Wikileaks: Kein Geheimnisverrat nach §94 StGB

War das Leaken der Wikileaks-Dokumente strafbar? Ist das „Spiegeln“ der Wikileaks-Dokumente eine Straftat nach deutschem Recht?

In meinem ersten Artikel zum Thema Wikileaks habe ich kurz am Rande erwähnt, dass ich durch die Veröffentlichung von (mehr oder minder) geheimen Bortschafts-Depeschen den Tatbestand des §94 StGB („Landesverrat / Geheimnisverrat“) nicht betroffen sehe. In den letzten Tagen hat sich nun gezeigt, dass diese Frage hin und wieder aber sehr wohl zu Diskussionen führte – Stadler hat u.a. ein paar Zeilen mehr zu der Frage geschrieben. Daher lege ich hier kurz mit einigen Informationen zum Thema nach.

Der §94 StGB lautet wie folgt:

Wer ein Staatsgeheimnis
1. einer fremden Macht oder einem ihrer Mittelsmänner mitteilt oder
2. sonst an einen Unbefugten gelangen läßt oder öffentlich bekanntmacht, um die Bundesrepublik Deutschland zu benachteiligen oder eine fremde Macht zu begünstigen,
und dadurch die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland herbeiführt, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft.

Ohne auf die Tatmodalitäten im Detail einzugehen (etwa wird bei 1. die Kundgabe unmittelbar gegenüber der fremden Macht verlangt, Mittelswege reichen nicht ausgenommen Mittelsmänner, wobei auch hier differenziert wird) möchte ich mich auf einzelne Punkte konzentrieren.

Zuerst einmal ist mit zwei Mythen aufzuräumen: Es schadet der Annahme eines Geheimnisses nicht, dass es sich um Erkenntnisse aus offenkundigen Tatsachen handelt (SK-StGB, §93, Rn.18). Auch dass das Geheimnis der fremden Macht bereits bekannt ist, schadet nicht (SK-StGB, §93, Rn.12). Beides sind verständliche Irrtümer in manchen Diskussionen. Zumindest letzteres ist aber zugleich auch eine Verwechslung: Zwar ändert die Kenntnis der anderen Macht nicht zwangsläufig etwas am Geheimnis-Charakter, sehr wohl muss man sich aber fragen, ob durch die Kenntnis die Erforderlichkeit des Geheimnisschutzes aufgehoben wird (dazu SK-StGB, §93, Rn.21ff).

Im vorliegenden Fall ist diese Frage m.E. überflüssig, denn: So wie ich es sehe, geht es hier alleine um Geheimnisse der USA. Schutzobjekt sind aber alleine deutsche Geheimnisse (SK-StGB, §93, Rn.3). Die gekrückte Argumentation, dass es in den US-Depeschen ja auch um die Einschätzungen deutscher Politiker geht, möchte ich dabei ablehnen: Zum einen ist es mit h.M. schon gar nicht Aufgabe des deutschen Gesetzgebers, fremde Staatsgeheimnisse zu schützen und entzieht sich auch dessen Fähigkeiten (SK-StGB, §93, Rn.3). Desweiteren kann als Geheimnis nur die unmittelbare Bewertung der hier vorliegenden offenkundigen Tatsachen gelten. Im Fazit scheitert für mich schon an diesem Punkt die Frage der Strafbarkeit nach deutschem Recht.

Wenn man nun dennoch weiter fragt, ist die Gefahr eines schweren Nachteils nötig. Dabei dürfte es von Interesse sein, dass ein solcher Nachteil dann nicht vorliegt, wenn das Geheimnis einer befreundeten Staatsmacht bekannt gegeben wird (SK-StGB, §94, Rn.6). Weiterhin ist festzustellen, dass als „schwerer Nachteil“ alleine

Einbußen an äußerer Sicherheit in Betracht kommen, d.h. das Auslösen von Maßnahmen fremder Mächte gegen die BRD […] (SK-StGB, §93, Rn. 29

Richtigerweise gilt damit in der Konsequenz für den „schweren Nachteil“:

[…] auszuscheiden sind daher bloße außenpolitische Verstimmungen […] (SK-StGB, §93, Rn.30)

Diese Feststellung ist in der Tat nicht überflüssig, denn damit werden die §§93-97a StGB alle auf einmal als mögliche Tatbestände weggekickt. Eine Strafbarkeit auf Grund der „Verrats-Delikte“ nach deutschem Strafrecht möchte ich daher sowohl für die Betreiber von Wikileaks als auch für diejenigen, die die Inhalte „spiegeln“ möchten ausschliessen.

Aber.

Die Sache ist damit nicht beendet, ich blicke nun speziell auf diejenigen, die die Wikileaks Dokumente „spiegeln“ möchten: Droht hier irgendwo noch Ungemach? Wenn man ein wenig „über Ecken“ denkt, gibt es da tatsächlich Möglichkeiten. Ich denke z.B. daran, dass in einem der vielen tausend Dokumente eine (Formal-)Beleidigung/Verleumdung/Üble Nachrede begangen wird. Und daran, dass ein Staatsanwalt in dem „spiegeln“ vielleicht ein zu Eigen machen fremder Inhalte sieht – somit beispielsweise zum Ergebnis einer (Beihilfe zur) Beleidigung kommt. Auch wenn ich nicht glaube, dass ein Richter dem wirklich folgen wird: Wir haben in der Vergangenheit schon mit abstruseren Sachverhalten strafrechtliche Ermittlungsmaßnahmen samt Hausdurchsuchung erlebt. Dieses Risiko sollte man zumindest kennen.

Weiterhin muss man sich im Klaren sein, dass Verfälschungen an den Dateien sehr wohl strafrechtliche Relevanz haben können (§269 StGB). Das betrifft aber wohl nicht die, die „einfach nur spiegeln“.

Zu guter Letzt verbleibt natürlich noch der Blick aufs Urheberrecht. Hier gilt erst einmal der Grundsatz, dass behördliche Dokumente in den USA „public domain“ sind, sofern gewisse Vorgaben eingehalten werden (dazu hier ein englischer Text).

Im Ergebnis sehe ich zur Zeit im reinen Spiegeln keine strafrechtliche Relevanz, wohl aber das Problem, dass der Inhalt der Dokumente (die man unmöglich alle selber prüfen kann) vielleicht Probleme bereitet. Dabei weniger im Bereich von „Verrats“-Delikten, sondern vielmehr im Bereich der Beleidigung & Co.

Fachanwalt für IT-Recht Jens Ferner