Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Bremen hat am 30. April 2024 (Az. 1 B 163/24) eine bedeutende Entscheidung zur Rechtmäßigkeit von Beschränkungen von Meinungsäußerungen im Kontext von Versammlungen getroffen. Diese Entscheidung beleuchtet die Balance zwischen der Gewährleistung der Meinungsfreiheit und dem Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung.
„OVG Bremen: Beschränkungen von Meinungsäußerungen bei Versammlungen“ weiterlesenAbmahnung: Unberechtigte Verwarnung aus einem Kennzeichenrecht
Unberechtigte Abmhnung: Am 29. Mai 2024 entschied der Bundesgerichtshof (BGH) in einem bedeutenden Fall über die unberechtigte Verwarnung aus einem Kennzeichenrecht (I ZR 145/23). Diese Entscheidung wirft wesentliche rechtliche Fragestellungen auf, die sowohl für Markeninhaber als auch für Unternehmen von Interesse sind, die möglicherweise zu Unrecht abgemahnt wurden.
„Abmahnung: Unberechtigte Verwarnung aus einem Kennzeichenrecht“ weiterlesenWann darf man Mitarbeiter wegen rassistischer Äußerungen kündigen?
Rassistische Äußerungen am Arbeitsplatz oder durch Arbeitnehmer (in der Öffentlichkeit) sind ein ernstes Problem, das Arbeitgeber nicht tolerieren dürfen. Doch wann genau berechtigen solche Äußerungen zur Kündigung eines Mitarbeiters?
Im Folgenden gehe ich kurz auf die rechtlichen Rahmenbedingungen von Kündigungen nach rassistischen Äußerungen ein. In unserem Blog finden sich zudem Fallbeispiele zur Frage, wann eine Kündigung wegen rassistischer Beleidigungen gerechtfertigt ist.
„Wann darf man Mitarbeiter wegen rassistischer Äußerungen kündigen?“ weiterlesenVerwertung der Transkripte von im Ausland heimlich abgehörten Gesprächen
In einer spannenden Entscheidung vom 9. April 2024 (Az. 4 U 452/23) hat das Oberlandesgericht (OLG) Dresden zur Verwertung von im Ausland heimlich abgehörten Gesprächen Stellung genommen.
Im Fokus des Urteils steht die Frage, ob solche Transkripte zur Durchsetzung schuldrechtlicher Ansprüche in Deutschland verwendet werden dürfen.
„Verwertung der Transkripte von im Ausland heimlich abgehörten Gesprächen“ weiterlesenWhatsapp-Verwertungsverbot im Kündigungsschutzprozess
In einem bemerkenswerten Rechtsstreit, der beim Landesarbeitsgericht Bremen unter dem Aktenzeichen 1 Sa 53/23 verhandelt wurde, drehte sich alles um die strittige fristlose Kündigung einer Rechtsanwaltsfachangestellten. Der Fall wirft – wie alle diese Fälle – Licht auf die komplexen Anforderungen an die Rechtfertigung einer fristlosen Entlassung und verdeutlicht die Bedeutung einer sorgfältigen Abwägung der Interessen beider Parteien im Arbeitsrecht.
Darüber hinaus, das dürfte der spannendste Teil sein, wurde ein Verwertungsverbot hinsichtlich von Whatsapp-Chats angenommen, auf die der Arbeitgeber mittels eines noch vorhandenen Web-Zugriffs auf einem Arbeitsrechner zugreifen konnte.
„Whatsapp-Verwertungsverbot im Kündigungsschutzprozess“ weiterlesenMeinungsfreiheit und Kritik an der Bundesregierung
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat in seinem Beschluss vom 11. April 2024 (Aktenzeichen 1 BvR 2290/23) eine Entscheidung des Kammergerichts aufgehoben, die es einem Journalisten und Produzenten untersagte, eine kritische Äußerung gegenüber der Bundesregierung zu tätigen.
Die kritische Äußerung des Journalisten bezog sich auf die Zahlung von Entwicklungshilfe an Afghanistan, die seiner Meinung nach indirekt den Taliban zugutekommen könnte. Diese Äußerung war von einer einstweiligen Verfügung betroffen, welche das Kammergericht in einem früheren Urteil erlassen hatte.
Das Bundesverfassungsgericht stellte fest, dass die Entscheidung des Kammergerichts das Grundrecht auf Meinungsfreiheit nach Artikel 5 Absatz 1 des Grundgesetzes verletzte. Der Journalist hatte auf seinem YouTube-Kanal und über soziale Medien eine Kurznachricht verbreitet, die mit einem Artikel verlinkt war und somit einen Kontext herstellte, der bei der Beurteilung der Äußerung berücksichtigt werden muss. Das BVerfG kritisierte, dass das Kammergericht diesen Kontext nicht angemessen gewürdigt und die Äußerung fälschlicherweise nur als unwahre Tatsachenbehauptung eingestuft hatte.
Diese Entscheidung ist von besonderer Bedeutung für die Meinungsfreiheit in Deutschland, da sie verdeutlicht, dass auch kritische und polemische Äußerungen gegenüber der Regierung vom Schutz der Meinungsfreiheit umfasst sind, insbesondere wenn sie in einen sachlichen Kontext eingebettet sind. Das BVerfG betonte, dass der Staat auch scharfe Kritik aushalten muss und dass der Schutz staatlicher Einrichtungen nicht dazu führen darf, dass sachliche Kritik an der Amtstätigkeit abgeblockt wird.
Die aufgehobene Entscheidung des Kammergerichts wird nun zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses zurückverwiesen.
OLG Braunschweig Urteil zum „Ungeimpft-Stern“ – Eine Abwägung von Meinungsfreiheit und historischer Sensibilität
Das Oberlandesgericht Braunschweig hat in einem bemerkenswerten Urteil vom 7. September 2023 (Az.: 1 ORs 10/23) entschieden, dass die Veröffentlichung eines sogenannten „Judensterns“ mit der Aufschrift „nicht geimpft“ auf Facebook nicht den Tatbestand der Volksverhetzung gemäß § 130 Abs. 3 StGB erfüllt. Diese Entscheidung wirft ein Licht auf die Gratwanderung zwischen Meinungsfreiheit und der Notwendigkeit, historisch sensible Symbole zu schützen.
„OLG Braunschweig Urteil zum „Ungeimpft-Stern“ – Eine Abwägung von Meinungsfreiheit und historischer Sensibilität“ weiterlesenVerbot der Führung der Dienstgeschäfte wegen zustimmenden Kommentierens eines nationalsozialistischen Inhalts in WhatsApp-Chat
Dass eine zustimmende Kommentierung von Inhalten, die den Nationalsozialismus verherrlichen oder sonst nationalsozialistisches, antisemitisches oder rassistisches Gedankengut enthalten, geeignet ist, Zweifel an der Bereitschaft eines Polizeivollzugsbeamten, jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung einzutreten, zu begründen und damit auch ein Verbot der Führung der Dienstgeschäfte zu rechtfertigen, hat das VG Magdeburg (5 B 17/23 MD) deutlich gemacht.
„Verbot der Führung der Dienstgeschäfte wegen zustimmenden Kommentierens eines nationalsozialistischen Inhalts in WhatsApp-Chat“ weiterlesenPredictive Policing: Automatisierte Datenanalyse und Informationelle Selbstbestimmung
Die Zukunft der Kriminalitätsbekämpfung liegt wahrscheinlich in einem Wandel von der reinen Reaktion hin zur Prävention. Technisch möglich wird dieser Wandel durch die Kombination zweier technologischer Entwicklungen: Auf der einen Seite eine eklatante Anhäufung von Daten („Big Data“) und auf der anderen Seite die zunehmende Möglichkeit, durch bestimmte Formen künstlicher Intelligenz diese Daten nicht nur auszuwerten, sondern daraus auch brauchbare statistische Vorhersagen zu gewinnen. Dies ermöglicht zumindest theoretisch die Vorhersage des Auftretens von Straftaten, das sogenannte Predictive Policing.
Das Bundesverfassungsgericht hatte nun erstmals Gelegenheit, sich zu diesem Thema zu äußern. Die Entscheidung dürfte für Jahrzehnte richtungsweisend sein. Sie beginnt wenig überraschend mit der Klarstellung, dass, wenn gespeicherte Datenbestände mittels einer automatisierten Anwendung zur Analyse oder Auswertung von Daten verarbeitet werden, dies einen Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) all derjenigen darstellt, deren Daten bei diesem Vorgang personenbezogen verwendet werden (1 BvR 1547/19 und 1 BvR 2634/20). Betroffen sind also nicht nur die Personen, die am Ende der Auswertung möglicherweise Gegenstand von (weiteren) Ermittlungsmaßnahmen sind.
Ebenso hat das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich klargestellt, dass dann, wenn die entsprechende automatisierte Datenanalyse oder -auswertung einen schwerwiegenden Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht ermöglicht, dieser nur unter den engen Voraussetzungen gerechtfertigt werden kann, wie sie allgemein für eingriffsintensive heimliche Überwachungsmaßnahmen gelten. Das heißt: nur zum Schutz besonders gewichtiger Rechtsgüter, sofern für diese eine zumindest hinreichend konkrete Gefahr besteht.
Auf das Erfordernis einer zumindest hinreichend konkretisierten Gefahr für besonders wichtige Rechtsgüter kann aus verfassungsrechtlicher Sicht nur dann verzichtet werden, wenn die zulässigen Analyse- und Auswertungsmöglichkeiten durch Regelungen insbesondere zur Begrenzung von Art und Umfang der Daten und zur Beschränkung der Datenverarbeitungsmethoden normenklar und hinreichend bestimmt so eng begrenzt werden, dass das Eingriffsgewicht der Maßnahmen erheblich reduziert wird. Dabei hat das BVerfG sogar einen Kriterienkatalog für die jeweilige Abwägung gleich mitgeliefert, der äußerst umfangreich ist, zugleich aber eine formelhafte Betrachtung im Keim unterbindet.
„Predictive Policing: Automatisierte Datenanalyse und Informationelle Selbstbestimmung“ weiterlesenBVerfG zu Vorratsdatenspeicherung: Erste Anmerkungen #vds
Nach dem ersten Eindruck und der Lektüre der Mitteilung des BVerfG (Urteil inzwischen hier) komme ich zu folgenden ersten Anmerkungen:
- Eine Vorratsdatenspeicherung in der Form, das private Unternehmen die Daten speichern auf bestimmte Zeit und der Staat Zugang erhält, ist mit dem Grundgesetz vereinbar – die bisher gewählte Form ist aber nichtig, da intransparent und nicht konkret genug ausgestaltet.
- Im Bereich der Gefahrenabwehr ist ein Zugriff auf gespeicherte Daten auch möglich, aber nur wenn es um Leben, Körper und Freiheit geht.
- Ein Zugriff ist zur Aufklärung schwerer Straftaten und Ordnungswidrigkeiten (!) denkbar. Dabei muss der Gesetzgeber einen Katalog aufstellen, ist aber nicht an eine Begrenzung auf Leben, Körper und Freiheit gebunden – eine Auskunft zum Schutz urheberrechtlicher Ansprüche dürfte damit möglich sein.
- Das Urteil steht (wohl als erstes) im Lichte des Lissabon-Urteils, dass Grenzen der EU-Rechtsetzung gezogen hat. Hierbei wurde vermerkt, dass die „verfassungsrechtliche Identität“ der EU Grenzen setzt.
Eben eine solche sieht das BVerfG hier berührt (Rn. 218 im Urteil):"Dass die Freiheitswahrnehmung der Bürger nicht total erfasst und registriert werden darf, gehört zur verfassungsrechtlichen Identität der Bundesrepublik Deutschland, für deren Wahrung sich die Bundesrepublik in europäischen und internationalen Zusammenhängen einsetzen muss. Durch eine vorsorgliche Speicherung der Telekommunikationsverkehrsdaten wird der Spielraum für weitere anlasslose Datensammlungen auch über den Weg der Europäischen Union erheblich geringer."
- Leider hat das BVerfG die Chance wohl verpasst, ausdrücklich klar zu stellen, wie die Rechtsnatur der IP-Adresse zu bewerten ist. In der Mitteilung findet man zwar einen eigenen Abschnitt zu IP-Adressen, aber keine direkte Aussage ob diese ein personenbezogenes oder ein relativ personenbezogenes Datum sind (Zum Streit hier eine Übersicht). Zwar wird deutlich, dass das BVerfG die IP-Adressen als personenbezogen ansieht, doch sieht das BVerfG erst mit umfassender Speicherung die „Anonymität der Nutzer“ bedroht, was an die Argumentation der Lehre vom relativen Personenbezug erinnert.
Im aktuellen Fazit bin ich ein wenig enttäuscht: Zum einen ist es schön, viele Zeilen des Verfassungsgericht zur IP-Adresse zum Analysieren zu haben. Auch ist es zu begrüssen, dass die bisherige Form der Vorratsdatenspeicherung gekippt wurde und die bisher gesammelten Daten zu vernichten sind.
Das BVerfG hat ausdrücklich festgehalten, dass eine Vorratsdatenspeicherung mit dem deutschen Grundgesetz möglich ist – und zur Aufklärung von Straftaten eingsetzt werden darf. Dabei unterscheidet das BVerfG zwischen „unmittelbarer“ und „mittelbarer“ Aufklärung. Eine mittelbare liegt vor, wenn die TK-Dienstleister auf Anfrage eine IP einem Anschluss zuordnung vornehmen, was auch „unabhängig von begrenzenden Straftaten- oder Rechtsgüterkatalogen für die Strafverfolgung und Gefahrenabwehr“ möglich sein soll. Der Aufkunftsnahspruch nach §101 II UrhG ist damit z.B. verfassungsrechtlich verankert.
Das BVerfG mahnt, wie häufiger in der Vergangenheit, die schlechte handwerkliche Leistung und mangelnde Transparenz beim Gesetz an. In einer Gesamtschau, die freilich noch sehr früh stattfindet, bin ich inzwischen soweit, festzustellen, dass das BVerfG dem Gesetzgeber wieder einmal – wenn auch heftiger als sonst – auf die Finger gehauen hat. Von einem „Sieg für die Bürgerrechte“ möchte ich aber nicht sprechen, so etwas sieht anders aus.
Ein Lichtblick ist vor allem der erste Bezug auf die „verfassungsrechtliche Identität“. Schon mehrfach war in der Literatur kritisiert, dass im Lissabon-Urteil keine Kriterien gegeben wurden, wo diese Identität liegen soll. Das BVerfG zeigt hier nun (im Uteil Rn. 218), wie leicht und problemlos die deutsche Rechtsprechung der EU (jederzeit!) Grenzen setzen darf. Als der Richter Papier vor kurzem meinte, das Urteil wird europaweit Beachtung finden, lag er sicherlich richtig – auch wenn es noch einige Zeit dauern wird, bis die meisten verstehen, was hier genau gemacht wurde. Seit heute steht fest, dass die Souveränität der deutschen Verfassung und Verfassungsrechtsprechung nicht so schnell vor der EU in die Knie gehen wird.