Zulässigkeit von Öffentlichkeitsfahndung in Presse

Beim Bundesgerichtshof (VI ZR 445/19), ging es um eine Öffentlichkeitsfahndung – also der Suche mit Bildern nach Personen – in einer Pressepublikation, konkret um die Zulässigkeit einer identifizierenden Bildberichterstattung im Kontext der Berichterstattung über Ausschreitungen anlässlich des G20-Gipfels im Jahr 2017.

Der Bundesgerichtshof hat unterstrichen, dass es insoweit bei der bisherigen Rechtsprechung verbleibt und derartige Publikationen am allgemeinen presserechtlichen Maßstab zu messen sind.

Grundsätze des Presserechts

Der BGH hebt nochmals hervor, dass es zum Kern der Pressefreiheit gehört, dass die Presse innerhalb der gesetzlichen Grenzen einen ausreichenden Spielraum besitzt, in dem sie nach ihren publizistischen Kriterien entscheiden kann, was öffentliches Interesse beansprucht. Dazu zählt ausdrücklich auch die Entscheidung, ob und wie ein Presseerzeugnis bebildert wird. Eine Bedürfnisprüfung, ob eine Bebilderung veranlasst war, findet nicht statt. Dies ist dann der Einstieg in die bekannte Abwägung:

Allerdings besteht das Informationsinteresse nicht schrankenlos. Vielmehr wird der Einbruch in die persönliche Sphäre des Abgebildeten durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit begrenzt. Es bedarf mithin einer abwägenden Berücksichtigung der kollidierenden Rechtspositionen. Die Belange der Medien sind dabei in einen möglichst schonenden Ausgleich mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des von einer Berichterstattung Betroffenen zu bringen. Im Rahmen der Abwägung kommt dem Gegenstand der Berichterstattung maßgebliche Bedeutung zu, wobei der Informationsgehalt der Bildberichterstattung unter Berücksichtigung der zugehörigen Textberichterstattung zu ermitteln ist. Entscheidend ist insbesondere, ob die Medien im konkreten Fall eine Angelegenheit von öffentlichem Interesse ernsthaft und sachbezogen erörtern, damit den Informationsanspruch des Publikums erfüllen und zur Bildung der öffentlichen Meinung beitragen, oder ob sie – ohne Bezug zu einem zeitgeschichtlichen Ereignis – lediglich die Neugier der Leser befriedigen (…)

Je größer der Informationswert für die Öffentlichkeit ist, desto mehr muss das Schutzinteresse desjenigen, über den informiert wird, hinter den Informationsbelangen der Öffentlichkeit zurücktreten. Umgekehrt wiegt der Schutz der Persönlichkeit des Betroffenen desto schwerer, je geringer der Informationswert für die Allgemeinheit ist (…) Daneben sind für die Gewichtung der Belange des Persönlichkeitsschutzes der Anlass der Berichterstattung und die Umstände in die Beurteilung mit einzubeziehen, unter denen die Aufnahme entstanden ist. Auch ist bedeutsam, in welcher Situation der Betroffene erfasst und wie er dargestellt wird

BGH VI ZR 445/19 und VI ZR 449/19

Abwägung bei Presseveröffentlichungen zu Straftaten

Diese allgemeinen Erwägungen oben überführt der Bundesgerichtshof in eine konkrete Abwägung hinsichtlich Straftaten. Hier gilt, dass wenn es um eine identifizierende Bildberichterstattung über ein Fehlverhalten – speziell bei Straftaten – geht, hier zu berücksichtigen ist, dass eine solche Berichterstattung in das Recht des Abgebildeten auf Schutz seiner Persönlichkeit eingreift, weil sie sein Fehlverhalten öffentlich bekannt macht und seine Person in den Augen der Adressaten von vornherein negativ qualifiziert. Andererseits kann ein Fehlverhalten zum Zeitgeschehen gehören, dessen Vermittlung Aufgabe der Medien ist:

So begründen die Verletzung der Rechtsordnung und die Beeinträchtigung von Rechtsgütern der betroffenen Bürger oder der Gemeinschaft grundsätzlich ein anzuerkennendes Interesse der Öffentlichkeit an näherer Information über Tat und Täter. Für die tagesaktuelle Berichterstattung über Straftaten oder ähnliche Verfehlungen verdient das Informationsinteresse im Allgemeinen den Vorrang. Denn wer den Rechtsfrieden bricht und durch diese Tat und ihre Folgen Mitmenschen oder Rechtsgüter der Gemeinschaft angreift oder verletzt, muss grundsätzlich dulden, dass das von ihm selbst erregte Informationsinteresse der Öffentlichkeit auf den dafür üblichen Wegen befriedigt wird. Die Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts muss allerdings im angemessenen Verhältnis zur Schwere des Fehlverhaltens und seiner sonstigen Bedeutung für die Öffentlichkeit stehen. Ein an sich geringeres Interesse der Öffentlichkeit an Information über leichte Verfehlungen kann im Einzelfall allerdings durch Besonderheiten etwa in der Person des Täters, der Art der Verfehlung oder des Tathergangs in einem Maße gesteigert sein, dass das Interesse des Täters an einem Schutz seiner Persönlichkeit dahinter zurückzutreten hat. Eine identifizierende Berichterstattung über derartige Verfehlungen kann durchaus geeignet sein, Ideen und Informationen zu Fragen von allgemeinem Interesse zu vermitteln und eine Diskussion hierüber in der Gesellschaft anzustoßen oder zu bereichern. Wo konkret die Grenze für das Informationsinteresse an der aktuellen Berichterstattung zu ziehen ist, lässt sich nur unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände des Einzelfalls entscheiden

BGH VI ZR 445/19 und VI ZR 449/19

Konkrete individuelle Betrachtung

Für die konkrete Abwägung kommt es dann im weiteren auf konkrete Kriterien an, die hervorzuheben sind und die für eine zulässige Veröffentlichung sprechen:

  • Wenn die betreffende Person ausschließlich optisch und auch insoweit nur von einem vergleichsweise kleinen Kreis von Personen identifiziert werden kann;
  • Wenn es um ein Verhalten in der Öffentlichkeit und damit in der Sozialsphäre geht;
  • Wenn man selbst Aufmerksamkeit erregt hat und mit Berichterstattung auch noch rechnen muss;
  • Wenn die betreffende Person nicht darauf verweisen kann, den sozialen Bedeutungsgehalt der Situation und ihres Verhaltens einzuschätzen
Fachanwalt für IT-Recht Jens Ferner