Ich durfte vor kurzem ein Verfahren gegen einen deutschen Provider führen, der falsche Auskünfte erteilt hatte, die zu Filesharing-Abmahnungen geführt haben. Die Sache war von Anfang an kompliziert und am Ende überraschte das AG München mit einer Rechtsauffassung, die man so nicht erwarten musste.
Hinweis auf Falschauskünfte
Der Sachverhalt war wie immer: Ein Nutzer erhielt Abmahnungen in Masse und beteuerte nichts getan zu haben. Da er alleine wohnte und angeblich eine Provider-Auskunft vorlag, sah es eher düster aus. Allerdings konnte man sich denken, dass da irgendwas nicht stimmte, denn der betagte Nutzer hatte lediglich einen USB-Stick und dass er hierüber mittels Bittorrent ganze Filme getauscht haben soll während er nur GPRS-Verbindungen aufbauen konnte stimmte doch bedenklich. Die Abmahner zeigten sich natürlich gewohnt ungerührt.
Die Merkwürdigkeiten häuften sich aber, denn auf Nachfrage teilte ausgerechnet der Provider selber mit, dass gar keine Auskunft erteilt worden sein. Und auch technisch war mir nicht klar, wie man bei einem Mobilfunkzugang mit bekanntlich rotierenden und sogar nach außen hin zeitgleich vergebenen IP-Adressen (dies ist eine Besonderheit bei mobilem Internet) einen konkreten Nutzer identifizieren können will. Die Abmahner blieben ungerührt, man kennt es.
Nachweis der Falschauskünfte
Da sich die Abmahnungen häuften verblieb nur noch ein sinnvoller Weg: USB-Stick samt SIM-Karte wurden von dem Rechtsanwalt des Nutzers in anwaltliche Verwahrung genommen und weggeschlossen. Tatsächlich folgten weitere Abmahnungen wegen Zeiträume, die angeblich in der Zeit lagen, in der nachweislich der Stick samt SIM anwaltlich verwahrt wurden. Die Falschauskunft war belegt.
Es dauert noch einige Wochen, bis dann auch der Provider dann irgendwann bestätigte, dass die Auskünfte hinsichtlich des Nutzers allesamt falsch waren, man habe wohl versehentlich immer falsche Daten heraus gegeben. Das genügte auch den Abmahnern, die Abmahnungen wurden „zurückgenommen“.
Schadensersatz?
Nun kommt der schwierige Teil: Der Nutzer hatte ja einen Rechtsanwalt beauftragt, was wiederum Kosten auslöste. Die sollten vom Provider eingeklagte werden, was ich dann übernommen habe. Tatsächlich sollte man meinen, dass die Lage recht einfach ist: Die Falschauskunft hatte der Provider selber bestätigt. Auch rechtlich ist eine Anspruchslage vorhanden, denn eine Falschauskunft stellt eine Vertragspflichtverletzung dar. Auf dieser Vertragspflichtverletzung basieren die Kosten des Anwalts, den wiederum der Nutzer einschalten durfte, da die Sach- und Rechtslage für einen Laien zu schwierig war. Tatsächlich wäre ohne anwaltliche Verwahrung des Sticks die Falschauskunft kaum nachweisbar gewesen.
Der Provider sah das anders: Man verwies darauf, dass doch bestenfalls leichte Fahrlässigkeit vorlag, der Nutzer hätte zu beweisen, dass überhaupt in grober Fahrlässigkeit agiert worden wäre. Ich fand das angesichts der aktuellen Rechtsprechung des BGH zur Beweislast recht sportlich, vielmehr traf den Provider wohl eine sekundäre Darlegungslast, weshalb ein derart schwerwiegender und gehäufter Verstoss nur fahrlässig geschehen sein soll. Der Provider hätte darzulegen, was genau für Abläufe bei ihm stattgefunden haben und wie es zur Falschauskunft kam (diese Information fehlt bis heute). Weiterhin meinte der Provider durchgehend, er sei ja zur Auskunft verpflichtet wegen des Gerichtsbeschlusses, weswegen ihn hier gar keine Haftung treffe. Das Argument verstehe ich bis heute nicht, denn der Gerichtsbeschluss ändert ja nichts daran, dass die Auskunft richtig zu erteilen ist und dass hier vertragswidrig Daten des Nutzers an Dritte herausgegeben wurden.
Das Verfahren in München
Ich hatte schon das Bauchgefühl, dass man sich in München – das AG München war zuständig – etwas bärbeissig zeigen würde. Und in der Tat: Man stimmte mir in meiner Argumentation im mündlichen Termin zwar zu, insbesondere was die Frage der Beweislast anging; aber dann wurde es haarig: So wurde dann thematisiert, dass der Beweis noch schwierig sei, dass die Kausalität zwischen Falschauskunft und Abmahnung bestünde. Da ich – unbestritten – vorgetragen hatte, dass auf Grund der Falschauskunft die Abmahnung erfolgten erledigte sich diese Phantomdiskussion nach 10 Minuten dann.
Spannender war ein anderer Aspekt: Das Amtsgericht führte aus, dass auch dann, wenn der Schadensersatz dem Grunde nach nachgewiesen ist, er der Höhe nach „schwierig“ sei. Eingeklagte war bei X Abmahnungen (es waren um die 20 Abmahnungen) jeweils eine Gebühr für das aussergerichtliche Tätigwerden, dabei ausgehend von einem Gegenstandswert von 3.000 Euro pro Abmahnung. Damit hatte man bei AG München aber Probleme. Das Gericht verwies nun plötzlich darauf, dass es der Auffassung zuneigen würde, dass hier insgesamt nur eine Angelegenheit anzunehmen wäre und eben nicht jede einzelne bearbeitete Abmahnung ein einzelnes gebührenrechtliches Mandat darstelle. Diese Rechtsprechung existiert, ich habe Sie selber bereits mehrfach angesprochen – allerdings habe ich noch nie gehört, dass irgendein Gericht, insbesondere das AG München, diese Rechtsprechung bei Abmahnern zur Anwendung bringt, wo man eben auch mit dem BGH darüber nachdenken kann, ob nicht alle Abmahnungen die auf einem einzelnen Auskunftsbeschluss beruhen eine einheitliche gebührenrechtliche Tätigkeit darstellen. Bei Abgemahnten nun wollte man aber unbedingt in diese Richtung.
Das Ergebnis war angesichts dieses Querschlägers klar: Es wurde ein Vergleich getroffen, ein Urteil in dieser Sache blieb dem Provider damit erspart. Dem Mandanten genügte es, er hatte am Ende keine Kosten, der Rechtsanwalt der ihn vertreten hatte bekam zumindest einen vertretbaren Betrag, das leidliche Thema hatte sein Ende gefunden.
Fazit
Bei mir verbleibt ein sehr schaler Nachgeschmack beim Ag München: Aus meiner Sicht gewährt man Rechteinhabern nicht mehr haltbare Privilegien bei der Beweislast und den Gebühren, während man bei den Abgemahnten ganz erhebliche Abstriche macht. Dass man nun bei den Gebühren eine Rechtsprechung bei Abgemahnten zur Anwendung bringen möchte, die man bei Abmahnern aktiv verwehrt unterstreicht dieses Gefühl nur noch.
Anders herum muss man sehen, dass es hier gerade um keine Bagatelle geht: Die psychische Belastung für den finanziell nicht besonders gut ausgestatteten Nutzer, der gefühlt am Fliessband Abmahnungen erhielt gegen die er sich nicht ernsthaft wehren konnte war enorm. Anstelle einer Entschuldigung gab es dann am Ende nur Hinweise, dass man selber ja gar nichts falsch gemacht habe und ein Gericht, das sich doch arg bemüht zeigte, den Schaden für den Provider klein zu halten unter Rückgriff auf eine ansonsten ignorierte Rechtsprechung. Dabei wurde der Provider doppelt belohnt, denn bis heute musste er nicht erklären, worauf der Fehler basierte und ob sich dieser vielleicht in anderen Verfahren wiederholt hat oder auch nur haben könnte.
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