Zulässigkeit identifizierender Verdachtsberichterstattung

Der Bundesgerichtshof (VI ZR 262/21) hatte noch einmal Gelegenheit, an die Grundsätze der identifizierenden Verdachtsberichterstattung zu erinnern: Für eine identifizierende Verdachtsberichterstattung ist jedenfalls ein Mindestbestand an Beweistatsachen erforderlich, die für die Richtigkeit der Information sprechen und ihr damit erst „Öffentlichkeitswert“ verleihen.

Die Darstellung darf zudem keine Vorverurteilung des Betroffenen enthalten, also nicht durch eine vorverurteilende Darstellung den unzutreffenden Eindruck erwecken, der Betroffene sei der ihm vorgeworfenen Tat bereits überführt. Vor der Veröffentlichung ist regelmäßig auch eine Stellungnahme des Betroffenen einzuholen. Schließlich muss es sich um einen Vorgang von erheblicher Bedeutung handeln, dessen Mitteilung durch ein Informationsinteresse der Allgemeinheit gerechtfertigt ist.

Für die Verdachtsberichterstattung gilt, dass nach ständiger Rechtsprechung des Senats und des Bundesverfassungsgerichts eine Tatsachenbehauptung, deren Wahrheitsgehalt ungeklärt ist und die eine die Öffentlichkeit wesentlich berührende Angelegenheit betrifft, demjenigen, der sie aufstellt oder verbreitet, so lange nicht untersagt werden kann, wie er sie zur Wahrnehmung berechtigter Interessen für erforderlich halten darf (Art. 5 GG, § 193 StGB).

Eine Berufung hierauf setzt voraus, dass vor dem Aufstellen oder Verbreiten der Behauptung hinreichend sorgfältige Recherchen über deren Wahrheitsgehalt angestellt worden sind. Die Pflichten zur sorgfältigen Recherche über den Wahrheitsgehalt richten sich dabei nach den Aufklärungsmöglichkeiten. Sie sind für Medien grundsätzlich strenger als für Privatpersonen. Im Interesse der Meinungsfreiheit dürfen an die Wahrheitspflicht keine Anforderungen gestellt werden, die die Bereitschaft, von diesem Grundrecht Gebrauch zu machen, mindern. Andererseits sind die Anforderungen umso höher, je schwerer die Äußerung in das Persönlichkeitsrecht eingreift. Allerdings ist auch das Interesse der Öffentlichkeit an der Äußerung zu berücksichtigen.

Diese Grundsätze gelten auch für die Berichterstattung über Ermittlungsverfahren unter namentlicher Nennung des Beschuldigten. In diesem Verfahrensstadium steht lediglich fest, dass ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde, nicht aber, ob der Beschuldigte die ihm zur Last gelegte Straftat begangen hat. Zwar gehört es zu den legitimen Aufgaben der Medien, Verfehlungen – auch konkreter Personen – aufzuzeigen.

Dies gilt auch für die Berichterstattung über eine Straftat, da diese zum Zeitgeschehen gehört und die Verletzung der Rechtsordnung und die Beeinträchtigung von Rechtsgütern der betroffenen Bürger oder der Allgemeinheit grundsätzlich ein anzuerkennendes Interesse der Öffentlichkeit an näheren Informationen über Tat und Täter begründet. Besteht allerdings – wie im Ermittlungsverfahren – nur der Verdacht einer Straftat, so sind die Medien bei besonderer Schwere des Vorwurfs wegen der damit verbundenen schwerwiegenden Beeinträchtigung der persönlichen Ehre in besonderem Maße zur Sorgfalt verpflichtet. Dabei ist im Hinblick auf die sich aus dem Rechtsstaatsprinzip ergebende und in Art. 6 Abs. 2 EMRK anerkannte Unschuldsvermutung die Gefahr zu berücksichtigen, dass die Öffentlichkeit die bloße Einleitung eines Ermittlungsverfahrens mit dem Nachweis einer Schuld gleichsetzt und deshalb im Falle einer späteren Einstellung des Ermittlungsverfahrens oder eines Freispruchs vom Schuldvorwurf „etwas hängen bleibt“. Eine solche Gefahr kann auch dann bestehen, wenn nicht über ein staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren, sondern über das Ergebnis von Ermittlungen anderer staatlicher Sicherheitsbehörden – etwa des BND – berichtet wird, die mit dem Vorwurf der Begehung von Straftaten verbunden sind.

Erforderlich ist nach ständiger Rechtsprechung jedenfalls ein Mindestbestand an Beweistatsachen, die für die Richtigkeit der Information sprechen und ihr damit erst „Öffentlichkeitswert“ verleihen. Die Darstellung darf zudem keine Vorverurteilung des Betroffenen enthalten, also nicht durch eine vorverurteilende Darstellung den unzutreffenden Eindruck erwecken, der Betroffene sei der ihm vorgeworfenen Tat bereits überführt. Vor der Veröffentlichung ist regelmäßig auch eine Stellungnahme des Betroffenen einzuholen. Schließlich muss es sich um einen Vorgang von erheblicher Bedeutung handeln, dessen Mitteilung durch ein Informationsbedürfnis der Allgemeinheit gerechtfertigt ist.

Fachanwalt für IT-Recht Jens Ferner