Neues Kaufrecht 2022: Digitales

Das neue Kaufrecht kommt am 1.1.2022 und damit die „digitale Revolution“ im BGB. Ich habe in den bisherigen Teilen schon versucht aufzuzeigen, was sich Neues tut und dass man vorsichtig sein muss, wenn man mit alten Verträgen und hergebrachtem juristischen Wissen versucht Käufe zu regeln.

In diesem dritten Teil meiner vierteiligen Serie geht es nun um ein weiteres Novum, die echte digitale Revolution: Der Gesetzgeber versucht den Spagat aus der bisherigen vertraglichen Systematik und dem Integrieren digitaler Verträge zu schaffen. Ob dies geglückt ist, mag man kritisch sehen.

Digitales Vertragsrecht

Im BGB – und zur Erinnerung, diese Aspekte des Vertragsrechts sind nun europaweit inhaltlich voll harmoniert – werden Verbraucherverträge über digitale Produkte „vor die Klammer gezogen“ und die übrigen Vertragstypen des BGB nicht berührt. Damit ergibt sich natürlich eine Abgrenzungsproblematik zum Verbrauchsgüterkauf der §474ff. BGB, speziell ergibt sich hierbei die Frage, wie damit umzugehen ist, dass physische Dinge digitale Inhalte enthalten können. Um all dies einheitlich anzugehen, hat sich der Gesetzgeber folgende Lösung überlegt: Es gibt grundsätzliche Regeln für digitale Elemente und Verweise mit Ausklammerung im Einzelfall für ausgewählte Szenarien. Klingt kompliziert – ist es auch.

Wenn man sich kein Schema überlegt, ist es am Anfang schwierig, sich in den neuen Regen zu orientieren. Um zu verstehen, wo das Problem der Systematisierung überhaupt liegt, bietet sich aus meiner Sicht Folgendes an:

Neues Kaufrecht 2022: Rechtsanwalt Ferner zur Waren mit digitalen Elementen und digitalen Produkten im BGB

„Digitale Produkte“ und „Waren mit digitalen Elementen“ werden das nächste Jahrzehnt prägen!

Wo ist die Problematik?

Einfach nur „digital“ gibt es zwar als Schlagwort, doch die Welt ist ja vielschichtiger: Einerseits gibt es rein digitale Angebote, also etwa eine Software, die man als Service rein digital mietet oder deren Nutzungsrecht man erwirbt – andererseits gibt es rein physische Dinge, die ohne digitale Elemente nicht funktionieren. Wer sich ein Smartphone kauft, das nicht startet, dem der Verkäufer aber sagt „sieht doch schön aus, was wollen Sie von mir“, der wird zu Recht dem Verkäufer das Ding um die Ohren schlagen. Und dann gibt es noch eine Vielzahl von Dingen dazwischen, das musste man systematisieren. Im BGB funktioniert das, indem unterschiedliche Abschnitte zur Anwendung gelangen.

  • Waren mit digitalen Elementen (§327a III BGB): Rasenmähroboter, SmartTV, sprachgesteuerter Lautsprecher oder Smartphone. Charakteristisch: räumliche oder funktionale Verknüpfung von Ware und digitalen Produkt (digP); das digP ist für vertragsgemäßes Funktionieren erforderlich; digP und Ware im gleichen Vertrag angeboten (gesetzliche Vermutung durch §327a III S.2 BGB!)
  • Paketverträge (§327a I BGB): Man erwirbt im „Bundle“ ansonsten nicht verknüpfte Gegenstände, Klassiker sind Spielekonsole und mitgelieferte Spiele
  • Enthaltene digP (§327a II BGB): Bitte beachten, dass die “Auffangklausel“ von Sachen und nicht Waren spricht. Bedeutet enorme Ausweitung des Tatbestandes! Beispiel aus der Literatur: Verkauf des Hauses mit hierin fest verbautem Smart-Home-Zubehör. Problem hier: Wirkung des notariell vereinbarten Gewährleistungsausschluss (dazu im neuen MüKo-BGB, §327, Rn.9). Es dürfte in Zukunft stark darauf ankommen, wie der Zusammenhang aus Sache und digP beworben wird.
  • Software: Auffallend ist, dass in den Definitionen digP die „Software“ gar nicht auftaucht. Gleichwohl ist diese ein originärer Anwendungsfall des Titels 2a, wie sich bereits aus der Richtlinie ergibt; im BGB ergibt sich dies aus einem Umkehrschluss aus §327 VI Nr.6 BGB aber auch §327e II und IV BGB.

Neue Begrifflichkeiten im BGB

In der Systematik des BGB muss man nun Folgendes auf jeden Fall kennen, wenn man sich im digitalen Umfeld bewegt

  • „Sachen mit digitalen Produkten“ (erwähnt in § 327a II BGB) und
  • „Waren mit digitalen Elementen“ (gesetzlich definiert in §327a III BGB).
  • Zu allem Überfluss finden sich in §475a II BGB auch noch Waren, die digitale Produkte enthalten, was die „Systematik“ fragil erscheinen lässt.

Wer sich mit Aufsätzen weiterbildet, wird mitunter darüber stolpern, dass manchmal plötzlich von „Sachen mit digitalen Elementen“, unter Bezugnahme auf §327a III BGB (gemeint also Waren mit digitalen Elementen), gesprochen wird. So etwa Aufsätze in MMR 2021, 683 sowie JuS 2021, 918, 921. Hintergrund dürfte ein Umschwenken des Gesetzgebers im letzten Moment sein (siehe Drucksache 19/30951 vom 22.06.21), der erst kurz vor der Verabschiedung aus den „Sachen mit digitalen Elementen“ die „Waren“ gemacht hat. Es steht zu befürchten, dass zahlreiche Veröffentlichungen mit zeitlichem Vorlauf nun die falschen Termini Technicii nutzen.

In der Praxis problematisch wird sein, wann eine Verbindung von Waren mit digitalen Elementen vorliegt (in Abgrenzung zu Sachen mit digitalen Produkten). Während der Gesetzeswortlaut keine Differenzierung vorsieht und alleine auf ein Funktionieren abstellt, spricht die Gesetzesbegründung (dazu BT-Drs. 19/27653,
47; ebenso Erwägungsgrund 21 der Richtlinie) von zwei Kriterien:

  • Funktionales Element: Kann der Gegenstand ohne digitales Element seine Funktionen erfüllen?
  • Vertragliches Element: Ist die Bereitstellung vertraglich geschuldet (darum die Zweifelsregelung in §327a III S.2 BGB!)

Um sich in all dem zurechtzufinden, wird man die einzelnen Abschnitte im BGB selber lesen und sich orientieren müssen – als erster kleiner Einstieg mag mein selbst erstelltes Schema vielleicht helfen:

Folie aus meinem Vortrag zum neuen Kaufrecht: Wann findet was Anwendung?

Die digitale Dienstleistung kommt!

Es ist nur eine kleine Randnote und man muss es wirken lassen, aber ich glaube, im IT-Vertragsrecht stehen wir vor einer erheblichen Änderung: Zum einen hat der Gesetzgeber die digitalen Produkte erfunden, dies ist ein Oberbegriff zu den aus der Richtlinie vorgegebenen Begriffen digitaler Dienstleistung und digitale Inhalte. Zum anderen wird in einer kleinen Änderung, die man schnell übersieht, in den §620 Abs.4 BGB (Dienstleistungsvertrag) ergänzend Bezug genommen auf den Abschnitt zu den digitalen Produkten – und zu allem Überfluss wird in §650 BGB hineingeschrieben, dass der Werkvertrag kaum mehr eine Rolle spielt – gegenüber Verbrauchern:

Auf einen Verbrauchervertrag, bei dem der Unternehmer sich verpflichtet, digitale Inhalte herzustellen, einen Erfolg durch eine digitale Dienstleistung herbeizuführen oder einen körperlichen Datenträger herzustellen, der ausschließlich als Träger digitaler Inhalte dient, sind die §§ 633 bis 639 über die Rechte bei Mängeln sowie § 640 über die Abnahme nicht anzuwenden. An die Stelle der nach Satz 1 nicht anzuwendenden Vorschriften treten die Vor- schriften des Abschnitts 3 Titel 2a.

All die Diskussionen und Streitereien, ob Werkvertrag oder Dienstvertrag zu Anwendung gelangen, sind damit wohl vom Tisch – zukünftig wird man sich im Regelfall in der Dienstleistung bewegen, die dann nach dem neuen Abschnitt über digitale Produkte in Kombination mit dem Dienstleistungsvertrag zu lösen ist. Nebenbei denke ich, dass etwa im Hosting die Mischverträge mit Mietvertrags-Anteil letztlich keine Rolle mehr spielen, der Dienstleistungsvertrag ist nun der ruhende Pol im IT-Vertragsrecht. Jedenfalls bei Verbrauchern.

Erinnerung: Hier zeigt sich erneut die Fragilität des Pakets – es geht ja nur um Verbraucherverträge. Ein und der selber Vertrag über die Herstellung eines digitalen Inhalts ist dann plötzlich für einen Verbraucher einen Dienstvertrag, für einen Unternehmer aber ein Werkvertrag. Dass das für Streit sorgen wird, liegt auf der Hand.

Digitales Sachmangelrecht

Digitale Produkte haben ein eigenes Sachmangelrecht – ebenso wie Waren mit digitalen Elementen. Während letztere im Verbrauchsgüterkaufrecht geregelt sind, finden sich die Fragen des Sachmangels bei digitalen Produkten im neu geschaffenen Titel 2a. Dabei orientieren sich Waren mit digitalen Elementen stark am hergebrachten Kaufrecht, was die Gewährleistung angeht – bei digitalen Produkten gibt es aber Neuerungen

Ein Blick zeigt: Da tut sich was. Zum einen gibt es die gesetzlich geregelte „Nichtleistung“ und zum anderen taucht hier kein Rücktritt mehr auf, sondern nun geht es um die „Vertragsbeendigung“, die auch anderer Stelle eine Rolle spielt – etwa wenn Aktualisierungen ausbleiben. Während im Übrigen das bekannte Schema aus dem Kaufrecht „kopiert“ wurde, wurde leider auch hier wieder ein eigener Sachmangel definiert – mit dem Ergebnis, dass es im BGB nun an drei verschiedenen Stellen eigenständige Definitionen des Sachmangels gibt: im Kaufrecht, bei digitalen Produkten und im Verbrauchsgüterkaufrecht. Der einheitliche Sachmangel ist damit Geschichte (auch wenn es inhaltlich extrem ähnlich ist).

Es ist viel zu tun, jeder sollte sich zwingend einarbeiten: IT-Unternehmen wie IT-Anwälte haben viel Arbeit vor sich!

In der Gewährleistung wird man nicht umhinkommen, das Gesetz zu lesen und sich inhaltlich zu erarbeiten; besonderes Augenmerk wird man auf die Nacherfüllung werfen müssen: Die Nacherfüllung ist bei digitalen Produkten in §327l BGB geregelt und mit Detailproblemen versehen, weswegen nicht plump auf die Änderungen zum Verbrauchsgüterkauf verwiesen werden kann. Die
wichtigsten Punkte:

  • Der Nacherfüllungsanspruch unterscheidet nicht bei digitalen Produkten zwischen Nachlieferung und Nachbesserung, der Unternemer hat hier die Wahlfreiheit, wie er den vertragsgemäßen Zustand herstellen möchte (also erhebliche Abweichung von §439 I BGB!)
  • Subjektive Unmöglichkeit sowie ein (absolutes, im Wert zur digitalen Sache zu setzendes) Kostenmißverhältnis reichen aus, um den Nacherfüllungsanspruch zurück zu weisen (§327l II BGB – Ausschluss von §275 II, III BGB)
  • Der Verbraucher muss auch hier keine Frist zur Nacherfüllung setzen, Anzeige des Mangels und verstreichen angemessener Frist sind ausreichend, siehe §327l I S.2 BGB (siehe Teil 1 dieser Reihe zur inhaltsgleichen Umsetzung im Verbrauchsgüterkaufrecht)

Abweichende Vereinbarungen

Auch bei digitalen Produkten stellt sich die Frage nach abweichenden Vereinbarungen: Abweichungen von den Regelungen des §327e BGB sind möglich mit §327h BGB, allerdings auch hier mit den bereits geschilderten formalen Grenzen, die in der Praxis erhebliche Sorgen machen werden (siehe Teil 1). So muss der Unternehmer den Verbraucher „in Kenntnis setzen“, man soll damit hinreichend deutlich machen, inwieweit etwa die tatsächlich geschuldete Beschaffenheit des digitalen Produkts von der objektiv zu erwartenden Beschaffenheit abweicht, damit er die Tragweite seiner entsprechenden Vertragserklärung in angemessener Weise verstehen kann.

Die Information muss sich dabei auf ein „bestimmtes Merkmal“ der digitalen Produkte beziehen. Pauschale Aussagen zu möglichen Einschränkungen der Vertragsmäßigkeit genügen für den Gesetzgeber nicht den Anforderungen von § 327h BGB. Die Abweichung muss zudem, wie schon erläutert, „ausdrücklich und gesondert“ vereinbart werden. Eine ausdrückliche Vereinbarung erfordert nach Erwägungsgrund 49 der Richtlinie ein „aktives und eindeutiges Verhalten“. „Gesondert“ bedeutet nach dem entsprechenden Erwägungsgrund „gesondert von anderen Erklärungen oder Vereinbarungen“.

Laut Erwägungsgrund 49 der Richtlinie sollen die beiden Bedingungen „ausdrücklich“ und „gesondert“ beispielsweise durch „Anklicken eines Kästchens, Betätigung einer Schaltfläche oder Aktivierung einer ähnlichen Funktion“ erfüllt werden können. Stillschweigen, eine Vereinbarung in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, vorangekreuzte Kästchen, Untätigkeit oder eine nachträgliche Zustimmung scheiden daher aus. Und: Die Beweislast für die Erfüllung dieser Anforderungen liegt nach den allgemeinen Grundsätzen
beim Unternehmer. Das wirft die Frage auf, wie man in der Vertragsgestaltung damit umgehen möchte:

Fachanwalt für IT-Recht Jens Ferner