Ein Vertragsschluss bei gleichzeitiger Anwesenheit der Parteien außerhalb von Geschäftsräumen im Sinne von § 312b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BGB liegt nach Ansicht des Bundesgerichtshofs nicht vor, wenn der Verbraucher ein vom Unternehmer am Vortag abgegebenes Angebot am Folgetag außerhalb von Geschäftsräumen lediglich annimmt (BGH, VII ZR 151/22).
Dies setzt voraus, dass sowohl das Angebot als auch die Annahme bei gleichzeitiger Anwesenheit der Vertragsparteien erklärt werden. Eine gegenüber dem Angebot des Unternehmers zeitlich versetzte Auftragserteilung wird dagegen von § 312b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BGB nicht erfasst.
Diese Vorschrift, so der BGH, die die Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011 (Verbraucherrechterichtlinie) in deutsches Recht umsetzt und inhaltlich mit der Regelung in Artikel 2 Nummer 8 Buchstabe a der Verbraucherrechterichtlinie übereinstimmt, sei richtlinienkonform im Lichte der Richtlinie auszulegen, wobei bei der Auslegung zu berücksichtigen sei, dass nach Artikel 4 der Richtlinie eine vollständige Harmonisierung der zu ihrer Umsetzung erlassenen nationalen Vorschriften angestrebt werde. Ein Vertragsschluss bei gleichzeitiger Anwesenheit der Parteien außerhalb von Geschäftsräumen liegt danach nicht vor, wenn der Verbraucher ein vom Unternehmer am Vortag unterbreitetes Angebot am nächsten Tag außerhalb von Geschäftsräumen lediglich annimmt.
Für diese – aus Sicht des BGH schon nach dem Wortlaut naheliegende – Auslegung des § 312b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BGB spricht auch der mit der Verbraucherrechterichtlinie verfolgte Zweck. 21 der Richtlinie ergibt sich, dass die Definition von außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen nicht Situationen erfassen soll, in denen der Unternehmer den Verbraucher zunächst in dessen Wohnung aufsucht, um dort ohne jegliche Verpflichtung des Verbrauchers lediglich Maß zu nehmen oder eine Schätzung vorzunehmen, und der Vertrag erst zu einem späteren Zeitpunkt in den Geschäftsräumen des Unternehmers auf der Grundlage der Schätzung des Unternehmers geschlossen wird. Dies wird damit begründet, dass der Verbraucher in einem solchen Fall die Möglichkeit hatte, die Schätzung des Unternehmers vor Vertragsschluss zu überdenken.
Die dieser Situation zugrunde liegende rechtliche Wertung erfasst auch den Fall, dass der Unternehmer dem Verbraucher aufgrund eines Aufmaßes oder einer Schätzung ein Angebot unterbreitet, das der Verbraucher erst nach einer Überlegungsfrist bei gleichzeitiger Anwesenheit mit dem Unternehmer außerhalb der Geschäftsräume annimmt. Auch in diesem Fall wird der Verbraucher durch das Angebot des Unternehmers nicht unmittelbar verpflichtet. Kommt es nicht unmittelbar im Anschluss an das Angebot zu Vertragsverhandlungen, sondern hat der Verbraucher die Möglichkeit, das Angebot des Unternehmers zu prüfen und zu überdenken, ist nach dem Schutzzweck der Verbraucherrechterichtlinie das Tatbestandsmerkmal des bei gleichzeitiger Anwesenheit der Vertragsparteien außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Vertrages nicht erfüllt. Eine typische Druck- oder Überrumpelungssituation im Sinne des Erwägungsgrundes Nr. 21 der Verbraucherrechterichtlinie, vor der § 312b BGB schützen soll, liegt dann aus Sicht des BGH nicht vor.
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