Voraussetzungen einer Verdachtskündigung im Arbeitsrecht: Bereits ein bestehender Verdacht einer Pflichtverletzung des Arbeitnehmers stellt – gegenüber dem verhaltensbezogenen Vorwurf, der Arbeitnehmer habe die Pflichtverletzung tatsächlich begangen – mit der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts einen eigenständigen Kündigungsgrund dar (zusammenfassend BAG, 2 AZR 256/14). Der Verdacht kann im Ergebnis eine ordentliche Kündigung aus Gründen in der Person des Arbeitnehmers bedingen – ist als so genannte „Verdachtskündigung“ aber an erhebliche Voraussetzungen gebunden.
Grundlage der Verdachtskündigung
Die rechtliche Grundlage der „Verdachtskündigung“ ist der Gedanke, dass ein jedes Arbeitsverhältnis als „personenbezogenes Dauerschuldverhältnis“ naturgemäß ein gewisses gegenseitiges Vertrauen der Vertragspartner voraussetzt. Der schwerwiegende Verdacht einer Pflichtverletzung kann zum Verlust der vertragsnotwendigen Vertrauenswürdigkeit des Arbeitnehmers und damit zu einem Eignungsmangel des Arbeitnehmers führen, der einem verständig und gerecht abwägenden Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar macht.
Der durch den Verdacht bedingte Eignungsmangel stellt mit dem Bundesarbeitsgericht einen Kündigungsgrund in der Person des Arbeitnehmers dar, auch wenn die den Verdacht und den daraus folgenden Vertrauensverlust begründenden Umstände nicht unmittelbar mit seiner Person zusammenhängen müssen.
Betriebsgröße & besonderes Vertrauen ohne Bedeutung
Das Vertrauen zum Arbeitnehmer ist ein universeller Grundsatz, so dass eine Verdachtskündigung nicht nur in einem Kleinbetrieb in Betracht kommt – wo der einzelne Arbeitnehmer und sein Arbeitgeber oder dessen Repräsentant unmittelbar zusammenarbeiten. Die Betriebsgröße oder die Unterscheidung zwischen einem „normalen“ Arbeitsverhältnis und einem solchen mit besonderer Vertrauensstellung sind für das Bundesarbeitsgericht keine tauglichen Kriterien, um die grundsätzliche Zulässigkeit einer Verdachtskündigung zu beurteilen. Ein gewisses Vertrauen ist für die Durchführung eines jeden Arbeitsverhältnisses unerlässlich.
Ein Arbeitgeber muss sich darauf verlassen können, dass seine Mitarbeiter die Integrität seiner Rechtsgüter, die von anderen Arbeitnehmern oder ggf. von Dritten nicht vorsätzlich verletzen. Ein darüber hinausgehendes Maß an Vertrauen kann beispielsweise erforderlich sein, wenn ein Arbeitnehmer Kenntnis von Betriebsgeheimnissen erlangt, gefährliche Maschinen bedient, die auch Dritte gefährden können, oder Zugang zu Bargeldbeständen oder anderen Wertgegenständen hat. Eine solche besondere Vertrauensstellung ist aber nicht Teil der Voraussetzungen einer Verdachtskündigung und somit nicht essentiell für die Wirksamkeit einer Verdachtskündigung. Vielmehr ist sie bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber im jeweiligen Einzelfall die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zuzumuten ist, in die Interessenabwägung einzustellen (siehe hierzu Bundesarbeitsgericht, 2 AZR 426/18).
Die Verdachtskündigung ist also ausdrücklich keine verhaltensbedingte Kündigung! Eine Verdachtskündigung ist mit dem Bundesarbeitsgericht stets eine personenbedingte Kündigung. Sie wird insbesondere nicht deshalb zu einer Kündigung aus Gründen im Verhalten des Arbeitnehmers, weil dieser die entscheidungserheblichen Verdachtsmomente selbst gesetzt hat. Das BAG stellt insoweit ausdrücklich fest, dass ein Arbeitnehmer nicht dadurch eine eigenständige Pflichtverletzung begeht, dass er sich durch ein für sich genommen pflichtwidriges Verhalten einer weiter gehenden, schwerer wiegenden Pflichtverletzung (nur) verdächtig macht:
Ist zB der Arbeitnehmer – insoweit unstreitig – immer wieder in dem Bereich „herumgeschlichen“, aus dem Gegenstände abhandengekommen sind, kann dies nur unter zwei Umständen eine verhaltensbedingte Kündigung rechtfertigen: Das Gericht muss entweder – auch – aufgrund des „Herumschleichens“ davon überzeugt sein, der Arbeitnehmer habe die Gegenstände entwendet, oder das „Herumschleichen“ muss als solches eine Pflichtverletzung darstellen, weil der Arbeitnehmer den betreffenden Bereich nicht betreten durfte. In beiden Fällen handelte es sich um Tatkündigungen. Stellt das „Herumschleichen“ für sich genommen keine Pflichtverletzung dar und vermag sich das Gericht nicht davon zu überzeugen, der Arbeitnehmer sei der „Täter“, kommt – unter den weiteren Voraussetzungen einer Verdachtskündigung – allenfalls eine personenbedingte Kündigung in Betracht.
Bundesarbeitsgericht, 2 AZR 426/18
Unschuldsvermutung hindert nicht die Verdachtskündigung
In unserem Rechtssystem ist die Unschuldsvermutung fest verankert, insbesondere in Art. 6 Abs. 2 EMRK. Mit gefestigter Rechtsprechung steht die Unschuldsvermutung einer Verdachtskündigung aber nicht entgegen. Denn diese Vermutung bindet unmittelbar lediglich den Richter, der über die Begründetheit der Anklage zu entscheiden hat (BAG, 2 AZR 164/94). Hingegen können Rechtsfolgen, die – wie die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses – keinen Strafcharakter besitzen, in gerichtlichen Entscheidungen an einen Verdacht geknüpft werden (inzwischen gefestigte Rechtsprechung, siehe nur BVerfG, 2 BvR 254/88, 2 BvR 1343/88; BAG, 6 AZR 845/13; EGMR, 15374/11).
Natürlich gilt der Grundsatz, dass durch staatliche Stellen die strafrechtliche Verantwortung eines beschuldigten, angeschuldigten oder angeklagten Arbeitnehmers nicht vorweggenommen oder gar ein erfolgter Freispruch infrage gestellt werden darf. Doch hindern für das Bundesarbeitsgericht ein anhängiges Strafverfahren und selbst ein rechtskräftiger Freispruch jedenfalls dann nicht die Annahme, eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses sei wirksam, wenn dem eine eigene richterliche Würdigung auf der Grundlage eines geringeren Beweismaßes zu Grunde liegt und sich das Arbeitsgericht einer strafrechtlichen Bewertung enthält. Das gilt für eine verhaltensbedingte Tatkündigung und dann eben erst recht für eine personenbedingte Verdachtskündigung.
Voraussetzungen einer Verdachtskündigung
Mit dem Bundesarbeitsgericht erfordert der besondere Schutz der Arbeitnehmer, dass eine Verdachtskündigung auch als ordentliche Kündigung sozial nur dann gerechtfertigt ist, wenn Tatsachen vorliegen, die zugleich eine außerordentliche, fristlose Kündigung gerechtfertigt hätten. Es sind also die Voraussetzungen einer fristlosen Kündigung heran zu ziehen. Dies ergibt folgende Prüfpunkte bei einer Verdachtskündigung:
- Dringlichkeit des Verdachts
- Zumutbare Aufklärung, insbesondere Gelegenheit zur Stellungnahme
- Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses
- Keine starre Frist für Kündigungserklärung
Dringlichkeit des Verdachts
Der Verdacht muss auf konkreten, vom Kündigenden darzulegenden und mit dem „vollen“ Maß des § 286 Abs. 1 ZPO zu beweisenden Tatsachen beruhen, da sonst die oraussetzungen einer Verdachtskündigung schlicht nicht anzunehmen sind. Der Verdacht muss zudem als Voraussetzung einer Verdachtskündigung dringend sein. Das bedeutet, es muss eine große Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass der Verdacht auch zutrifft. Die Umstände, die ihn begründen, dürfen nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht ebenso gut durch ein Geschehen zu erklären sein, das eine Kündigung nicht zu rechtfertigen vermöchte. Bloße, auf mehr oder weniger haltbare Vermutungen gestützte Verdächtigungen reichen mit dem Bundesarbeitsgericht nicht aus (BAG 2. März 2017 – 2 AZR 698/15 – Rn. 22; 18. Juni 2015 – 2 AZR 256/14 – Rn. 21).
Aufklärung des Verdachts
Eine Verdachtskündigung kommt jedenfalls so lange nicht in Betracht, wie der Arbeitgeber die zumutbaren Mittel zur Aufklärung des Sachverhalts nicht ergriffen hat – dies ist ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts.
Dazu gehört insbesondere, dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme zu den Verdachtsmomenten zu geben, um dessen Einlassungen bei der Entscheidungsfindung berücksichtigen zu können. Versäumt der Arbeitgeber diese Anhörung, kann er sich im Prozess nicht auf den Verdacht eines pflichtwidrigen Verhaltens des Arbeitnehmers berufen; die hierauf gestützte Kündigung ist unwirksam, da die Voraussetzungen einer Verdachtskündigung nicht vorliegen (BAG, 2 AZR 611/17 – Rn. 31).
Weitere Voraussetzungen einer Verdachtskündigung
Die Verdachtskündigung beruht auf der Erwägung, dass dem Arbeitgeber von der Rechtsordnung die Fortsetzung eines Arbeitsverhältnisses unter dem dringenden Verdacht auf ein Verhalten des Arbeitnehmers, das ihn – den Arbeitgeber – zur sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses berechtigen würde, nicht zugemutet werden kann. Besteht dagegen der Verdacht auf das Vorliegen eines solchen Grundes nicht, weil selbst erwiesenes Fehlverhalten des Arbeitnehmers die sofortige Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht rechtfertigen könnte, überwiegt bei der Güterabwägung im Rahmen von Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG dessen Bestandsinteresse. In einem solchen Fall nimmt das Bundesarbeitsgericht das im Fall einer Verdachtskündigung besonders hohe Risiko, einen „Unschuldigen“ zu treffen, nicht in Kauf (BAG, 2 AZR 797/11).
Zeitpunkt der Aussprache der Verdachtskündigung
Anders als für eine außerordentliche Verdachtskündigung besteht keine starre Frist, innerhalb derer der Arbeitgeber das Recht zur ordentlichen Verdachtskündigung ausüben müsste. Denn die Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB gilt nur für außerordentliche Kündigungen und eine entsprechende Anwendung auf ordentliche Kündigungen scheidet aus (BAG, 2 AZR 514/01).
Jedoch kann ein längeres Abwarten zu der Annahme führen, die Kündigung sei nicht durch den Verlust des vertragsnotwendigen Vertrauens „bedingt“. Es muss also abgewägt werden, da ein längeres Zuwarten des Arbeitgebers trotz Kenntnis von den für die Kündigung maßgebenden Umständen zu der Annahme führen kann, es liege kein objektiver Grund in Form des Verlustes des vertragsnotwendigen Vertrauens vor. Wann dies der Fall ist, hängt im Ergebnis von den Umständen des Einzelfalls ab:
- Es muss bedacht werden, dass der Arbeitgeber nicht zu einer voreiligen Kündigung gedrängt werden darf, sondern in Ruhe prüfen können soll, ob es zumutbar ist, den Arbeitnehmer auf Dauer weiterzubeschäftigen.
- Andererseits ist zu beachten, dass eine ordentliche Verdachtskündigung durch den eingetretenen Vertrauensverlust nur dann iSv. § 1 Abs. 2 KSchG „bedingt“ sein kann, wenn das Verhalten, dessen der Arbeitnehmer verdächtig ist, – wäre es erwiesen – sogar eine sofortige Beendigung des Arbeitsverhältnisses gerechtfertigt hätte. Das spricht dafür, dass sich der Arbeitgeber auch bei einer ordentlichen Verdachtskündigung zügig entscheiden muss.
- Es ist aber auf gar keinen Fall mit Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG zu vereinbaren, wenn der Arbeitgeber einen Kündigungsgrund über längere Zeit „auf Vorrat“ hält, um ihn bei passend erscheinender Gelegenheit geltend zu machen und ein beanstandungsfrei fortgesetztes Arbeitsverhältnis zu einem beliebigen Zeitpunkt kündigen zu können
Fazit: Voraussetzungen einer Verdachtskündigung
Die Voraussetzungen einer Verdachtskündigung sind an hohe aber nicht unüberwindbare Hürden geknüpft. Arbeitgeber sind gut beraten, einerseits keine übereilte Verdachtskündigung auszusprechen und insbesondere die Anhörung des Arbeitnehmers sicherzustellen. Andererseits darf man das (unangenehme) Thema auch nicht auf die allzu lange Bank schieben.
Im Rahmen der Aufklärung sollten Arbeitgeber nicht unterschätzen, welche Anforderungen einerseits an den Vortrag gestellt werden im Kündigungsschutzprozess; andererseits aber auch nicht unterschätzen, welche Anforderungen an eine zulässige Mitarbeiterüberwachung gestellt werden. Die datenschutzrechtlichen Vorgaben müssen hier dringend und zwingend beachtet werden und sollten von Beginn an vom internen Datenschutzbeauftragten und einem – die Kündigung vorbereitenden – Rechtsberater begleitet werden. Denn auch wenn die Voraussetzungen einer Verdachtskündigung vorliegen, kann hier weiterer Ungemach drohen.
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