Geltungserhaltende Reduktion: Immer noch ist der Irrglaube anzutreffen, dass man bei vor formulierten Vertragsbedingungen („AGB“) auch einmal versuchen kann, den gesetzlichen Rahmen zu überschreiten. Die Hoffnung dahinter ist, dass es halt notfalls „etwas enger“ ausgelegt wird. Das ist falsch.
Grundsätzlich keine Geltungserhaltende Reduktion
Der Gedanke hat einen juristischen Terminus: „Geltungserhaltende Reduktion“. Dabei geht es darum, eine mit dem Gesetz nicht in Einklang stehende Regelung so auszulegen, dass sie letzten Endes doch mit dem Gesetz im Einklang steht. Jedenfalls bei AGB ist das mit dem BGH nicht möglich. Der Palandt-Kommentar zum BGB schreibt dazu zutreffend (§307, Rn.8):
Verstößt der Inhalt einer AGB teilweise gegen die §§307ff., so ist die Klausel grundsätzlich im Ganzen unwirksam
Wer also z.B. einen Haftungsausschluss vereinbaren möchte, der zu pauschal formuliert ist (etwa weil er gegen den §309 Nr.7 BGB verstößt) dem fliegt sprichwörtlich die gesamte Formulierung „um die Ohren“ und man steht auf dem Boden der gesetzlichen Regelung, nämlich: Haftung auch für leichte Fahrlässigkeit (§276 BGB).
Das ist für Verbraucher wie Unternehmer von Interesse, denn es zeigt sich recht deutlich, dass eben nicht alles, was in AGB vertraglich geregelt ist, auch wirklich in Stein gemeißelt ist. Und auch „nur grenzwertige“ Formulierungen können dazu führen, dass ganze Bestandteile der AGB sprichwörtlich weg brechen. Für Verbraucher bedeutet das, dass man auch bei scheinbar bindenden Verträgen häufig noch einen Ausweg finden kann – und Unternehmer riskieren sehr viel Sicherheit bei Schlampereien.
Eine weitere verbreitete Falle ist der scheinbar klare Wortlaut des §310 I BGB, der die Anwendung der §§308, 309 BGB bei AGB unter Unternehmern vermeintlich ausschließt. Tatsächlich aber finden manche Regelungen dennoch Anwendung, nämlich über eine wertende Betrachtung des §307 I BGB. So z.B. auch der §309 Nr.7 BGB, weswegen man bei AGB über Haftungsausschlüsse unter Unternehmern genauso kritisch sein muss wie gegenüber Verbrauchern.
Der Bundesgerichtshof (VII ZR 100/15) macht es zum Thema „Geltungserhaltende Reduktion“ insoweit kurz:
„Eine geltungserhaltende Reduktion der gegen das Transparenzgebot verstoßenden Bestimmung kommt nicht in Betracht, da das Transparenzgebot anderenfalls weitgehend ins Leere liefe“
Ausnahme: Wettbewerbsverbot
Eine wichtige Ausnahme ist ein vereinbartes Wettbewerbsverbot, hier lässt der Bundesgerichtshof durchaus zu, dass ein zu weit gefasstes Wettbewerbsverbot auf das gesetzlich zulässige Maß reduziert wird.
Auch keine ergänzende Vertragsauslegung bei unwirksamen AGB?
Vorsicht ist auch geboten, wenn man glaubt, man bekommt das Problem durch eine spätere Vertragsauslegung in den Griff. Zwar ist mit dem BGH grundsätzlich eine ergänzende Vertragsauslegung denkbar – allerdings muss dazu davon auszugehen sein, dass beide Parteien das dann auch so vereinbaren wollten. Der BGH VII ZR 100/15) dazu:
Die durch die Unwirksamkeit der Bestimmung entstandene Lücke lässt sich auch nicht durch eine ergänzende Vertragsauslegung schließen.
Zwar zählen zu den gemäß § 306 Abs. 2 BGB bei Unwirksamkeit von Allgemeinen Geschäftsbedingungen anwendbaren gesetzlichen Vorschriften auch die Bestimmungen der §§ 157, 133 BGB über die ergänzende Vertragsauslegung (…) Lässt sich eine durch Unwirksamkeit einer Klausel entstandene Lücke nicht durch dispositives Gesetzesrecht füllen und stellt ein ersatzloser Wegfall der betreffenden Klausel keine sachgerechte Lösung dar, ist zu prüfen, ob durch eine ergänzende Vertragsauslegung eine interessengerechte Lösung gefunden werden kann (…).
Eine ergänzende Vertragsauslegung setzt allerdings voraus, dass sich Anhaltspunkte dafür finden lassen, wie die Vertragsparteien den Vertrag gestaltet hätten, wenn ihnen die nicht bedachte Unwirksamkeit der Klausel bewusst gewesen wäre. Kommen dagegen unterschiedliche Gestaltungsmöglichkeiten in Betracht, ohne dass erkennbar ist, welche die Vertragsparteien gewählt hätten, sind die Gerichte zu einer ergänzenden Vertragsauslegung weder in der Lage noch befugt (…)
Aufspaltung der AGB in wirksamen und unwirksamen Teil
Allerdings bietet sich immer die Möglichkeit, wenn sprachlich eröffnet, die Klausel in einen wirksamen und unwirksamen Teil zu spalten:
Eine geltungserhaltende Reduktion des Aufrechnungsverbots auf ein inhaltlich noch zulässiges Maß kommt nicht in Betracht (Senatsurteil vom 27. Juni 2007 – XII ZR 54/05 – NJW 2007, 3421 Rn. 21 mwN). Zwar ist, wenn sich eine Formularklausel nach ihrem Wortlaut aus sich heraus verständlich und sinnvoll in einen inhaltlich zulässigen und in einen unzulässigen Regelungsteil trennen lässt, die Aufrechterhaltung des zulässigen Teils rechtlich unbedenklich (Senatsurteile BGHZ 178, 158 = NJW 2008, 3772 Rn.32 mwN und vom 14.Januar 2015 -XII ZR 176/13- NJW 2015, 928 Rn. 23).
Auch beim EUGH keine geltungserhaltende Reduktion
Bei allgemeinen Geschäftsbedingungen gilt mit dem Bundesgerichtshof seit je her: Es gibt keine „geltungserhaltende Reduktion“. Das heisst, wenn eine Formulierung von AGB rechtlich nicht haltbar ist, dann wird nicht einfach diese AGB so angewendet, wie sie (maximal) rechtlich möglich wäre. Vielmehr behandelt man die AGB immer als nicht-existent, also so, als würden sie gar nicht im Vertrag stehen. Dieses eiserne Prinzip wurde zwischenzeitlich auch vom EUGH (C-618/10) bestärkt, der klar gestellt hat, dass Verbrauchern gegenüber unwirksame AGB durch das Gericht strikt nicht anzuwenden sind. Eine inhaltliche Abänderung der AGB entsprechend dem vermuteten Parteiwillen ist nicht möglich. Auch wenn nationalstaatliche Regelungen diese Möglichkeit vorsehen, so steht dem die Richtlinie über missbräuchliche Klauseln (Richtlinie 93/13/EWG) entgegen!
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