Volksverhetzung vs. Meinungsfreiheit

Die Entscheidung des Bayerischen Obersten Landesgerichts (BayObLG) vom 15. Januar 2024 (Aktenzeichen: 207 StRR 440/23) befasst sich mit der Strafbarkeit von Volksverhetzung gemäß § 130 Abs. 3 StGB und der Abwägung gegenüber der Meinungsfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 GG. Diese Analyse beleuchtet die zentralen rechtlichen Fragen und die Konsequenzen der Entscheidung.

Sachverhalt

Der Angeklagte hatte in einer öffentlichen Äußerung den Umgang mit Ungeimpften während der COVID-19-Pandemie mit den Maßnahmen gegenüber der jüdischen Bevölkerung in den Novemberpogromen 1938 verglichen. Dies wurde vom Landgericht München II als Volksverhetzung gewertet, was zur Verurteilung führte. Der Angeklagte legte Revision ein, wobei er geltend machte, seine Äußerung sei durch die Meinungsfreiheit gedeckt.


Rechtliche Analyse

Meinungsfreiheit vs. Volksverhetzung

Artikel 5 Abs. 1 GG schützt das Recht auf freie Meinungsäußerung, während § 130 Abs. 3 StGB die Volksverhetzung unter Strafe stellt. Der BGH betont, dass eine strafrechtliche Sanktionierung von Meinungsäußerungen im Lichte der wertsetzenden Bedeutung der Meinungsfreiheit ausgelegt werden muss. Dies bedeutet, dass eine Abwägung stattfinden muss, um sicherzustellen, dass die Strafvorschrift die Meinungsfreiheit nicht unverhältnismäßig einschränkt:

Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG gibt jedem das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten. Grundrechtlich geschützt sind damit insbesondere Werturteile, also Äußerungen, die durch ein Element der Stellungnahme gekennzeichnet sind. Die strafrechtliche Sanktionierung knüpft an diese dementsprechend in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG fallenden und als Werturteil zu qualifizierende Äußerungen an und greift damit in die Meinungsfreiheit des Äußernden ein.

Da der Schutzumfang des Grundrechts aus Art. 5 Abs. 1 GG von der näheren Qualifizierung des Sinngehalts einer Aussage abhängt, muss sich für das Revisionsgericht aus den Feststellungen des Tatrichters auch dieser ergeben. Das Bundesverfassungsgericht hat aus dem Grundrecht der Meinungsäußerungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 GG Vorgaben abgeleitet, die schon im erforderlichen Ermittlungsvorgang gelten und damit rechtliche Maßstäbe für die tatrichterliche Sachverhaltsfeststellung enthalten.

Ihre Einhaltung zu überprüfen ist Teil der revisionsgerichtlichen Kontrolle. So verstößt eine strafgerichtliche Verurteilung wegen einer Äußerung schon dann gegen Art. 5 Abs. 1 GG, wenn diese den Sinn, den das Gericht ihr entnommen und der Verurteilung zugrunde gelegt hat, nicht besitzt oder wenn bei mehrdeutigen Äußerungen die zur Verurteilung führende Deutung zugrunde gelegt worden ist, ohne dass andere, ebenfalls mögliche Deutungen mit überzeugenden Gründen ausgeschlossen worden sind (…).

Mehrdeutige Äußerungen

Der BGH stellte klar, dass bei mehrdeutigen Äußerungen, die sowohl strafbare als auch nicht strafbare Interpretationen zulassen, eine Verurteilung nur dann erfolgen darf, wenn die nicht strafbaren Deutungen mit überzeugenden Gründen ausgeschlossen werden können. Dies ist notwendig, um sicherzustellen, dass die Meinungsfreiheit nicht ungerechtfertigt eingeschränkt wird. Der Kontext und die Begleitumstände der Äußerung müssen sorgfältig geprüft werden.

Entscheidung des BayObLG

Das BayObLG hob die Urteile des Amtsgerichts Fürstenfeldbruck und des Landgerichts München II auf und sprach den Angeklagten frei. Das Gericht stellte fest, dass die Deutung des Landgerichts, der Angeklagte habe die Maßnahmen gegenüber Ungeimpften mit den Novemberpogromen gleichgesetzt, nicht zwingend war. Es sei ebenso wahrscheinlich, dass der Angeklagte darauf hinweisen wollte, dass politische Maßnahmen oft einfache Sündenböcke suchen, und hierbei einen historischen Vergleich zog, ohne die Verbrechen der NS-Zeit zu relativieren.

Fazit

Die Entscheidung des BayObLG betont die Notwendigkeit einer sorgfältigen Abwägung zwischen Meinungsfreiheit und Strafbarkeit von Volksverhetzung. Gerichte müssen bei mehrdeutigen Äußerungen sicherstellen, dass nicht strafbare Deutungen nicht unberücksichtigt bleiben. Diese Entscheidung stärkt die Meinungsfreiheit und stellt sicher, dass strafrechtliche Verurteilungen nicht auf vagen Interpretationen beruhen.

Fachanwalt für IT-Recht Jens Ferner