Nachdem die Filesharing-Abmahnung zuging, beginnen die üblichen Überlegungen und natürlich – wenn der Anschlussinhaber nicht selber etwas getan hat – die üblichen Reflexe, allem voran: „Ich habe nichts gemacht, also zahle ich auch nichts“. Später dann beginnt der bange Blick auf die Gerichte, speziell das Amtsgericht München, und die Frage: Wie Urteilen die denn?
Update 1: Dieser Artikel ist inhaltlich nicht falsch, muss aber ab September 2013 in einigen Punkten mit Vorsicht gesehen werden. Hintergrund ist das Gesetz zur Begrenzung unseriöser Geschäftspraktiken, das zunehmend schon vor Inkrafttreten von Gerichten beachtet wird. Die bisherige Entwicklung steht damit zwar, es bleibt aber abzuwarten, wie es sich im Oktober 2013 und in den Folgemonaten entwickelt. Der Artikel wird aktuell gehalten.
Update 2: Inzwischen ist dieser Beitrag inhaltlich zumindest in grossen Teilen überholt. Bereits Anfang 2014 zeigte sich ein Wechsel der Rechtsprechung ab, inzwischen (Anfang 2015) ist zu sehen, dass bei Familienanschlüssen erhebliches Potential zur Verteidigung besteht. Darüber hinaus mehren sich in hiesiger Praxis die Fälle, in denen in Klagen nicht einmal die Rechteinhaberschaft nachweisen kann. Daher: Verteidigung lohnt sich, auch wenn München sich Zeit lässt, der Rechtsprechung aus Köln, Düsseldorf und Hamburg anzuschliessen.
Ich fasse hierzu mal die aktuellen Entwicklungen ganz kurz an Hand einiger Entscheidungen zusammen, die wesentlichen Argumente Betroffene werden sich dort wieder finden.
- Die Zuständigkeit ergibt sich Problemlos aus §32 ZPO (nur Beispielhaft, gängige Rechtsprechung in München: 155 C 30524/12; 161 C 17341/11)
- Die Aktivlegitimation (Rechteinhaberschaft) ergibt sich problemlos aus den Herstellervermerken auf den jeweiligen CDs/Filme (Hierzu werden Kopien der Cover im Klagefall vorgelegt, AZ 161 C 17341/11).
- Es besteht eine tatsächliche Vermutung, dass der Abgemahnte als Anschlussinhaber des streitgegenständlichen Internetanschlusses für die über ihren Internetanschluss begangene Urheberrechtsverletzung persönlich verantwortlich ist (155 C 30524/12; 161 C 24439/12 – vom BGH inzwischen zwei Mal so gesehen)
- Die Erhebungen durch die Firma ipoque GmbH (findet man speziell in Waldorf Frommer Abmahnungen) begegnen im Sachverständigen Gutachten keinen Bedenken. Zum einen wird sorgfältig erhoben, zum anderen sind Manipulationen auszuschliessen (161 C 17341/11).
- Grundsätzlich ist die Auskunft des Providers bereits ein starkes Indiz dafür, dass IP-Adresse und Anschluss zusammen gefallen sind. Wenn darüber hinaus noch eine zweite IP-Adresse erfasst wurde, die der Provider ebenfalls dem Anschluss zugeordnet hat, spricht dies erst Recht für eine korrekte Auskunft. (161 C 17341/11). Sprich: Man glaubt der Providerauskunft erst einmal grundsätzlich.
- Aus dieser Vermutung ergibt sich für den Abgemahnten eine sekundäre Darlegungslast, die es ihm verwehrt, sich auf ein an sich zulässiges einfaches Bestreiten der Rechtsverletzung zurückzuziehen. Vielmehr muss dieser als Anschlussinhaber substantiiert zu allen fraglichen Tatzeitpunkten vortragen, warum er als Verantwortlicher nicht in Betracht kommt. (155 C 30524/12; 161 C 24439/12; 161 C 17341/11)
- Das Gericht verlangt eine plausible Darstellung, die einen anderen Geschehensablauf nahe legt (161 C 17341/11). Das heisst, es sollen konkreten Umstände dargelegt werden, warum der dann Beklagte selbst als Täter nicht in Betracht kommt – ein lediglich pauschales Bestreiten („Ich wars nicht“) reicht nicht aus. (161 C 24439/12; so auch OLG München, 6 W 1705/12)
- Der Vortrag, man war nicht zu Hause, reicht auch nicht aus (161 C 17341/11). Vielmehr muss man zudem darlegen, wer sonst noch Zugriff hatte, so dass ein Handeln dritter zumindest plausibel erscheint. Das AG München geht so weit zu verlangen, dass man Nachweisen muss, dass es zum Tatzeitpunkt nur einen Zugriff durch Dritte gab und nicht dazu ein Zugriff durch den Abgemahnten/Verklagten möglich war.
- Es muss sich aus dem Vortrag auch eine ernsthafte und plausible Möglichkeit der Täterschaft von Dritten, da der Beklagte selbst vorträgt eine entsprechende Verschlüsselung des W-LAN Anschlusses vorgenommen zu haben und auch in Hinblick auf die Ehefrau wurde vorgetragen, dass diese nur wenig Interesse an Internet/Computern habe. (161 C 24439/12)
- Man kann sich nicht damit verteidigen, nicht zu wissen, wie Tauschbörsen funktionieren: Man hat sich sowohl über die Funktionsweise der Tauschbörse als auch über die Rechtmäßigkeit des Angebots kundig zu machen. (155 C 30524/12, 161 C 24439/12)
- Dass nur für kurze Zeit „getauscht“ wurde und gar nicht das vollständige Werk hoch- bzw. herunter geladen wurde, interessiert nicht. Zum einen kann dieser kurzzeitige Upload ausreichend sein, bei einem anderen dessen Download zu vervollständigen. Zum anderen sind auch kleinste Teile eines Werkes geschützt (161 C 19021/11)
- Durch das Angebot zum Herunterladen des streitgegenständlichen Albums wird grundsätzlich ein Schaden in Höhe von € 450,00 verursacht, welchen das Gericht gemäß § 287 ZPO der Höhe nach schätzt. (155 C 30524/12, 161 C 24439/12). Das AG München meint dazu in nahezu jedem Urteil: „Aufgrund seiner Spezialisierung besitzt das Gericht aus seiner täglichen Arbeit hinreichende eigene Sachkunde um beurteilen zu können, dass der geforderte Schadensersatz von 450 EUR der Höhe nach angemessen ist. Der Sachvortrag der Klägerin in der Klage bildet hierzu eine ausreichende Schätzgrundlage. Der angesetzte Betrag von 450 EUR erscheint für das streitgegenständliche Werk angesichts der Funktionsweise der Tauschbörse, die mit jedem Herunterladen eine weitere Downloadquelle eröffnet, absolut angemessen“. (155 C 30524/12, 161 C 24439/12)
- Wenn für eine Standard-Abmahnung (1 Film, 1 Album) ein Streitwert von 10.000 € angesetzt und hieraus eine 1,0 RVG-Gebühr geltend gemacht wird, hat das AG MÜnchen damit gar kein Problem. (155 C 30524/12, 161 C 24439/12) Bei 3 Musikalben sind es 30.000 Euro (161 C 17341/11). Eine Kostendeckelung der Anwaltskosten bei der Abmahnung kommt nicht in Betracht (andere Auffassung: 224 C 19992/13)
- Wer das Vergleichsangebot unterzeichnet hat und später anfechten möchte, weil er unter Druck gesetzt wurde, sollte dies schnell machen: Das AG München meint, wenn man auf 1-2 Zahlungsaufforderungen nicht reagiert, muss man verstanden haben, das eine Drucksituation nicht da ist. Damit kann die Anfechtungsfrist davon laufen. (161 C 31980/12) Grundsätzlich gilt: Vergleich nur Unterzeichnen, wenn man vorher beraten wurde. Hinterher wieder raus kommen ist … schwierig.
Fazit: Sie finden hier viele der Argumente, die regelmäßig geäußert werden. Man sollte jedenfalls nicht zu blauäugig in ein Verfahren vor dem AG München laufen. Gleichwohl – es gibt Kollegen, die von Erfolgen berichten. Jedenfalls in wirklich klaren oder zumindest problematischen Situationen sollte man sich wehren können. Allerdings muss die Verteidigung sehr differenziert aufbereitet werden, etwa wenn es darum geht, ob Familienmitglieder sich überhaupt zu den Vorfällen äußern. Das blinde „ich wars nicht“ von allen Beteiligten führt beim AG München in eine Sackgasse.
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