In einer aktuellen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, 1 BvR 2279/23) wurde die Verfassungsbeschwerde eines Beschwerdeführers gegen die Nichtanerkennung einer Strafvorschrift als Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB nicht zur Entscheidung angenommen. Die Beschwerde zielte auf die Klärung der Rechtslage bezüglich der öffentlichen Wiedergabe von Auszügen aus beschlagnahmten Tagebüchern, die der Beschwerdeführer in einem Gerichtsverfahren eingereicht hatte.
„Öffentliche Wiedergabe von Auszügen aus beschlagnahmten Tagebüchern“ weiterlesenPressemitteilung der Staatsanwaltschaft: Rechtliche Grenzen der Verdachtsberichterstattung
Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof München hat am 21. März 2024 (Aktenzeichen 7 CE 24.218) in einem Fall entschieden, der die Balance zwischen der Öffentlichkeitsarbeit der Staatsanwaltschaft und dem Persönlichkeitsrecht des Einzelnen betrifft. Der Fall dreht sich um eine Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft während eines laufenden Ermittlungsverfahrens und wirft Fragen zur Zulässigkeit der Verdachtsberichterstattung auf.
„Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft: Rechtliche Grenzen der Verdachtsberichterstattung“ weiterlesenDie Grenzen der Litigation-PR in der Strafverteidigung
In einem aufsehenerregenden Strafverfahren wegen sexueller Nötigung einer Polizistin, wurde der Inspekteur der Polizei Baden-Württemberg freigesprochen – und zieht weitere juristische Kreise. Im Zentrum einer aktuellen Entscheidung des OLG Stuttgart (I-4 U 129/23) steht eine Presseerklärung der Verteidigung, genauer der Strafverteidigerin des Angeklagten, die wohl vor Beginn der Hauptverhandlung („Die Beklagte hat vor Beginn der Hauptverhandlung am 21. April 2023 eine Presseerklärung an Medienvertreter verteilen lassen“) an Medienvertreter verteilt wurde. Diese Erklärung enthält mehrere brisante Aussagen über das Tatopfer, darunter Behauptungen über dessen Aussageverhalten, Intimleben und Motive – und gibt nun Anlass, dass das Gericht sich zur Litigation-PR im Strafverfahren äußert.
„Die Grenzen der Litigation-PR in der Strafverteidigung“ weiterlesenBVerfG zur Litigation-PR über Anwaltswebseite
Das Bundesverfassungsgericht (1 BvR 1962/23) hat sich im Rahmen einer – unzulässigen – Verfassungsbeschwerde am Rande über (im weitesten Sinne) Litigation-PR über eine Anwaltswebseite äussern können. Es zeigt sich, dass auch dieser Weg aus Sicht des BVerfG noch zum geschützten Bereich des Kampfs ums Recht gehört und von den Gerichten beim Streit um Äußerungen entsprechend zu berücksichtigen ist.
„BVerfG zur Litigation-PR über Anwaltswebseite“ weiterlesenZur Berücksichtigung von Presseberichterstattung bei der Strafzumessung
Die Medienberichterstattung kann sich bei der Strafzumessung zugunsten des Angeklagten auswirken, muss es aber nicht. Dabei ist zu beachten, dass die Berichterstattung in den Medien über eine Straftat und die Person des Angeklagten nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs regelmäßig kein maßgeblicher Strafzumessungsgrund ist (selbst wenn sie „aggressiv und vorverurteilend“ ist – BGH, 3 StR 149/18).
Hintergrund ist, dass nachteilige, typische und vorhersehbare Folgen für den Täter nach der Rechtsprechung des BGH nicht per se strafmildernd sind: Wer bei seiner Tat bestimmte Nachteile für sich (nicht gewollt, aber) bewusst in Kauf genommen hat, verdient mit dem BGH in der Regel keine strafmildernde Berücksichtigung solcher Folgen (BGH, 1 StR 164/07).
„Zur Berücksichtigung von Presseberichterstattung bei der Strafzumessung“ weiterlesenAmtsgericht muss anonymisierte Fassung eines Strafbefehls an Journalisten herausgeben
Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (BayVGH) hat mit Beschluss vom 15. Mai 2023, Az. 7 CE 23.666, in einem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes entschieden, dass das Amtsgericht Erding verpflichtet ist, einem Journalisten eine anonymisierte Fassung eines bereits rechtskräftigen Strafbefehls herauszugeben.
„Amtsgericht muss anonymisierte Fassung eines Strafbefehls an Journalisten herausgeben“ weiterlesenVoraussetzungen einer zulässigen Verdachtsberichterstattung (Pressebericht über Hauptverhandlung im Strafverfahren)
Der Bundesgerichtshof (VI ZR 95/21) konnte sich, anlässlich eines Presseberichts über Hauptverhandlung im Strafverfahren, zu den Voraussetzungen einer zulässigen Verdachtsberichterstattung äußern.
Dazu auch bei uns: Bericht über ein staatsanwaltliches Ermittlungsverfahren
„Voraussetzungen einer zulässigen Verdachtsberichterstattung (Pressebericht über Hauptverhandlung im Strafverfahren)“ weiterlesenKG Berlin zum Schutz des Persönlichkeitsrechts (Hier: Fotos im Gerichtssaal)
Ein Urteil des KG Berlin (9 U 45/09) ist in zweierlei Hinsicht sehr Interessant: Zum einen ist die getroffene Aussage für Prozesse durchaus von Bedeutung, zum anderen findet man in den Urteilsgründen (finden sich unten im Anhang) eine sehr ausführliche Auseinandersetzung mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht, die sicherlich Beachtung und Zustimmung verdient.
Das KG Berlin stellt fest, dass ein im Gerichtssaal – unter Verstoß gegen eine sitzungspolizeiliche Anordnung – erstelltes und (unverpixelt) veröffentlichtes Foto des Angeklagten nicht ohne weiteres zur Unzulässigkeit der Verbreitung der Aufnahme führt. Wohl aber soll dann ein Unterlassungsanspruch zugestanden sein, wenn der Angeklagte auf diese Anordnung vertraut hat; und zwar auch, wenn die Anordnung (sei es formell oder materiell) rechtswidrig ist. Das Vertrauen des Angeklagten wird hier als berechtigtes Interesse nach §23 II KUrhG gewertet.
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Rechtsdurchsetzung: Neue Herausforderungen für Juristen am Beispiel Duisburg & Loveparade
Natürlich ist es ein relativ alter Hut, der unter Kennern nur ein müdes Lächerln hervorruft, aber wie das aktuelle Beispiel zeigt, gibt es genügend „Entscheider“ in unserem Land, die das Problem immer noch nicht zu kennen scheinen: Den so genannten Streisand-Effekt, der Juristen in ihrer beratenden Tätigkeit vor neue Herausforderungen stellt.
Das Beispiel ist in Kürze schnell erklärt: Nach den Geschehnissen auf der Loveparade 2010 und dem Bedürfnis der Öffentlichkeit nach möglichst vielen Informationen hat eine Internetseite nicht-offizielle Dokumente online gestellt, die zumindest interessant zu lesen sind. Die Veröffentlichung der Dokumente missfiel wohl den Verantwortlichen im Duisburger Rathaus, die sich dagegen wehren wollten – und eine Unterlassung per einstweiliger Verfügung erwirkten. Nun trat ein, was jedenfalls für Kenner nicht überraschend ist: Die Dokumente waren ohnehin schon teilweise kopiert von einzelnen Usern. Diese verbreiteten die Dateien via Download-Plattformen, durch Twitter wurden die Links zu den Plattformen verbreitet, erste Blogs berichteten, größere Blogs berichteten (u.a. Netzpolitik und Lawblog) und am Ende steht es heute u.a. auf Tagesschau.de und bei Spiegel-Online. Der – vielleicht sogar berechtigte – Anspruch verkehrte in sein Gegenteil, anstelle Öffentlichkeit zu versagen, wurde eine noch größere Öffentlichkeit geschaffen.
Fatal ist, und das wirft ein besonders schlechtes Bild auf die Verantwortlichen, dass dieser Effekt bei Weitem kein Geheimnis ist. Wer in diesem Bereich aktiv ist, weiß um den „Streisand Effekt“ und kennt das Risiko. Nun ist dieser Effekt nicht bei jedem Thema zwingend, es ist mitunter willkürlich, welches Thema Beachtung findet oder nicht. Gerade hier war es aber, nicht zuletzt auch wegen des enormen Interesses im Netz an dem Thema, durchaus vorhersehbar.
Bei der Beratung und Rechtsdurchsetzung muss heute der Streisand-Effekt zwingend berücksichtigt werden. Übrigens: Nicht nur bei der Stadt Duisburg oder der Deutschen Bahn, sondern auch bei mittelständischen Unternehmen. Treffen kann es jeden, feste Faktoren gibt es nur selten und auch wenn die Abmahnung wegen der Veröffentlichung interessanter Dokumente eines Blogs wie Netzpolitik quasi zwingend zu diesem Effekt führen wird, so ist dies keinesfalls die einzige Variante.
Was heißt das in der Praxis? Sicherlich kann es nicht bedeuten, dass man bei berechtigten Ansprüchen nur wegen dieses Effektes gleich ganz auf den Rechtsschutz verzichten muss. Wie man mit dem Streisand-Effekt umgehen soll, ist dabei umstritten und je nach Ansprechpartner gibt es verschiedene Ansätze. Wahrscheinlich wird es darauf hinauslaufen, dass man sorgfältiger als gewohnt zwischen den Alternativen
- Kommunikation (mit dem betroffenen Blogger und getrennt davon: der Öffentlichkeit)
- Rechtsschutz durch „altbekannte“ Wege
- Ignorieren insgesamt
- Ignorieren des konkreten Problems und Anpassen der bisherigen Öffentlichkeitsarbeit
abwägen muss. Ein Jurist ist dabei zwingend notwendig, ebenso zwingend wird sein, dass dieser die notwendige Erfahrung im Umgang mit diesem Thema hat. Je nach Beteiligten bzw. je nach Alternativen wird man auch einen PR-Berater benötigen. Das Thema selbst, speziell der konkrete Fall, verdeutlicht, wie stark sich die Rechtsdurchsetzung geändert hat – und auch noch weiter ändern wird. Während es früher hieß, dass man „Recht haben“ und „Recht bekommen“ unterscheiden müsse, wird es sicherlich bald so sein, dass man als dritten Faktor hinzu zählt, von der Öffentlichkeit auch als im Recht wahrgenommen zu werden.
Dabei wird auch die Litigation-PR eine große Rolle spielen. Ich denke daran, dass man ggfs. gar keine Rechtsmittel ergreift, sondern mittels Litigation-PR gezielt den betroffenen Blogger angeht. Sofern die Maßnahme von Erfolg gekrönt ist und ihn ggfs. die entsprechende öffentliche Aufmerksamkeit bzw. Sympathie kostet, mag man immer noch über (geeignete) Rechtsmittel nachdenken. Aber auch dies wird sich nur „rechnen“, wenn man (bei Kleinigkeiten) nicht durch ein konsequentes Ignorieren leichter das Wasser abgräbt.
Links zum Thema:
LG Berlin: Kein nicht-anonymisierter Bericht über Vergewaltigungsopfer
Das LG Berlin hat Anfang November (Az. 27 O 313/09) festgehalten, dass die Berichterstattung über ein Vergewaltigungsopfer, in nicht anonymisierter Form, in dessen Intim- und Privatsphäre eingreift. Insbesondere gibt es kein sachliches Interesse, die Identität von Opfern in Strafprozessen der Öffentlichkeit bekannt zu geben. Aus einer Zustimmung zu verpixelten Aufnahmen (mit Klarnamen) darf keinesfalls eine Zustimmung zu unverpixelten Aufnahmen gedeutet werden.
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