Geschäftsgeheimnis und Reverse Engineering

Das Arbeitsgericht Aachen (8 Ca 1229/20) konnte sich zum Zusammenspiel des Reverse Engineerings mit dem Geschäftsgeheimnisschutz äußern. Dabei hob das Gericht hervor, dass wenn gleichwertige Konkurrenzprodukte am Markt bestehen und durch den Prozessgegner plausibel vorgebracht wird, dass Konkurrenten sich das zur Produktion dieser Produkte erforderliche Wissen mittels erlaubten Reverse Engineerings verschafft haben können, derjenige, der den Schutz des Geschäftsgeheimnisgesetzes in Anspruch nehmen möchte, im Einzelnen darlegen und ggf. beweisen muss, dass seinen Produkten am Markt nicht bekanntes Wissen zu Grunde liegt. 

Was ist ein Geschäftsgeheimnis

Der Begriff des Geschäftsgeheimnisses ist in § 2 Nr. 1 GeschGehG legaldefiniert. Hiermit ist ein Geschäftsgeheimnis im Sinne des GeschGehG eine Information, die

  • weder insgesamt noch in der genauen Anordnung und Zusammensetzung ihrer Bestandteile den Personen in den Kreisen, die üblicherweise mit dieser Art von Informationen umgehen, allgemein bekannt oder ohne Weiteres zugänglich ist und daher von wirtschaftlichem Wert ist und
  • die Gegenstand von den Umständen nach angemessenen Geheimhaltungsmaßnahmen durch ihren rechtmäßigen Inhaber ist und
  • bei der ein berechtigtes Interesse an der Geheimhaltung besteht.

Für das Vorhandensein eines Geschäftsgeheimnisses ist der Anspruchsteller darlegungs- und beweisbelastet. Dies ergibt sich, so das Arbeitsgericht zutreffend, bereits aus der allgemein anerkannten Grundregel der Beweislastverteilung, wonach der Anspruchsteller auf die rechtsbegründenden Tatsachen und der Anspruchsgegner die rechtsvernichtenden, rechtshindernden oder rechtshemmenden Tatsachen darzulegen und zu beweisen hat; für § 6 GeschGehG gilt nichts anderes (dazu auch LAG Köln, 2 SaGa 20/19; OLG Stuttgart, 2 U 575/19).

Geeignete Geheimhaltungsmaßnahmen

In diesem Zusammenhang waren nun die angemessenen Geheimhaltungsmaßnahmen im Sinne des § 2 Nr. 1 b) GeschGehG zu problematisieren: Durch dieses Merkmal gibt das Gesetz zu erkennen, dass nur derjenige den Schutz durch die Rechtsordnung genießt, der seine geheimen Informationen aktiv schützt.

Wer keine hinreichenden Bestrebungen zum Schutz dieser Informationen unternimmt oder lediglich darauf vertraut, dass die geheime Information nicht entdeckt werde und verborgen bleibe, genießt keinen Schutz des GeschGehG (siehe auch LAG Düsseldorf, 12 SaGa 4/20). Die vom Inhaber des Geschäftsgeheimnisses getroffenen Geheimhaltungsmaßnahmen müssen dabei angemessen sein:

Bei der Angemessenheit handelt es sich um ein flexibles und offenes Tatbestandsmerkmal, das dem Gedanken der Verhältnismäßigkeit folgt. Die Angemessenheit setzt keinen optimalen Schutz voraus, weil anderenfalls der Geheimnisbegriff zu stark eingeschränkt würde. Es ist also nicht erforderlich, dass der Unternehmer zum Schutz seiner vertraulichen Informationen die nach den Umständen bestmöglichen und sichersten Maßnahmen ergreift. Umgekehrt kann es zur Wahrung der Angemessenheit nicht genügen, wenn der Unternehmer – vielleicht um hohe Kosten und einen gesteigerten Organisationsaufwand zu vermeiden – lediglich ein Minimum an Schutzvorkehrungen ergreift (OLG Hamm 15.09.2020 – I-4 U 177/19, Rn. 161).81

Die konkreten Geheimhaltungsmaßnahmen hängen von der Art des Geschäftsgeheimnisses im Einzelnen und von den konkreten Umständen der Nutzung ab.

Bei der Wertung der Angemessenheit der Schutzmaßnahmen können insbesondere der Wert des Geschäftsgeheimnisses und dessen Entwicklungskosten, die Natur der Informationen, die Bedeutung für das Unternehmen, die Größe des Unternehmens, die üblichen Geheimhaltungsmaßnahmen in dem Unternehmen, die Art der Kennzeichnung der Informationen und vereinbarte vertragliche Regelungen mit Arbeitnehmern und Geschäftspartnern berücksichtigt werden. Von einem weltweit tätigen Unternehmen können größere und finanziell aufwändigere Sicherungsvorkehrungen erwartet werden als von einem Handwerksbetrieb mit wenigen Angestellten (OLG Hamm, I-4 U 177/19).

Hieraus folgt als Mindeststandard, dass relevante Informationen nur Personen anvertraut werden dürfen, die die Informationen zur Durchführung ihrer Aufgabe (potentiell) benötigen und die zur Verschwiegenheit verpflichtet sind. Zudem müssen diese Personen von der Verschwiegenheitsverpflichtung in Bezug auf die fraglichen Informationen Kenntnis haben. Weitere Maßnahmen sind den Umständen nach zu ergreifen, wobei eine Gesamtbetrachtung vorzunehmen ist (OLG Stuttgart, 2 U 575/19).

In einem Prozess darf nicht unklar bleiben, was zu dem exklusiven Know-How zählt und am Markt nicht bereits bekannt oder ohne besondere Schwierigkeiten – ggf. mittels gemäß § 3 Nr. 2 GeschGehG zulässigem Reverse Engineering – ermittelbar ist! Dem Anspruchssteller ist dabei anzuraten, so vorzutragen, dass deutlich wird, warum ein Reverse Engineering nicht möglich war und wieso der vermeintliche Rechtsverletzer auf exklusiv zur Verfügung stehendes Know-How zurückgegriffen haben muss. Das Arbeitsgericht macht dabei deutlich, dass man durchaus auch dazu vortragen müsste, wie ein Reverse Engineering in der Lage wäre, Zugriff auf exklusives Wissen zu eröffnen.

Fachanwalt für IT-Recht Jens Ferner