In einer interessanten Entscheidung hat das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht (9 U 123/22) entschieden, dass Betreiber von Internetplattformen bei Verstößen gegen bestehende Nutzungsbedingungen auch Altersbeschränkungen vornehmen dürfen – sofern dies nicht willkürlich oder ohne sachlichen Grund geschieht. Dies sei aufgrund des allgemeinen Grundsatzes der Vertragsfreiheit möglich, wobei das OLG betont, dass die vom Bundesgerichtshof aufgestellten Anforderungen an die Rechtmäßigkeit von Löschungen und Sperrungen bei Facebook zu beachten seien.
Unter Rückgriff auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs stellt das OLG zunächst klar, dass es sich bei den hier in Rede stehenden Nutzungsbedingungen und Richtlinien des sozialen Netzwerks um vorformulierte Vertragsbedingungen (und damit um Allgemeine Geschäftsbedingungen im Sinne der §§ 305 ff. Diese berechtigten die betroffene Plattform, von Nutzern eingestellte Inhalte zu löschen, Nutzerkonten zu sperren oder – wie im vorliegenden Fall – einzelne Videobeiträge mit einer Altersbeschränkung zu versehen, wenn die von ihr aufgestellten Voraussetzungen vorliegen. Dabei führt das OLG sehr dezidiert aus, warum die vereinbarten Richtlinien nicht wegen Verstoßes gegen das AGB-Recht unwirksam waren – und welcher Prüfungsmaßstab hier anzulegen ist:
(1) Für einen interessengerechten Ausgleich der kollidierenden Grundrechtspositionen und damit die Wahrung der Angemessenheit im Sinne von § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB ist es verfahrensrechtlich erforderlich, dass sich die Beklagte in ihren Geschäftsbedingungen dazu verpflichtet, den betreffenden Nutzer über die Entfernung eines Beitrags umgehend zu informieren, ihm den Grund dafür mitzuteilen und eine Möglichkeit zur Gegenäußerung einzuräumen, an die sich eine Neubescheidung anschließt, mit der die Möglichkeit der Wiederzugänglichmachung des entfernten Beitrags einhergeht (BGH, Urteil vom 29. Juli 2021 – III ZR 192/20, juris Rn. 97). Diese Voraussetzungen sind vorliegend auch für die gegenüber einer Entfernung von Inhalten oder einer Sperrung des Kontos deutlich weniger belastende Maßnahme einer Altersbeschränkung gewahrt, da auch insoweit eine Beschwerdemöglichkeit eingeräumt ist, von der der Kläger ausweislich der landgerichtlichen Feststellungen unstreitig – wenn auch erfolglos – Gebrauch gemacht hat. Entgegen der Auffassung des Klägers muss die Anhörungsmöglichkeit nicht zwingend vor Erlass der beschränkenden Maßnahme eröffnet sein; vielmehr genügt auch ein nachträgliches Beschwerderecht den Anforderungen an das vom Bundesgerichtshof geforderte Gegenäußerungsverfahren (…).
Ausreichend ist danach, wenn Netzwerkbetreiber im Hinblick auf die Löschung eines Beitrags in ihren Geschäftsbedingungen den Nutzern ein Recht auf unverzügliche nachträgliche Benachrichtigung, Begründung und Gegendarstellung mit anschließender Neubescheidung einräumen. Dieser für die Löschung eines Beitrags aufgestellte Maßstab gilt damit erst recht für die weniger einschränkende Auferlegung einer Altersbeschränkung. Im vorliegenden Fall zeigt der Umstand, dass die Beklagte die zunächst von ihr erteilte Verwarnung wegen eines Verstoßes gegen das Verbot der Hassrede auf die Beschwerde des Klägers wieder aufgehoben hat und lediglich die mildere Maßnahme einer Altersbeschränkung bestehen ließ, dass die von ihr vorgesehene Beschwerdemöglichkeit auch tatsächlich zu der vom Bundesgerichtshof geforderten erneuten Sachprüfung des konkreten Falls geführt hat.
(2) Auch inhaltlich sind die von der Beklagten für die Beschränkung der Rechte ihrer Nutzer aufgestellten Maßstäbe nicht als unangemessen im Sinne des § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB zu beanstanden. Die Entscheidung der Beklagten, den Nutzern ihrer Videoplattform in Geschäftsbedingungen Verhaltensregeln zur Einhaltung eines bestimmten Standards vorzugeben und sich das Recht vorzubehalten, gegenüber Nutzern, die gegen diese Verhaltensregeln verstoßen, Maßnahmen von der Entfernung einzelner Beiträge oder Altersbeschränkungen bis zur (vorübergehenden) Sperrung des Netzwerkzugangs zu ergreifen, fällt in den Schutzbereich der Berufsausübungsfreiheit (…).
Darüber hinaus bringt die Beklagte durch das Aufstellen von Kommunikationsregeln in ihren Nutzungsbedingungen zum Ausdruck, welche Formen der Meinungsäußerung sie in ihrem Netzwerk nicht duldet. Auf diese Weise macht sie von ihrem eigenen Grundrecht auf freie Meinungsäußerung Gebrauch (BGH aaO Rn. 86). Ferner schützt sie damit berechtigterweise auch das Interesse anderer Nutzer an einem von gegenseitigem Respekt geprägten Umgang sowie an einem damit verbundenen Schutz vor der Verletzung ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts (BGH aaO, Rn. 87 mwN).
Dabei sind nach dem Grundsatz der praktischen Konkordanz die Grundrechtspositionen der Beklagten mit denjenigen der Nutzer auf freie Meinungsäußerung aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG und auf Gleichbehandlung aus Art. 3 Abs. 1 GG so in Ausgleich zu bringen, dass auch die Grundrechtspositionen der Nutzer für diese möglichst weitgehend wirksam werden. Daraus leitet sich nach dem Bundesgerichtshof neben dem bereits erörterten formalen Anhörungserfordernis die Anforderung ab, dass für die Entfernung von Inhalten ein sachlicher Grund bestehen muss. Die Beklagte darf die aus ihrer strukturellen Überlegenheit folgende Entscheidungsmacht nicht dazu nutzen, willkürlich einzelne Meinungsäußerungen zu untersagen (BGH aaO, Rn. 93 mwN). Die Entfernungsvorbehalte in den Nutzungsbedingungen der Beklagten müssen zudem gewährleisten, dass ihre darauf gestützten Entscheidungen nachvollziehbar sind. Dazu dürfen sie nicht an bloß subjektive Einschätzungen oder Befürchtungen der Beklagten, sondern müssen an objektive, überprüfbare Tatbestände anknüpfen (vgl. BGH, Urteil vom 30. Oktober 2009 – V ZR 253/08, juris Rn. 17).
- Russische Militärische Cyber-Akteure nehmen US- und globale kritische Infrastrukturen ins Visier - 11. September 2024
- Ransomware Risk Report 2024 von Semperis - 11. September 2024
- Künstliche Intelligenz in Deutschland – Status, Herausforderungen und internationale Perspektiven - 10. September 2024