Der Fall vor dem LAG Berlin-Brandenburg betrifft einen sensiblen Bereich und zeigt auch, dass immer noch zu oft zu selbstverständlich mit der Öffentlichkeit sozialer Medien agiert wird. Es ging um eine Krankenschwester („Klägerin“), die ungefragt Fotos von Neugeborenen erstellte und auf Facebook teilte. Darunter auch ein Kind, das später verstarb:
Die Klägerin betreute auf der Kinderintensivstation u.a. den am 03.02.2013 geborenen und am 09.05.2013 verstorbenen G.B., dessen Zwillingsschwester kurz nach der Geburt verstorben war und dessen Mutter sich von ihm losgesagt hatte. Sie veröffentlichte auf der Startseite ihres Facebook-Auftritts u.a. eine Fotografie von sich und G. sowie für alle oder einen Teil ihrer so genannten „Facebook-Freunde“ aufrufbare weitere Fotografien, auf denen G. allein oder gemeinsam mit ihr zu erkennen war. Die weiteren Fotografien waren jedenfalls am 10., 21.04., 09., 20., 21. und 22.05.2013 zu sehen und von der Klägerin teilweise mit „So ist Arbeit doch schön“, „Kuschelstunde – ich freue mich“ und „Rip kleines engelchen, flieg schön mit deiner schwester durch die wolken und sei ein schutzengel für die ganzen anderen pupsis. Du bist ein tapferer kleiner mann, dicken knutscher“ kommentiert worden.
Der Arbeitgeber sprach die Kündigung aus, die Krankenschwester wehre sich dagegen mit einer Kündigungsschutzklage. Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg (17 Sa 2200/13) stellte fest, dass auch in einem solchen Fall eine Abmahnung notwendig gewesen wäre, die Kündigung war unwirksam.
Sofortige Kündigung aus wichtigem Grund – die Grundlagen
Der Arbeitgeber sah im verlorenen Vertrauen einen wichtigen grund. Doch: So einfach ist das nicht. Es muss eine Abwägung stattfinden:
Das Arbeitsverhältnis kann gemäß § 626 Abs. 1 BGB aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann (…) Dabei ist der Einzelfall unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu bewerten, wobei regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf zu berücksichtigen sind. Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber mildere Reaktionsmöglichkeiten wie insbesondere eine Abmahnung oder eine ordentliche Kündigung unzumutbar sind (…)
Dabei spricht der Grundsatz bereits eher für die Abmahnung:
Beruht die Vertragspflichtverletzung auf einem steuerbaren Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann. Eine außerordentliche (oder ordentliche) Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzt deshalb regelmäßig eine Abmahnung voraus. Diese ist nur dann nicht erforderlich, wenn bereits von vornherein erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach Abmahnung nicht zu erwarten steht, oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Umständen unzumutbar und damit offensichtlich – auch für den Arbeitnehmer erkennbar – ausgeschlossen ist (BAG, Urteil vom 11.07.2013 – 2 AZR 994/12 – NZA 2014, 250 ff.; Urteil vom 25.10.2012 – 2 AZR 945/11 – a.a.O., m.w.N.).
Eine Ausnahme bietet sich dann, wenn eine schwerwiegende Pflichtverletzung anzunehmen ist:
Schließlich kann auch der Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung darstellen. Ein solcher Verdacht stellt gegenüber dem Vorwurf, der Arbeitnehmer habe die Pflichtverletzung tatsächlich begangen, einen eigenständigen Kündigungsgrund dar. Eine auf ihn gestützte Kündigung kann gerechtfertigt sein, wenn sich der Verdacht auf objektive Tatsachen gründet, die Verdachtsmomente geeignet sind, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zu zerstören und der Arbeitgeber alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen, insbesondere dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat (BAG, Urteil vom 20.06.2013 – 2 AZR 546/12 – NZA 2014, 143 ff., m.w.N. in ständiger Rechtsprechung).
Pflichtverletzung der Krankenschwester
Selbstverständlich stellt das Verhalten der Krankenschwester eine Pflichtverletzung dar – schon aus mehreren Gründen. Sie hat eine eigene Schweigepflicht gegen die sie verstoßen hat, hat das Persönlichkeitsrecht der Betroffenen verletzt, das Interesse der Eltern des Kindes – dies ist derart immanent, dass es weder weiterer Ausführungen bedarf, noch für einen Laien überraschend sein sollte. Das Gericht hierzu vollkommen korrekt:
Die Klägerin hat mit der Veröffentlichung und der Bilder des Patienten G.B. in ihrem Facebook-Auftritt ihre Schweigepflicht als medizinische Mitarbeiterin der Beklagten verletzt. Sie war sowohl arbeitsvertraglich als auch nach § 203 StGB, § 5 BDSG gesetzlich verpflichtet, die Behandlung des Patienten sowie deren nähere Umstände geheim zu halten. Die Klägerin hatte keine Genehmigung zur Veröffentlichung der Bilder; dass sie nach ihrem Vorbringen die Pflegschaft für den Patienten übernehmen wollte, berechtigte sie nicht dazu, Fotografien des Patienten anderen Personen zugänglich zu machen. Eine ungenehmigte Verbreitung von Patientenbildern in einem sozialen Netzwerk wie Facebook stellt einen erheblichen Verstoß gegen die Schweigepflicht dar. Durch sie können die Persönlichkeitsrechte des betroffenen Patienten schwerwiegend verletzt werden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass letztlich der Personenkreis, der Zugang zu den unerlaubt veröffentlichten Bildern erhalten kann, nicht zu begrenzen ist. Denn selbst wenn der Zugriff auf die Bilder zunächst nur bestimmten Nutzern erlaubt wird, besteht doch keinerlei Möglichkeit, einer weiteren Verbreitung der Bilder durch diese Nutzer entgegen zu wirken. Die Persönlichkeitsrechtsverletzung, die bereits in der unberechtigten Weitergabe eines Patientenbildes liegt, kann deshalb bei einer Veröffentlichung auf Facebook im Grunde nicht zuverlässig eingegrenzt werden. Ein derartiges Verhalten ist deshalb „an sich“ ohne weiteres geeignet, einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung darzustellen.
Wichtiger Grund?
Aber: Die Pflichtverletzung mag gravierend und aussergewöhnlich dumm sein, gleichwohl bedarf es gewichtiger Gründe, damit auf die Abmahnung verzichtet werden kann. Das Gericht stellt hier nun fest: „Das Verhalten der Klägerin stellt angesichts der besonderen Umstände des Falles keinen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses dar.“. Und das ist durchaus vertretbar, denn es gibt mehrere Gründe, die aus Sicht des Gerichts für die abgestufte Abmahnung statt der Kündigung als endgültige Maßnahme sprechen.
So sieht das Gericht, sicherlich auch korrekt, dass die Krankenschwester nicht eigennützig oder unlauter handelte (was bei einem Verkauf der Fotos oder reiner Selbstdarstellung anzunehmen wäre), sondern aus eigener emotionaler Bindung an die Kinder heraus gehandelt hat. Das Gericht sah auch eine Abschwächung der Rechtsverletzung durch das spätere Löschen der Fotos und der tatsache, dass lediglich 170 Facebook-Kontakte Zugriff hatten. Zwar gibt es die geringe Wahrscheinlichkeit, dass die Fotos kopiert wurden und anders durch Dritte verbreitet werden, diese Wahrscheinlichkeit stuft das Gericht aber als gering ein. Auch sah das Gericht nicht mehr die Wahrscheinlichkeit, dass ein solches Verhalten erneut auftreten wird. Auch droht dem Arbeitgeber kein Imageverlust, weil auf den Fotos nicht zu sehen war, wer der Arbeitgeber der Krankenschwester war.
Kinderfotos = Geringere Verletzung des Persönlichkeitsrechts?
Das Arbeitsgericht beschäftigt sich an mehreren Stellen mit persönlichkeitsrechtlichen Fragen. Eine davon möchte ich hervorheben. Das LAG führt aus, dass die Fotos von Säuglingen, deren Gesichtszüge noch erheblichen Änderungen unterliegen, einen nur geringen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht darstellen:
Auch wenn die Pflichtverletzung der Klägerin nicht verharmlost werden soll, hat die Veröffentlichung der Bilder des Patienten doch zu keiner schwerwiegenden Persönlichkeitsrechtsverletzung geführt. Die Bilder zeigen ein Kind in sehr jungem Alter, dessen Gesichtszüge wenig ausgeprägt sind und die sich – wenn der Patient nicht verstorben wäre – sehr bald verändert hätten. Der Patient war auf den Bildern nicht zu individualisieren, er konnte durch einen Betrachter nur dann erkannt werden, wenn er ihm ohnehin bekannt war. Dass auf einem Bild der Vorname des Patienten zu erkennen war, ändert hieran nichts Wesentliches; denn auch mit dieser Namensnennung war eine nähere Individualisierung nicht möglich. Der Patient wurde auf den Bildern ferner nicht verächtlich gemacht oder in sonstiger Weise herabgewürdigt. Zwar erfährt der Betrachter, dass der Patient schwer erkrankt war und schließlich gestorben ist. Die Kommentare der Klägerin zu den Bildern waren jedoch geeignet, den Betrachter für den Patienten einzunehmen und Mitleid für ihn zu wecken; keinesfalls konnte sich ein Betrachter durch die Bilder angeregt fühlen, sich über den Patienten lustig zu machen oder sonstige negative Gefühle zu entwickeln. Auch wenn auch derart positiv besetzte Bilder natürlich nicht ohne Genehmigung veröffentlich werden dürfen, kann die Art der Aufnahmen bei der Bewertung der Pflichtverletzung der Klägerin nicht außer Betracht bleiben.
Fazit
Der Sachverhalt lässt den Leser gruseln: Wie wenig muss man nachdenken, um Fotos von Patienten aus einem Krankenhaus in sozialen Netzwerken zu verbreiten? Selbstverständlich ist zu sehen, dass Facebook, Twitter & Co. heute zu unserem Alltag gehören und es zum eigenen Selbstbild gehört, das belastende wie erfreuliche Erlebte zu verarbeiten, indem es im dorrigen „Freundeskreis“ geteilt wird. Leichter und Selbstverständlicher sind Anerkennung und Verständnis, wonach ein menschliches Bedürfnis besteht, nicht zu erhalten.
Dennoch muss jedem selbst Überlassen sein, welche Öffentlichkeit er wählt. Wer von seinem Arbeitsplatz berichtet, muss dies im Hinblick auf Dritte grundsätzlich anonymisiert tun oder mit dessen Einwilligung. Eine klare juristische Regel darüber hinaus gibt es nicht, es hilft nur, womit jeder von uns ausgestattet ist – der normale Menschenverstand. Und der muss einem direkt sagen, dass es weiterhin „NoGos“ gibt, etwa dort, wo schutzbedürftige Menschen betroffen sind.
Gleichwohl verdient die Entscheidung des LAG Zustimmung. Und auch wenn die Krankenschwester hier voll verantwortlich ist für ihr eigenes tun, so muss man auch den Arbeitgeber ein wenig in die Pflicht nehmen – das vorliegende Beispiel ist ein Musterbeispiel für die Tatsache, dass Arbeitgeber mit Social Media Guidelines Hilfen für Ihre Arbeitnehmer im Umgang mit sozialen Netzen bereit halten sollten.
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