/Bergt aaO Rn. 48).
Am Ende stört sich das KG daran, dass man zur subjektiven Seite und dem erstrebten Ziel nichts festgestellt hat:
Es fehlen jegliche Feststellungen zur subjektiven Tatseite und etwaigen mit der Aufzeichnung, Speicherung und Bearbeitung verfolgten Zwecken des Angeklagten. Die Feststellung der Berufungskammer, aufgrund der wirksamen Beschränkung des Strafantrags habe dahinstehen können, dass weder der Tatbestand des § 42 Abs. 1 BDSG noch derjenige des § 42 Abs. 2 BDSG (in Ermangelung der Entgeltlichkeit, Bereicherungs- oder Schädigungsabsicht des Angeklagten) vorgelegen habe, führt zu keiner anderen Beurteilung.
Denn das Landgericht hat es unterlassen mitzuteilen, aus welchen Gründen die für einen Schuldspruch erforderlichen zusätzlichen Feststellungen zur subjektiven Tatseite nicht getroffen werden konnten. Dies ist in der Regel – so auch hier – nicht in einem Satzteil zu erledigen (vgl. BGH NStZ-RR 2019, 254).
Implikationen für die Öffentlichkeit
Dieses Urteil hat weitreichende Implikationen für die öffentliche Aufzeichnung von Polizeieinsätzen. Es stellt klar, dass Bürger, die Polizeiaktionen filmen, sicherstellen müssen, dass sie nicht in die Persönlichkeitsrechte der Beamten eingreifen, auch wenn sie dabei öffentliche Vorgänge dokumentieren. Die Entscheidung unterstreicht die Notwendigkeit einer sorgfältigen Abwägung zwischen Transparenz im Polizeihandeln und dem Schutz individueller Datenschutzrechte.
Fazit
Die Entscheidung lässt aufhorchen: Dass Fotos personenbezogene Daten darstellen können, ist durchaus naheliegend und wird schon länger diskutiert (zusammenfassend dazu: Assmus/Winzer in ZD 2018, 508). Nachdem man sich nun jahrlang über den Umweg des §201 StGB darüber gestritten hat, ob Videoaufnahmen von Polizisten ein Problem sind, eröffnet das KG ein neues Spielfeld – dabei ist kritisch, dass man den erstrebten Vermögensvorteil weit definieren möchte, so dass auch immateriell erlangte Vorteile eine Rolle spielen können.
Es kann nur vermutet werden, dass Image, Reputation oder (wirtschaftlich messbare) Reichweite in sozialen Medien damit durch das KG avisiert sind. Der bisher in der Praxis kaum existierende §42 BDSG könnte damit das Datenschutzstrafrecht zum scharfen Schwert im Kampf gegen Videoaufnahmen machen, die bisher vor allem mit dem zivilrechtlichen Persönlichkeitsrechtsschutz anzugehen waren.
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