In einer auf den ersten Blick etwas obskur wirkenden Entscheidung hat das Oberlandesgericht Hamm (1 RVs 18/16) entschieden, dass das Herstellen und Gebrauchen einer gefälschten einfachen Urteilsabschrift im Regelfall keine strafbare Urkundenfälschung darstellt. Während dies die beiden Vorinstanzen noch anders gesehen haben, verweist das OLG durchaus treffend darauf, dass eine einfache Abschrift eben keine Urkunde darstellt, nicht zuletzt weil – wie vorliegend – gar kein Aussteller erkennbar ist. Sauber arbeitet das OLG dann auch heraus, dass zwar im Verkehr allgemein viele auch digitale „Dokumente“ eine Rolle spielen, letztlich die Beweiskraft aber nicht allem zuzusprechen ist, was irgendwo zur Kenntnis genommen werden kann.
Dazu im Blog: Urkundenfälschung – Die Fotokopie bei der Urkundenfälschung
Aus der Entscheidung:
Zwar werden in der Rechtsprechung gewisse einfache Abschriften als Urkunden im Sinne des § 267 StGB angesehen, wenn sie kraft gesetzlicher Bestimmung an die Stelle der Urschrift treten oder sie als die von dem angeblichen Aussteller herrührende Urschrift ausgegeben oder unter Umständen verwendet werden, die den Anschein erwecken können und sollen, als sei die Abschrift von dem Aussteller der Urschrift oder doch wenigstens mit seiner Zustimmung zu dem Zweck hergestellt worden, im Rechtsleben als Ersatz der Urschrift zu dienen (…) Vorliegend ist jedoch nach Auffassung des Senats keine dieser Voraussetzungen erfüllt:
Das von dem Angeklagten erstellte Schriftstück wurde vom Angeklagten nicht als die von dem angeblichen Aussteller herrührende Urschrift, sondern lediglich als – zumal mit einem Stempelausdruck ausdrücklich so bezeichnete – Abschrift eines arbeitsgerichtlichen Urteils ausgegeben, die nicht einmal ihren vermeintlichen Aussteller erkennen lässt.
Auch hat das Landgericht richtig ausgeführt, dass zur Durchführung weiterer Rechte aus dem vermeintlichen Urteil eine beglaubigte Abschrift oder eine Urteilsausfertigung erforderlich gewesen wären. Einfache Urteilsabschriften treten insofern gerade nicht wie Ausfertigungen oder beglaubigte Abschriften kraft gesetzlicher Bestimmung an die Stelle der bei den Gerichtsakten verbleibenden Urschrift eines gerichtlichen Urteils.
Der Erwägung des Landgerichts (…) wonach Ausfertigungen, Auszüge und Abschriften von noch nicht verkündeten und unterschriebenen Urteilen nicht erteilt werden dürfen, folge, dass das Vorliegen einer Urteilsabschrift die vermeintliche Erklärung beinhalte, dass tatsächlich ein Urteil in der Sache in der Welt sei, und daher die der Unterrichtung der Parteien vom Verfahrensstand dienende einfache Urteilsabschrift in dem Verhältnis eines Anwalts zu seinem Mandanten zum Beweise geeignet und bestimmt sei, wenn das Vorliegen eines Urteils vorgetäuscht werden solle, vermag der Senat indes nicht beizutreten (…) Denn schon in der reichsgerichtlichen Rechtsprechung war geklärt, dass allein die mit einer einfachen Abschrift bzw. deren Vorlage verbundene Behauptung des Vorlegenden, dass eine Urkunde des aus der Abschrift ersichtlichen Inhalts existiere, nicht genügt, um diese einfache Abschrift selbst als Urkunde im strafrechtlichen Sinne anzusehen (…) Gerade in einer dem vorliegenden Sachverhalt weitgehend vergleichbaren Konstellation, in der durch die Vorlage einer einfachen Abschrift der Glaube hervorgerufen werden soll, man habe das Original in seiner Verwahrung und wolle den Adressaten vorläufig über dessen Inhalt unterrichten – und nach dem Verständnis des Senats stellt das Landgericht in der Sache maßgeblich gerade auf diesen Aspekt ab -, scheidet danach die Annahme einer Urkundenfälschung aus, selbst wenn dieser einfachen Abschrift im konkreten Fall eine Beweiserheblichkeit zukommen kann (…)
Dem steht vorliegend auch nicht der von der Generalstaatsanwaltschaft zutreffend hervorgehobene Aspekt entgegen, dass der Angeklagte hier zu einer entsprechenden Unterrichtung bzw. Information des Zeugen C sowohl vertraglich als auch berufsrechtlich verpflichtet gewesen sein dürfte; denn auch wenn der Angeklagte sich der wahrheitsgemäßen Erfüllung dieser Verpflichtungen durch eine Täuschung entzogen hat, lässt allein dies noch nicht darauf schließen, dass es sich bei dem hierfür erstellten und verwandten Schriftstück auch um eine Urkunde im Sinne des § 267 StGB handelt.
Der Senat sieht auch im Übrigen kein überzeugendes Argument, vorliegend von den vorgenannten Grundsätzen abzuweichen.
Allein der Umstand, dass mit der Vorlage einer einfachen Urteilsabschrift unter Berücksichtigung der Regelung des § 317 Abs. 2 ZPO nicht nur eine Täuschung über die bloße Existenz einer diesbezüglichen Urschrift, sondern auch über deren ordnungsgemäße Unterschrift und Verkündung verbunden sein mag, ist nach Auffassung des Senats nicht geeignet, hier eine Urkundenfälschung zu begründen. Denn der vermeintliche Unterschied zur vorgenannten Konstellation der Vorlage von Abschriften sonstiger – vermeintlicher – Urkunden beschränkt sich bei näherer Betrachtung auf die sprachliche Präzisierung, dass auch bei der Vorlage solcher Abschriften regelmäßig darüber getäuscht werden dürfte, dass die vermeintlichen Urschriften jeweils ordnungsgemäß zur Existenz gelangt sind.
Der Senat hat auch die in der Antragsschrift der Generalstaatsanwaltschaft vom 09.03.2016 grundsätzlich zutreffend hervorgehobene erhebliche praktische Bedeutung auch einfacher Abschriften von gerichtlichen Entscheidungen für den Rechtsverkehr bedacht. Der Umstand, dass im alltäglichen Leben mittlerweile verschiedenen Arten von Schriftstücken wie z.B. Fotokopien, Telefaxschreiben oder (ausgedruckten) Emails erhebliche Bedeutung bzw. auch ein erheblicher Beweiswert beigemessen wird, begründet jedoch nach ständiger Rechtsprechung grundsätzlich noch nicht deren Urkundsqualität (vgl. nur Fischer, a.a.O., § 267 Rn. 19 ff. m.w.N. auch zu abweichenden Auffassungen). In diesem Zusammenhang vermag der Senat letztlich auch nicht das von der Generalsstaatsanwaltschaft angeführte Argument zu teilen, dass der Rechtsverkehr bei gerichtlichen Entscheidungen im Grundsatz auch auf die Vorlage von einfachen Abschriften vertrauen müsse. Denn es besteht für den jeweiligen Teilnehmer am Rechtsverkehr durchaus die Möglichkeit, die Vorlage von beglaubigten Abschriften oder Ausfertigungen zu verlangen; genügt ihm als Nachweis gleichwohl eine einfache Abschrift einer z.B. tatsächlich nicht existenten Urschrift, mag zwar eine gegebenenfalls nach § 263 StGB strafbare Täuschung durch den Vorlegenden anzunehmen sein, bei der aber regelmäßig keine Urkunde im Sinne des § 267 StGB Verwendung gefunden hat (vgl. bereits Binding, zit. n. Kienapfel, a.a.O., S. 360 Fn. 72: „Der Verkehr ist … ohnmächtig, zur Urkunde zu machen, was keine Urkunde ist, dagegen allmächtig, sich beweisen zu lassen, wie er will“).
Schließlich hat der Senat bedacht, dass bestimmte gerichtliche Urteile sogar öffentliche Urkunden im Sinne des § 271 StGB darstellen können (vgl. Fischer, a.a.O., § 271 Rdn. 12) und im Übrigen schon einfachen Abschriften – vermeintlicher – gerichtlicher Entscheidungen im Vergleich zu sonstigen Schriftstücken regelmäßig ein besonderes Vertrauen in deren Echtheit entgegengebracht werden dürfte. Selbst einer unbeglaubigten Abschrift einer vermeintlichen öffentlichen Urkunde mangelt es aber im Allgemeinen – soweit ihr nicht durch besondere Gesetze Beweiskraft beigelegt wird – an der Urkundeneigenschaft überhaupt (vgl. RGSt 24, 281, 283 zur unbeglaubigten Abschrift eines Ehescheidungserkenntnisses; Siepmann, a.a.O., S. 25).
Die Verurteilung des Angeklagten wegen Urkundenfälschung gemäß § 267 Abs. 1 StGB hält daher einer rechtlichen Überprüfung nicht stand und war aus diesem Grunde aufzuheben.
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