Seit je her ist umstritten, ob das Streaming, also das reine Betrachten von Filmen im Internet – die man dort eigentlich nicht sehen können sollte – eine Urheberrechtsverletzung darstellt.
Im Folgenden widme ich mich der Frage recht umfassend, wobei klar sein sollte, dass es hier alleine um die rechtliche Problematik bei Betrachtern geht! Wer solche Angebote selber bereit hält, macht sich problemlos strafbar und zivilrechtliche bestehen Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche.
Dazu auch bei uns: Allgemeines zur Urheberrechtsverletzung – Was ist eine Urheberrechtsverletzung
Als das Amtsgericht Leipzig (200 Ls 390 Js 184/11) sich kürzlich mit einem der Angeklagten im Fall „kino.to“ beschäftigte, verlor der Richter dort einige Worte zum Thema „Streaming“, die bei der GVU unmittelbar zu einer Pressemitteilung führten:
Schließlich fand zumindest eine vorübergehende Erstellung eines Vervielfältigungsstücks beim Nutzer von KINO.TO statt […] Dies gilt aber auch für den Nutzer eines Streamprogrammes, der das Filmwerk nur zur einmaligen Nutzung herunterlud. Denn auch beim Streaming werden die über das Internet empfangenen Datenblöcke zunächst auf dem Rechner zwischengespeichert, um sodann in eine flüssige Bildwiedergabe auf dem Bildschirm des Nutzers ausgegeben werden zu können. § 16 UrhG stellt insoweit klar, dass auch vorübergehend erstellte Vervielfältigungsstücke dem Urheberrechtsschutz unterfallen. Die Ausnahmevorschrift des § 44a UrhG ist nicht einschlägig. Die Speicherung beim Nutzer von KINO.TO erfolgt nicht als Vermittler zwischen Dritten. Eine rechtmäßige Nutzung der Raubkopien ist ohne Genehmigung des Urhebers ebenfalls nicht möglich. Zudem haben die vorübergehenden Vervielfältigungsstücke im Streamingvorgang eine ganz wesentliche wirtschaftliche Bedeutung für den Nutzer, da er genau mittels dieser gespeicherten Daten sich den wirtschaftlichen Wert der Nutzung verschafft. Jedenfalls kann die Entscheidung des Nutzers, diese Daten nur vorübergehend und nicht auf längere Zeit gespeichert zu behalten, die eigenständige wirtschaftliche Bedeutung des Vervielfältigungsstückes für den konkreten Nutzungszweck nicht beseitigen.
Das führte naturgemäß zu viel Widerspruch und Reaktionen – und der Frage, ob das wirklich so stimmt.
Grundsätzliches zum Streaming
Als erstes folgt der Blick ins Gesetz. Die meisten wissen, dass im Urheberrechtsgesetz tatsächlich etwas zum „Streaming“ steht, lesen aber zu selten nach. Dort steht, bei §44a UrhG:
Zulässig sind vorübergehende Vervielfältigungshandlungen, die flüchtig oder begleitend sind und einen integralen und wesentlichen Teil eines technischen Verfahrens darstellen und deren alleiniger Zweck es ist,
1. eine Übertragung in einem Netz zwischen Dritten durch einen Vermittler oder
2. eine rechtmäßige Nutzung
eines Werkes oder sonstigen Schutzgegenstands zu ermöglichen, und die keine eigenständige wirtschaftliche Bedeutung haben.
Dies kann nun Stück für Stück durchgeprüft werden.
„vorübergehende Vervielfältigungshandlungen, die flüchtig oder begleitend sind“
„Vorübergehend“ ist noch relativ einfach und bedeutet einfach, dass es nicht dauerhaft ist. Jedenfalls bei einer Speicherung alleine im Arbeitsspeicher (RAM) sehe ich gar keine Möglichkeit einer dauerhaften Vervielfältigungshandlung, da hier von Beginn der Vervielfältigung an feststeht, dass eine Dauerhaftigkeit nicht nur nicht möglich, sondern darüber hinaus sogar gerade unerwünscht ist: Die dauerhafte Vervielfältigung würde unter Rückgriff auf den RAM erstens technisch nicht funktionieren, zum anderen den Arbeitsspeicher schnell überlasten.
Flüchtig ist die Vervielfältigung, „wenn es sich lediglich um eine besonders kurzlebige Speicherung handelt, die automatisch nach Beendigung einer Arbeitssitzung […] oder durch Zeitablauf gelöscht wird“. (Wandtke/Bullinger, §44a, Rn.2). Dies entspricht dem typischen Vorgehen bei Speicherungen im Arbeitsspeicher. In dieser weiten Form, durch den Bezug auf den Zeitablauf, dürfte sogar ein eventuell (und wahrscheinlich) vorhandener Festplatten-Cache darunter gefasst werden können. Die mitunter in der Rechtsprechung im Strafrecht geführte Diskussion, inwiefern eine „zu hoch“ eingestellte Langlebigkeit des Festplatten-Caches Auswirkungen haben kann, lasse ich an dieser Stelle noch außen vor, zumal ich keine umfassende Relevanz der Diskussion erkennen vermag: Selbst grössere Cache-Einstellungen führen meines Wissens beim Streaming nicht dazu, dass der gesamte Film auf der Festplatte temporär abgelegt wird, so dass er im Nachhinein noch vollständig bewusst gesichert werden kann.
„integraler und wesentlicher Teil eines technischen Verfahrens“
Klingt kompliziert, es reicht aber aus, wenn die Vervielfältigung während des Betrachtens (das ist das „Verfahren“) schlicht anfällt. Sowohl Caching als auch Browsing sind davon erfasst (Wandtke/Bullinger, §44a, Rn.7).
„keine eigenständige wirtschaftliche Bedeutung“
Im Tatbestand das letzte Tatbestandsmerkmal, ich ziehe es aber vor, um die Lesbarkeit dieses Artikels zu erhöhen. Der Richter beim Amtsgericht Leipzig meinte dazu nur:
„Zudem haben die vorübergehenden Vervielfältigungsstücke im Streamingvorgang eine ganz wesentliche wirtschaftliche Bedeutung für den Nutzer […]“
Klingt auf den ersten Blick naheliegend und überzeugend – natürlich haben die Filme an sich eine hohe, eigenständige wirtschaftliche Bedeutung, das liegt auf der Hand. Gleichwohl begeht der Strafrechtler hier einen erheblichen Fehler mit dieser Argumentation: Abzustellen ist nicht auf das, was da angesehen wird, sondern alleine auf die Frage, ob die Vervielfältigungshandlung eine eigenständige Wirtschaftliche Bedeutung hat! Und diese Handlung ist eben nicht das Kaufen eines Accounts, die Motivation des Nutzers oder was auch immer, sondern alleine der technische Vorgang (hier: Zwischenspeicherung zur Ermöglichung der Betrachtung – nur dies ist die Vervielfältigung!). Diesem Vorgang im Vergleich zu den sonstigen Vorgängen, also etwa dem wirtschaftlichen Interesse des Nutzers insgesamt Geld zu sparen, eine eigenständige wirtschaftliche Bedeutung zuzusprechen, ist gerade falsch. Und der Richter macht dies mit seiner Argumentation nur deutlich, denn er findet gerade keinen Ansatzpunkt bei der Vervielfältigungshandlung. Tatsächlich wird man sich bei genauer Betrachtung dieses tatbestandsmerkmals fragen müssen, ob ihm überhaupt eine eigenständige Bedeutung zukommt (siehe Wandtke/Bullinger, §44a, Rn.21).
An dieser Stelle scheitert die Anwendung des §44a UrhG m.E. daher nicht.
„alleiniger Zweck … Übertragung … rechtmäßige Nutzung“
Es bleibt der Zweck der Vervielfältigung, der ausdrücklich nach §44a UrhG zu berücksichtigen ist. Dabei sind zwei Varianten genannt, zum einen die „Übertragung in einem Netz zwischen Dritten durch einen Vermittler„. Wenn man sich das kino.to-Prinzip ansieht, erkennt man schnell, dass sowohl Nutzer als auch der „kino.to“-Server hier „Dritte“ sind, zwischen denen die Daten überhaupt übertragen werden. Es wäre systematisch falsch, „kino.to“ in die Rolle des Vermittlers zu zwängen, auch wenn sicherlich von dort Daten übertragen werden: Die Daten werden eben „von dort“ und nicht „darüber“ übertragen, so wie etwa ein Provider betroffen ist, der tatsächlich als Datenvermittler in Betracht kommt. Die erste Variante ist damit raus.
Rechtmäßige Nutzung
Damit hängt alles am Ende an der „rechtmäßigen Nutzung„. Als solche kommt nur in Frage, soweit diese vom Rechtsinhaber zugelassen bzw. nicht durch Gesetz beschränkt ist (Wandtke/Bullinger, §44a, Rn.16 unter Verweis auf Erwägungsgrund 33 der Multimediarichtlinie, 2001/29/EG). Nun ist zum einen unschwer zu erkennen, dass die Bereitstellung der hier betroffenen Inhalte offensichtlich ohne die Zustimmung der Rechteinhaber erfolgte. Insofern hat Schwartmann erst einmal Recht, wenn er (in der Beilage zur K&R 11/2011) schreibt:
§ 44 a Nr. 2 UrhG greift bei illegalem Streaming von einem unautorisierten Filmportal nicht, weil gar kein Einverständnis besteht, das man per gesetzlicher Privilegierung auf die Zwischenspeicherung ausdehnen könnte.
Damit findet er sich sowohl bei Radmann (in ZUM, 2010, S.387ff.) als auch im Wandtke/Bullinger sowie im Dreier/Schulze, Urheberrecht, 3. Aufl. 2008, § 44 a Rn. 8 bestätigt. Und diese Interpretation ist auch durchaus naheliegend, zumal durch die Multimedia-Richtlinie weiter gestützt.
Das aber ist nicht zwingend, wie Mitsdörffer und Gutfleisch (in MMR 2009, S. 731, 733) demonstrieren. Die gehen kurzerhand den Weg und stellen darauf ab, dass auch der reine „Werkgenuß“ ein geschütztes Interesse ist, der vom Gesetz auch gedeckt sein soll:
Fraglich ist jedoch, ob der Werkgenuss eine Nutzung i.S.d. Vorschrift ist. […] dass sie auf Erwägungsgrund 33 der InfoSoc-RL verweist. Danach sollte „[e]ine Nutzung […] als rechtmäßig gelten, soweit sie vom Rechtsinhaber zugelassen bzw. nicht durch Gesetze beschränkt ist“ […] Dass der Erwägungsgrund nicht positiv („durch Gesetze zugelassen”), sondern negativ („nicht durch Gesetze beschränkt”) formuliert ist, könnte man als Hinweis darauf deuten, dass Art. 5 Abs. 1 mit „Nutzungen” nicht nur durch gesetzliche Schranken zugelassene Handlungen, sondern auch von vorneherein urheberrechtsfreie Handlungen wie den Werkgenuss meint. […] Zudem sollen laut Erwägungsgrund 33 ausdrücklich auch Vervielfältigungen zulässig sein, die das Browsen ermöglichen. Mit dem Browsen, also dem Betrachten von Websites, führt der Richtliniengeber aber gerade das Beispiel eines bloßen Werkgenusses auf. Nach alldem ist davon auszugehen, dass auch der Werkgenuss vom Begriff der „Nutzung” erfasst wird. Somit ermöglicht die Zwischenspeicherung eine rechtmäßige Nutzung.
Sehr viel kürzer aber im Ergebnis genauso: Fangerow/Schulz in GRUR 2010, S. 677, 680.
Meinungsstreit
Also: Zwei Meinungen, mit Argumentationen, die bis hierhin wahrscheinlich mitlesende Laien gar nicht mehr ganz erfassen können. Daher noch einmal kurz: Man versucht hier den Weg, den reinen „Werkgenuß“, also das ansehen eines Werkes, als rechtmäßige Nutzung zu definieren, und somit auch ohne Zustimmung des Rechteinhabers den Anwendungsbereich des §44a UrhG zu eröffnen. Das mag im Ergebnis sicherlich gefallen, überzeugt mich aber letztlich nicht.
Das hängt an der Begrifflichkeit: Der §44a UrhG stellt auf die Rechtmäßigkeit der „Nutzung“ ab. Der reine „Werkgenuß“ ist aber keine Nutzung – die Nutzung ist vielmehr der Vorgang, mit dem der Genuß überhaupt erst ermöglicht wird. Also gerade das Abspielen des Werkes. Wer den „Werkgenuß“ in den Fokus rückt, der fragt nach dem Motiv des Betrachtens und trennt sich gezwungenermaßen von der Vervielfältigungshandlung, die es zu untersuchen gilt. Damit wird dann auch ein schwerer Fehler gegangen: Die kurzlebige Zwischenspeicherung soll ja gerade als „Reflex“ der Nutzung – also etwa des Abspielens – ermöglicht werden, gekoppelt an die Frage, ob das Abspielen als solches Rechtmäßig ist. Wer nun auf den reinen „Werkgenuß“ abstellt, dreht die Argumentation vom Kopf auf die Füße und begründet letztlich die Tatsache, dass der Vorgang erlaubt sein muss damit, dass man sich sonst das Werk ja nicht ansehen könnte. Eine Art Zirkenschluß.
Nun ist die Diskussion nicht ausgestanden und der Richter hat in oben zitierter Entscheidung mit dem Satz
Eine rechtmäßige Nutzung der Raubkopien ist ohne Genehmigung des Urhebers ebenfalls nicht möglich.
diesen elementaren Streit offenkundig nicht einmal zur Kenntnis genommen, was seine Wertung nicht unbedingt besser macht. Ich selbst habe starke Zweifel, ob ein interessierter Laie sich ernsthaft in dieses Thema einarbeiten und den gesamten Umfang des Problems verstehen kann.
Fazit zum Streaming
An dieser Stelle soll daher mein Fazit stehen: Umstritten ist weiterhin, ob die Nutzer solcher Portale sich auf den §44a UrhG berufen können. Ich finde in der Literatur eine Tendenz eher dagegen und komme auch zu diesem Ergebnis. Wie die Entwicklung weiter geht, bleibt abzuwarten, auffällig ist, dass es wenig aktuelle Beiträge zum Thema zu geben scheint. Das mag sich in naher Zukunft ändern.
Auch das Amtsgericht Potsdam (20 C 423/13) teilt in einem Versäumnisurteil die Auffassung, dass Streaming keine Urheberrechtsverletzung darstellt:
Vor diesem Hintergrund kann zur Zeit dahinstehen, dass das Gericht das „Streaming“ nicht als rechtswidrige Vervielfältigung im Sinne von § 16 UrhG ansieht, da es sich dabei im Sinne von § 44a Nr. 2 UrhG um eine jedenfalls vorübergehende Vervielfältigung handelt, solange die Beklagte nicht vorträgt und beweist, der Kläger habe eine Sicherungskopie der
gestreamten Datei auf seiner Festplatte gespeichert, es sich um eine flüchtige oder begleitende Vervielfältigung handelte, die spätestens beim Herunterfahren des Computers gelöscht wird, die wesentlicher Teil des technischen Verfahrens „Streaming“ ist, dessen alleiniger Zweck es ist, eine rechtmäßige Übertragung zu ermöglichen, wobei es dem Europäischen Gerichtshof zufolge hier allein auf die Rechtmäßigkeit der durch die Vervielfältigung ermöglichten Wiedergabe ankommt. Eine „eigene wirtschaftliche Bedeutung“, das heißt, einen Vorteil, der sich nicht schon aus der Nutzung des geschützten Werkes ergibt, bietet die vorübergehende Speicherung ohnehin nicht (siehe dazu insgesamt etwa Dreyer, in: Dreyer/Kotthoff UrhR, 3. Aufl., § 44a Rn. 3-16; Dreier, in: Dreier/Schulze, UrhG., 4. Aufl. § 44a Rn. 4, 8 und 9; Stieper, in: MMR 2012, 12).
Inzwischen reiht sich hier auch der EUGH ein, der ausdrücklich feststellt, dass die Speicherung im Cache kein Problem darstellt. Darüber hinaus kommt der EUGH wohl zu dem Ergebnis, dass Urheber sich immer an den Betreiber des Dienstes wenden sollen und die Nutzer „aussen vor sind“, dazu hier bei uns.
Hinweis: Es gibt auch Diskussionen, ob das hier vorliegende Phänomen unter die „Privatkopie“ fallen könnte, §53 UrhG. Die Diskussion, ob man als Nutzer nicht erkennen konnte, ob die bei Seiten wie kino.to bereit gehaltenen Vorlagen „offensichtlich rechtswidrig hergestellt“ sind, empfinde ich aber als lebensfremd und wollte das hier nicht vertiefen, auch wenn man etwa bei Fangerow/Schulz entsprechende Ausführungen liest. Darauf bauen würde ich vor Gericht jedenfalls eher ungerne.
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