Vertragsschluss nach ColdCall begründet Schadensersatz in gleicher Höhe

Das Landgericht Bonn (8 S 46/14) hat eine frühere Entscheidung des AG Bonn bestätigt, derzufolge ein Vertragsschluss nach einem rechtswidrigen „Cold Call“ zwar nicht in Frage steht; dem Angerufenen steht aber ein Schadensersatzanpruch in Höhe des geschuldeten Entgelts zu. Hiermit kann der Angerufene dann die Aufrechnung erklären – so dass am Ende kein Zahlungsanspruch besteht.

Update: Der BGH sieht es anders und hat die Entscheidung aufgehoben!

Die Entscheidung bietet Licht und Schatten, etwa wenn es darum geht, dass der Vertrag nicht angefochten werden konnte. Richtig aber ist es, dem unerwünscht angerufenen einen Schadensersatzanspruch zuzugestehen: Es sind gerade Kleinunternehmer, die im hektischen Alltag mit einem plötzlichen Anruf übertölpelt und ausgetrickst werden können. Dabei sind es gerade unseriöse Anbieter wie bestimmte Branchenbuchanbieter, die hier versuchen „schnelle Aufträge“ zu generieren. Losgelöst von der eventuellen Anfechtung: Es besteht Verteidigungspotential.

Dazu auch bei uns: Amtsgericht Bonn sieht Schadensersatz nach ColdCall

Keine Nichtigkeit wegen Gesetzesverstosses

Der Vertrag erweist sich nicht gemäß § 134 BGB wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot als nichtig.

Insoweit kann an dieser Stelle dahinstehen, ob ein im Zusammenhang mit dem Vertragsschluss in Rede stehender Verstoß gegen eine Vorschrift des UWG als einzig in Betracht kommendes Verbotsgesetz vorliegt, da aus einem etwaigen Gesetzesverstoß jedenfalls nicht die Nichtigkeit des gesamten Vertrages folgt. Verträge, die durch unlauteren Wettbewerb zustande gekommen sind, sind als solche in der Regel nicht nach § 134 BGB nichtig (BGH NJW 1991, 287, 291 f.; Münchener Kommentar-Armrbüster, BGB, 6. Aufl. 2012, § 134 Rn. 67 m.w.N.). Hintergrund hierfür ist, dass § 134 BGB die gesetzliche Folge daran knüpft, dass der Inhalt eines Rechtsgeschäfts gegen ein gesetzliches Verbot verstößt (vgl. BGH, a.a.O.). Der Inhalt des hier zu beurteilenden Vertrages, der Erbringung einer Dienstleistung in Form der Eintragung in ein Branchenverzeichnis gegen Entgelt, verstößt jedoch gegen kein gesetzliches Verbot. Allenfalls die Art und Weise des Zustandekommens des Vertrages könnte gegen eine Vorschrift des UWG verstoßen. Dies führt jedoch nicht zur Nichtigkeit des Vertrags selbst nach § 134 BGB (BGH, a.a.O.).

Das UWG selbst ordnet eine entsprechende Rechtsfolge – Nichtigkeit der unter Verstoß hiergegen zustande gekommen Verträge – nicht an.

Keine Sittenwidrigkeit

Jedenfalls vorliegend, wo es um ca. 720 Euro ging, war keine Sittenwidrigkeit zu erkennen:

Der Vertrag ist auch nicht aufgrund von Sittenwidrigkeit gemäß § 138 BGB nichtig.

Der Inhalt der vertraglichen Vereinbarung – die Eintragung in ein Branchenverzeichnis gegen Entgelt – verstößt nicht gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden. Soweit im Rahmen des § 138 BGB darüber hinaus sich die Sittenwidrigkeit des Geschäfts auch aus dem Gesamtcharakter desselben und einer Gesamtwürdigung des Inhalts, des Zweckes, der Beweggründe und der Umstände des Zustandekommens des Rechtsgeschäfts ergeben kann (vgl. BGHZ 86, 88; BGH NJW 1990, 590), führt auch dies nicht zur Annahme einer Sittenwidrigkeit. Selbst wenn der Vertrag unter wettbewerbsrechtlich unzulässiger Anbahnung mittels eines so genannten „Cold Call“ zustande gekommen sein sollte, verstößt ein derartiges Verhalten jedenfalls nicht in einer derartigen Art und Weise gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden, dass die Unwirksamkeit der vertraglichen Vereinbarung als Folge geboten wäre. Eine Unvereinbarkeit mit grundlegenden Wertungen der Sitten- und Rechtsordnung ist hierin nicht zu erkennen, mag sich ein solcher „Cold Call“ auch als lästig und gegebenenfalls wettbewerbsrechtlich unzulässig erweisen.

Für eine Sittenwidrigkeit wegen des eklatanten Missverhältnisses von Leistung und Gegenleistung (Wucher) ist durch die insoweit darlegungs- und beweisbelastete Beklagte nicht hinreichend vorgetragen worden. Allein der Umstand, dass auch andere Anbieter Branchenverzeichnisse mit Suchfunktionen bereithalten und deren Reichweite über derjenigen der Klägerin liegt und zugleich günstiger zu erhalten sind, begründet nicht ein zur Annahme von Wucher berechtigendes eklatantes Missverhältnis. Dies gilt umso mehr, als die vereinbarte Vergütung in der absoluten Summe auch nicht als außerordentlich hoch beurteilt werden kann.

Anfechtung und Anfechtungsfrist

Gemäß § 121 BGB muss die Anfechtung ohne schuldhaftes Zögern erfolgen (unverzüglich), nachdem der Anfechtungsberechtigte Kenntnis von dem Anfechtungsgrund erlangt hat, wobei die Obergrenze in der Regel eine Frist von zwei Wochen ist (OLG Hamm NJW-RR 1990, 523; OLG Jena OLG-NL 2000, 37). Hier versandte die Klägerin der Beklagten unter dem 06.05.2013 die Rechnung, womit spätestens nunmehr der Beklagten klar geworden sein muss, dass sie in dem Telefongespräch vom 03.05.2013 einen verbindlichen Vertrag über die entgeltliche Eintragung in ein Branchenverzeichnis zu einem Preis vom 728,28 Euro brutto geschlossen hat. Die Beklagte hat die Rechnung innerhalb der üblichen Postlaufzeit, mithin spätestens am 08.05.2013, erlangt. Soweit sie – nach eigenen Angaben – davon ausgegangen sein sollte, es habe sich hierbei um einen Irrläufer gehandelt und diesem deshalb keine Beachtung geschenkt habe, vermag sie dies nicht zu exkulpieren. Im Gegenteil: Als Gewerbetreibender muss der Beklagten die Bedeutung einer solchen Rechnung bewusst sein oder zumindest Anlass geben, unmittelbar hierauf weitere Maßnahmen, wie beispielsweise eine Anfechtung, zu erklären. Dies gilt umso mehr, als sie unstreitig das aufgezeichnete Telefonat vom 03.05.2013 mit einer Mitarbeiterin der Beklagten geführt hat. (…)

Ungeachtet dessen hat sich die Beklagte jedoch auch weder in einem Erklärungs- noch in einem Inhaltsirrtum befunden.

Ein solcher ist zum einen durch die Klägerin nicht zugestanden und mithin nicht als unstreitig zugrunde zu legen. Die Klägerin hat bereits in ihrer Klage das Vorliegen eines Anfechtungsgrundes in Abrede gestellt und konnte dies auch ohne Rücksicht auf den Umstand, dass die Beklagte zu diesem Zeitpunkt sich im Verfahren noch nicht auf das Vorliegen eines Irrtums berufen hat, denn aufgrund der vorprozessualen Korrespondenz und der bereits erklärten Anfechtung war für die Klägerin absehbar, die Beklagte werde sich hierauf berufen. Im Übrigen hat die Klägerin auch in der Folge wiederholt vorgetragen, dass die Beklagte alles genau verstanden habe und sich der Folgen ihres Handelns bewusst gewesen sei, worin ein zulässiges sinngemäßes Bestreiten eines Irrtums von Seiten der Klägerin zu erkennen ist.

Zum anderen fehlt es bereits an einem hinreichenden Vortrag der insoweit beweisbelasteten Beklagten zum Vorliegen eines Irrtums über den Inhalt der Erklärung (Inhaltsirrtum) bzw. über die Abgabe einer Erklärung solchen Inhalts (Erklärungsirrtum). Dass die Beklagte gegebenenfalls über die Person der Klägerin bzw. der Anruferin im Unklaren war, begründet einen solchen Irrtum jedenfalls nicht. Für den zweiten, hier aufgezeichneten Anruf mit einer Mitarbeiterin der Klägerin wird auch nicht konkret und fallbezogen vorgetragen, inwieweit sich die Beklagte über die Abgabe einer Erklärung oder den Inhalt derselben in einem Irrtum befunden haben will. Die Aufzeichnung vermittelt vielmehr – nicht zuletzt vor dem Hintergrund der wiederholten Nachfragen von Seiten der Klägerin – den Eindruck, die Klägerin habe sehr wohl gewusst, dass und was sie sage und erkläre. Jedenfalls aber hat die Beklagte für das Vorliegen eines solchen Irrtums in ihrer Person keinen hinreichenden Beweis angetreten. Sie hat wiederholt allein die Vernehmung ihrer selbst als Partei beantragt. Da die Klägerin einer solchen Vernehmung widersprochen hat und damit eine einverständige Vernehmung im Sinne des § 447 ZPO ausgeschlossen ist, käme allenfalls eine Vernehmung von Amts wegen nach § 448 ZPO in Betracht. Die hierzu notwendige Anfangswahrscheinlichkeit (der so genannte „An-Beweis“; vgl. BGH NJW 1997, 3230; 1998, 814) ist angesichts des ohnehin kursorischen Vortrages zum Vorliegen eines Irrtums und des Inhalts der Gesprächsaufzeichnung jedoch nicht gegeben.

Auch eine Anfechtung wegen arglistiger Täuschung (§ 123 BGB) kam nicht in Betracht, denn die Beklagte hat es insoweit bereits nicht vermocht, die Voraussetzungen eines derartigen Anfechtungsgrundes hinreichend substantiiert darzulegen. Die eingereichten Fragebögen einer Mehrzahl von Mandanten des Prozessbevollmächtigten der Beklagten sind für die Beurteilung des Rechtsstreits in vorliegender Sache ohne jede Relevanz. Es handelt sich hierbei um allgemeine, vom Fall losgelöste Behauptungen, die einen schlüssigen Sachvortrag in vorliegender Sache nicht ersetzen. Ebenso wenig genügt der Vortrag der Beklagten, sie habe angenommen, der Erstanruf stamme von ihrem Inhalte-Provider, Herrn M, den Anforderungen an die Darlegung einer arglistigen Täuschung. Dabei kann es letztlich dahinstehen, inwieweit eine anlässlich des ersten Anrufs eventuell erfolgte Täuschung überhaupt auf den Vertragsschluss im zweiten Anruf angesichts dessen konkreten und eindeutigen Inhalts fortgewirkt hat. Zugleich kann auch unterstellt werden, die Klägerin sei bei dem ersten Anruf tatsächlich davon ausgegangen, es habe sich um Herrn M gehandelt (wobei diese Fehlvorstellung schon deshalb im zweiten Anruf nicht unmittelbar fortgewirkt haben kann, da das Gespräch zum einen mit einer Frau geführt wurde und diese auf ein vorangegangenes Gespräch mit einem Herrn S Bezug genommen hat). Die Beklagte trägt jedoch – außer Allgemeinplätzen und Vermutungen – nicht konkret vor, welche bewusst unwahre Tatsachenbehauptung die Klägerin bezogen auf ihre Person und / oder den Anlass ihres Anrufs und / oder den Inhalt des Vertrags sie zu welcher Zeit konkret gegenüber der Beklagten geäußert hat. Das mitgeschnittene Telefonat enthält eine solche jedenfalls nicht.

Aufrechnung mit Schadensersatzforderung

Die Beklagte war berechtigt, gegenüber der gesamten Restforderung der Klägerin die Aufrechnung mit eigenen Schadensersatzansprüchen zu erklären und zwar ungeachtet des Umstandes, dass die Parteien hier eine ratenweise Begleichung bis in das Jahr 2016 vereinbart haben. (…)

Der Beklagten steht gegen die Klägerin eine gleichartige, wirksame und fällige Zahlungsforderung in Gestalt eines Schadensersatzanspruchs in Höhe von 728,28 Euro wegen deliktischer Schutzgesetzverletzung durch die Beklagte gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 7 Abs. 2 Nr. 2 UWG zu, denn die Beklagte hat gegen das Verbot unzulässiger Telefonwerbung nach § 7 Abs. 2 Nr. 2 UWG schuldhaft verstoßen und hierdurch kausal und zurechenbar bei der Beklagten eine Schaden in Höhe des sie treffenden Vergütungsanspruchs verursacht.

(a)

Entgegen der Beurteilung des Landgerichts Kassel (Beschl. v. 13.06.2014 – 1 S 118/14) handelt es sich bei den Vorschriften des UWG um Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die neben dem Schutz der übrigen Mittbewerber, dem so genannten horizontalen, wettbewerbsrechtlichen Schutz auch den Schutz von Verbrauchern und übrigen Marktteilnehmern als durch wettbewerbswidrige Maßnahmen unmittelbar vertikal Betroffene dienen.

Der Bundesgerichtshof hat in einer Entscheidung aus dem Jahre 1964 (NJW 1964, 1369) zum UWG a.F. allgemein und ohne Einschränkung ausgeführt, dass „nach einhelliger Auffassung die Vorschriften des UWG Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB“ seien. Von dieser Auffassung ist er bislang nicht abgerückt. Im Gegenteil: In weiteren – zum Teil vorangehenden, zum Teil späteren – Entscheidungen wird ausdrücklich der Schutzgesetzcharakter der §§ 1 und 3 UWG bestätigt (vgl. BGH NJW 1955, 382; NJW 1967, 1558; NJW 2006, 830, 838), so dass auch die Literatur jedenfalls mit Blick auf §§ 1 und 3 UWG deren Schutzgesetzcharakter im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB anerkannt hat (vgl. nur Münchener Kommentar-Wagner, BGB, 6. Aufl. 2013, § 823 Rn. 424).

Der vorgenannte Schutzgesetzcharakter der Normen des UWG ist auch im Hinblick auf das neue UWG (BGBl. I 2004, 1414) anzuerkennen. Von dem Schutzbereich umfasst werden hierbei nicht allein die Mitbewerber, sondern auch die Adressaten unlauterer Wettbewerbsmethoden, mithin Verbraucher und die so genannten übrigen Marktteilnehmer. Dies folgt unmittelbar aus dem in § 1 UWG normierten Zweck des Gesetzes selbst. Danach dient das Gesetz „dem Schutz der Mitbewerber, der Verbraucherinnen und Verbraucher sowie der sonstigen Marktteilnehmer vor unlauteren geschäftlichen Handlungen. Es schützt zugleich das Interesse der Allgemeinheit an einem unverfälschten Wettbewerb“. Der insoweit eindeutige Wortlaut verdeutlicht, dass der Schutzbereich des gesamten UWG nicht allein den Markt als solchen und die übrigen Mittbewerber umfasst, sondern auch und insbesondere die Adressaten unlauterer Wettbewerbsmethoden. Dies wird letztlich auch durch die Gesetzesbegründung bestätigt. Hierin heißt es unter anderem, dass durch die Schutzzweckbestimmung in § 1 UWG klargestellt werden sollte, dass nicht allein der Mitbewerber individuell geschützt werden soll, sondern die Marktteilnehmer überhaupt, namentlich die Verbraucher und die übrigen Marktteilnehmer (vgl. BR-Drs. 301/03, 27 f.). Der eigentliche Zweck des UWG liege darin, das Marktverhalten der Unternehmen im Interesse der Marktteilnehmer, insbesondere der Mitbewerber, aber auch der Verbraucher (und damit auch der gleichrangig erwähnten übrigen Marktteilnehmer) an einem unverfälschten Wettbewerb zu regeln.

In Anbetracht dessen weisen die Normen des UWG drittschützenden Charakter im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB auf mit Blick auf die Verbraucher und übrigen Marktteilnehmer.

(b)

Ob die Klägerin durch ihr Verhalten (auch) gegen § 4 Nr. 3 UWG (Verschleierung des Werbecharakters) oder § 5 Abs. 1 UWG (irreführende geschäftliche Handlung) verstoßen hat, kann letztlich dahin stehen, denn jedenfalls dürfte ein Verstoß gegen § 7 Abs. 2 Nr. 2 UWG vorliegen, denn bei dem Erstanruf der Klägerin handelte es sich um einen unzulässigen so genannten „Cold Call“.

Da eine ausdrückliche Einwilligung der Beklagten als Gewerbetreibende und damit sonstige Marktteilnehmerin im Sinne des UWG nicht vorlag, war der unstreitig erfolgte Werbeanruf nur dann zulässig, wenn eine mutmaßliche Einwilligung der Beklagten angenommen werden konnte. Dies ist jedoch nicht der Fall.

Das Vorliegen einer mutmaßlichen Einwilligung ist anhand der Umstände vor dem Anruf sowie anhand der Art und des Inhalts der Werbung festzustellen. Die mutmaßliche Einwilligung muss sich auch auf die Art der Werbung, nämlich mittels Telefonanruf, beziehen (Köhler/Bornkamm-Köhler, UWG, 32. Aufl. 2014, § 7 Rn. 163). Maßgeblich ist, ob der Werbende bei verständiger Würdigung der Umstände annehmen durfte, der Anzurufende erwarte einen solchen Anruf oder werde ihm jedenfalls aufgeschlossen gegenüberstehen (BGH GRUR 2007, 607; 2008, 189; BGH GRUR 2010, 939; Köhler/Bornkamm-Köhler, a.a.O.). Ist dies zu verneinen, so kommt es grundsätzlich nicht mehr darauf an, ob der Anruf zu einer sonstigen Belästigung oder zu einem Vertragsschluss geführt hat (BGH GRUR 2007, 607). Denn für die lauterkeitsrechtliche Bewertung ist auf die Umstände vor dem Anruf abzustellen (Köhler/Bornkamm-Köhler, a.a.O.).

Erforderlich ist, dass „auf Grund konkreter Umstände ein sachliches Interesse des Anzurufenden“ am Anruf durch den Anrufer vermutet werden kann (BGH GRUR 2001, 1181, 1183; 2004, 520, 521; 2010, 939). Eine mutmaßliche Einwilligung ist jedoch im Allgemeinen noch nicht dann anzunehmen, wenn der Anruf lediglich eine „allgemeine Sachbezogenheit“ aufweist, da diese nahezu immer gegeben sein dürfte und damit die Telefonwerbung fast unbegrenzt möglich wäre (BGH GRUR 2001, 1181, 1183; 2007, 607; 2010, 939; Köhler/Bornkamm-Köhler, a.a.O., § 7 Rn. 165). Auch eine typisierende oder generalisierende Unterscheidung zwischen Anrufen, die die eigentliche Geschäftstätigkeit betreffen, und solchen, die sich auf Hilfsmittel beziehen, ist nicht statthaft. Denn weder ist bei ersteren stets ein sachliches Interesse generell zu vermuten noch bei letzteren stets zu verneinen (BGH GRUR 1991, 764, 765). Vielmehr ist darauf abzustellen, ob im Einzelfall der Werbende bei verständiger Würdigung davon ausgehen kann, der Anzurufende erwarte den Anruf oder stehe ihm jedenfalls positiv gegenüber (BGH GRUR 1991, 764, 765; 2001, 1181, 1183; 2008, 189. Es ist also zu fragen, ob ein konkreter, aus dem Interessenbereich des Anzurufenden herzuleitender Grund vorliegt, der den Werbeanruf rechtfertigen könnte (BGH GRUR 2001, 1181, 1183). Das bezieht sich sowohl auf die Art der Werbung, nämlich mittels Telefonanruf, als auch auf den Inhalt der Werbung (Köhler/Bornkamm-Köhler, a.a.O.).

Hierbei spielt auch eine Rolle, ob die Angelegenheit so eilig ist, dass sie eines Telefonanrufs bedarf (OLG Hamburg GRUR 1987, 60, 61; OLG Stuttgart NJW-RR 1998, 184). Eine Rolle kann auch spielen, ob der Angerufene von sich aus mit dem Werbenden in Kontakt treten kann, etwa unter Nutzung von Suchmaschinen, und dies auch zu erwarten ist.

Der Anrufer trägt zudem grundsätzlich das Risiko einer subjektiven Fehleinschätzung (OLG München WRP 2011, 1216, 1217).

Speziell im Hinblick auf einen „Cold Call“, der einen Werbeanruf zur Aufnahme in eine Suchmaschine beinhaltet, hat der BGH in seinem Urteil vom 20.09.2007 (GRUR 2008, 189, 190 f.) ausgeführt:

„Auf Grund des einmaligen kostenlosen Eintrags der G-GmbH in der Suchmaschine der Bekl. ist es nur zu einer sehr schwachen Geschäftsverbindung gekommen. Diese mag ihrer Art nach die Annahme gerechtfertigt haben, die G-GmbH werde mit einem Anruf zur Überprüfung des eingespeicherten Datenbestands einverstanden sein. Wenn aber der telefonische Weg gewählt wurde, um zugleich das Angebot einer entgeltlichen Leistung zu unterbreiten, war dies nach den sonstigen Umständen für den Anzurufenden unzumutbar belästigend. Die Bekl. konnte nicht mit einem besonderen Interesse der G-GmbH rechnen, gerade im Verzeichnis der Suchmaschine der Bekl. gegen Vergütung mit einem erweiterten Eintrag aufgeführt zu sein. In gleicher Weise wie bei der Bekl. ist ein kostenloser Eintrag über die G-GmbH bei weiteren 450 Suchmaschinen gespeichert. Die Bekl. behauptet selbst nicht, dass ihre Suchmaschine, die nur eine unter einer Vielzahl anderer ist, über eine besondere Bekanntheit verfüge. Angesichts der großen Zahl gleichartiger Suchmaschinen und der Verbreitung kostenloser Unternehmenseinträge in den Verzeichnissen von Suchmaschinen musste die Bekl. vor einem Anruf berücksichtigen, dass für einen Gewerbetreibenden die Gefahr besteht, in seinem Geschäftsbetrieb durch eine Vielzahl ähnlicher Telefonanrufe empfindlich gestört zu werden.“

Nach dieser Maßgabe durfte die Klägerin nicht von einem mutmaßlichen Interesse der Beklagten am Erhalt des Angebots der Klägerin zum entgeltpflichtigen Eintrag in ein elektronisches Branchenbuch auf telefonischem Wege ausgehen. Insoweit ist es zunächst von allenfalls untergeordneter Bedeutung, dass die Beklagte einen eigenen Internetauftritt unterhält, da dies inzwischen auf die weit überwiegende Mehrzahl der Gewerbetreibenden zutrifft, ohne dass dies ohne Weiteres zur Zulässigkeit von unaufgeforderten Anrufen des hier gegenständlichen Inhalts führt. Demgegenüber war es der Klägerin gerade aufgrund des Internetauftritts der Beklagten möglich, mit dieser auch via Brief, E-Mail oder Fax in Kontakt zu treten. Ein auch nur ansatzweise nachvollziehbarer Anhaltspunkt, der unter Berücksichtigung dessen die Kontaktaufnahme via Telefon – etwa wegen Eilbedürftigkeit – als geboten erscheinen lassen würde, ist nicht ersichtlich. Dass die Klägerin davon ausgehen durfte, der Anzurufende erwarte den Anruf oder stehe ihm jedenfalls positiv gegenüber, ist nicht ersichtlich. Dies gilt umso mehr, als es sich bei dem Angebot der Klägerin um ein solches handelt, wie es vielfach im Internet mit zum Teil deutlich geringeren Gebühren und deutlich größerer Breitenwirkung aufzufinden ist, was auch der Klägerin bei Anruf bewusst gewesen sein muss. Dass schließlich tatsächlich ein Vertrag geschlossen wurde, kann demgegenüber nicht als Indiz dafür herhalten, dass die Beklagte mit dem hier maßgeblichen Erstanruf mutmaßlich einverstanden war, denn der Vertragsschluss im kurz darauf erfolgten zweiten Anruf beruhte letztlich auf Grundlage und vor dem Hintergrund der Überrumpelung durch den ersten Anruf, vor welcher § 7 Abs. 2 UWG gerade schützen will.

Insoweit ist es auch ohne Bedeutung, dass die Klägerin im Hinblick auf den zweiten, aufgezeichneten Anruf eventuell von einer (mutmaßlichen) Einwilligung der Beklagten ausgehen durfte. Entscheidend ist allein der erste Anruf. Dieser erfolgte ohne Einwilligung – hierin wurden zugleich aber auch bereits sämtliche Grundlagen des späteren Vertragsschlusses gelegt. Dies wird schon darin deutlich, dass die Klägerin sich in dem zweiten Anruf nicht allein auf den ersten Anruf bezogen hat, sondern darüber hinaus auch mitgeteilt hat, der „Auftrag“ sei in diesem ersten Anruf bereits „erteilt“ worden.

(c)

Der Erstanruf als unzulässiger „Cold Call“ war schließlich auch kausal für die Eingehung der Verbindlichkeit durch die Beklagte, so dass ein Schaden in Höhe des Vergütungsanspruchs entstanden ist. Ohne den Erstanruf wäre es nicht zu dem zweiten Anruf gekommen, in dem ausdrücklich auf den ersten Anruf Bezug genommen wurde mit den Worten, dort sei der Auftrag bereits erteilt worden und somit auch nicht zu dem dort spätestens erfolgten Abschluss der vertraglichen Vereinbarung.

Der Schaden wird auch nicht durch eine tatsächlich erfolgte Leistung der Klägerin – Einstellung in das Verzeichnis – minimiert, da die Klägerin die Beklagte bislang nicht in ihr Verzeichnis eingestellt hat.

Entscheidung des Amtsgerichts Remscheid

Zu der Entscheidung des AG Bonn gesellt sich inzwischen auch eine Entscheidung des Amtsgerichts Remscheid (7 C 73/15), die im Ergebnis den gleichen Weg geht:

Dem Zahlungsanspruch der Klägerin steht jedoch der Schadenersatzanspruch der Beklagten in Form der Rückabwicklung des Vertrages entgegen. Dieser Schadenersatzanspruch ergibt sich aus §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2, 311 BGB wegen der klägerseitigen Verletzung vorvertraglicher Rücksichtnahmepflichten.

Ein Vertragsanbahnungsverhältnis nach § 311 Abs. 2 BGB lag mit dem Telefonat am 03.12.2014 vor. Danach entstanden der Klägerin Sorgfaltspflichten gemäß § 241 Abs.2 BGB, die sie zur Rücksichtnahme auf die Rechte der Beklagten verpflichten. Die Klägerin hat diese Pflichten verletzt, indem sie die Beklagte anrief, ohne dass im Vorfeld eine Geschäftsbeziehung bestand. Damit hat sie gegen das Verbot unzulässiger Telefonwerbung gemäß § 7 Abs. 2 Nr. 2 UWG verstoßen und damit das Recht der Beklagten auf die ungestörte Ausübung des eingerichteten Gewerbebetriebs durch eine unzumutbare Belästigung seitens der Klägerin beeinträchtigt. § 7 Abs. 2 Nr.2 UWG untersagt telefonische Werbung gegenüber einem Marktteilnehmer, ohne dessen zumindest mutmaßliche Einwilligung. (…)

Ohne Erfolg bemängelt die Klägerin hier, dass die Pflichtverletzung auf bloßem Verstoß gegen § 7 UWG, einer Ordnungsvorschrift beruhe, deren Schutzzweck nichts mit „Überrumpelung“ zu tun habe. Danach ergäbe sich mangels Pflichtwidrigkeitszusammenhang keine adäquate Verursachung des Schadens durch die Klägerin. Indessen schützt § 7 UWG durch das Verbot unzumutbar belästigender Werbung auch die Entscheidungsfreiheit der Marktteilnehmer. Unter anderem soll verhindert werden, dass unter Anwendung aggressiver Verkaufspraktiken die freie Willensbildung des angesprochenen Kreises beeinflusst wird, da eine dezidierte gedankliche Auseinandersetzung mit einer als schlichtweg unzumutbar, belästigend empfundenen Vertragsanbahnung nicht gewährleistet ist.

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Klägerin ihre vertraglichen Rücksichtnahmepflichten aus § 241 Abs.2 BGB durch eine unzumutbare Belästigung der Beklagten verletzt hat, so dass sie sich gemäß 280 Abs.1 BGB schadensersatzpflichtig gemacht hat. Der Umfang des Schadensersatzes bemisst sich nach § 249 Abs. 1 BGB. Danach hat derjenige, der zu Schadensersatz verpflichtet ist, den Zustand herzustellen, der ohne das schädigende Ereignis bestünde. So kann er auch Freistellung von eingegangenen Verbindlichkeiten fordern oder, wenn der Schädigende der Vertragspartner ist, Rückabwicklung des Vertrages verlangen. (Übereinstimmend: LG Arnsberg Urteil vom 22.01.2015, Az. 😯 133/14).

Fachanwalt für IT-Recht Jens Ferner