Öffentliche Zugänglichmachung eines Bildes bei komplexem URL?

Der Bundesgerichtshof (I ZR 119/20) konnte sich endlich damit beschäftigen, wie damit umzugehen ist, wenn nach Abgabe einer Unterlassungserklärung weiterhin ein nicht weiter öffentlich zugänglich zu machendes Bild verfügbar ist – unter einer komplexen Adresse. Die Entscheidung klärt nach über einem Jahrzehnt zumindest ein grundsätzliches Problem, der Praxis, das insbesondere am Gerichtsstand Köln mitunter lebensfremd problematisiert wurde.

Sachverhalt

Der Kläger hatte den Beklagten im Hinblick auf eines der zum Gegenstand der Unterlassungserklärung (…) gemachten Lichtbilder auf Unterlassung sowie auf Zahlung einer Vertragsstrafe in Höhe von 1.000 € nebst Zinsen in Anspruch genommen. Zur Begründung hat der Kläger geltend gemacht, das Lichtbild sei (…) unter dem Link „http://… [es folgt eine über 70-stellige Folge von groß und klein geschriebenen Buchstaben, Sonderzeichen und Ziffern]“ von jedem PC mit Internetfunktion weltweit abrufbar gewesen.

Der Bundesgerichtshof bestätigte nun das OLG Köln. Mit dem BGH sei das für die Prüfung der öffentlichen Zugänglichmachung relevante Kriterium „recht viele Personen“ dann nicht erfüllt, wenn

  • ein Produktfoto, das zunächst von einem Verkäufer urheberrechtsverletzend auf einer Internethandelsplattform im Rahmen seiner Verkaufsanzeige öffentlich zugänglich gemacht worden war, nach Abgabe einer Unterlassungserklärung des Verkäufers nur noch
  • durch die Eingabe einer rund 70 Zeichen umfassenden URL-Adresse im Internet zugänglich war und
  • nach der Lebenserfahrung davon auszugehen ist, dass die URLAdresse nur von Personen eingegeben wird, die diese Adresse zuvor – als das Foto vor Abgabe der Unterlassungserklärung noch im Rahmen der Anzeige des
  • Verkäufers frei zugänglich gewesen war – abgespeichert oder sie sonst in irgendeiner Weise kopiert oder notiert haben,
  • oder denen die Adresse von solchen Personen mitgeteilt worden war.

Man merkt an der konkreten Formulierung, dass der BGH überdeutlich betont, dass es um eine abgrenzbare Einzelfrage in einem klaren Einzelfall geht (mit abstrahierbaren Schlussfolgerungen für ähnliche Fälle).

Begriff der öffentlichen Zugänglichmachung

Der Bundesgerichtshof betont, dass mit § 19a UrhG das Recht der öffentlichen Zugänglichmachung dasjenige Recht ist, das Werk drahtgebunden oder drahtlos der Öffentlichkeit in einer Weise
zugänglich zu machen, dass es Mitgliedern der Öffentlichkeit von Orten und zu Zeiten ihrer Wahl zugänglich ist.

Bei dem Recht der öffentlichen Zugänglichmachung handelt es sich um ein besonderes Recht der öffentlichen Wiedergabe (vgl. § 15 Abs. 2 und 3 UrhG). Die im Streitfall in Rede stehende öffentliche Wiedergabe in Form der öffentlichen Zugänglichmachung fällt in den Anwendungsbereich von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft, weil bei dem Abruf einer im Internet bereitgestellten Datei die Wiedergabe in Form der Zugänglichmachung gegenüber Mitgliedern der Öffentlichkeit erfolgt, die an dem Ort, an dem die Wiedergabe in Form der Zugänglichmachung ihren Ursprung nimmt, nicht anwesend sind.

Da es sich bei den hier in Rede stehenden Rechten des Urhebers zur öffentlichen Wiedergabe in Form der öffentlichen Zugänglichmachung um harmonisiertes Recht handelt, sind die entsprechenden Bestimmungen des deutschen Urheberrechtsgesetzes richtlinienkonform auszulegen:

Der Begriff der „öffentlichen Wiedergabe“ im Sinne des Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG hat zwei Tatbestandsmerkmale, nämlich eine Handlung der Wiedergabe und die Öffentlichkeit dieser Wiedergabe. Ferner erfordert dieser Begriff eine individuelle Beurteilung. Im Rahmen einer derartigen Beurteilung sind eine Reihe weiterer Kriterien zu berücksichtigen, die unselbständig und miteinander verflochten sind. Da diese Kriterien im jeweiligen Einzelfall in sehr unterschiedlichem Maß vorliegen können, sind sie einzeln und in ihrem Zusammenwirken mit den anderen Kriterien anzuwenden (…)

Der im Streitfall maßgebliche Begriff der Öffentlichkeit ist nur bei einer
unbestimmten Zahl potentieller Adressaten und recht vielen Personen erfüllt. Um eine „unbestimmte Zahl potentieller Adressaten“ handelt es sich, wenn die Wiedergabe für Personen allgemein erfolgt, also nicht auf besondere Personen beschränkt ist, die einer privaten Gruppe angehören (…)

Mit dem Kriterium „recht viele Personen“ ist gemeint, dass der
Begriff der Öffentlichkeit eine bestimmte Mindestschwelle enthält und eine allzu kleine oder gar unbedeutende Mehrzahl betroffener Personen ausschließt. Zur Bestimmung dieser Zahl von Personen ist die kumulative Wirkung zu beachten, die sich aus der Zugänglichmachung der Werke bei den potentiellen Adressaten ergibt. Dabei kommt es darauf an, wie viele Personen gleichzeitig und nacheinander Zugang zu demselben Werk haben

Merkmal der Öffentlichkeit nicht erfüllt

Mit der Prüfung, ob die mit dem Kriterium „recht viele Personen“ umschriebene Mindestschwelle überschritten ist, mit der eine allzu kleine oder gar unbedeutende Mehrzahl betroffener Personen aus dem unionsrechtlich determinierten Begriff der Öffentlichkeit ausgeschlossen werden soll, handelt es sich um eine den nationalen Gerichten überantwortete Tatsachenbeurteilung. Die insoweit vorzunehmende tatgerichtliche Würdigung ist nach den allgemeinen Grundsätzen vom Revisionsgericht, hier dem BGH, überprüfbar.

Danach ist maßgeblich, ob das Tatgericht einen zutreffenden rechtlichen Maßstab zugrunde gelegt, nicht gegen Erfahrungssätze oder die Denkgesetze verstoßen und keine wesentlichen Umstände unberücksichtigt gelassen hat – was der BGH nicht in Frage stellt:

Das Berufungsgericht hat angenommen, eine Wiedergabe gegenüber
„recht vielen Personen“ liege auf der Grundlage der vom Kläger vorgetragenen Umstände nicht vor. Das streitgegenständliche Foto sei nur durch die Eingabe der rund 70 Zeichen umfassenden URL-Adresse im Internet zugänglich gewesen. Damit beschränke sich der relevante Personenkreis faktisch auf diejenigen Personen, die diese Adresse zuvor – als das Foto vor Abgabe der Unterlassungserklärung noch im Rahmen der eBay-Anzeige des Beklagten frei zugänglich gewesen sei – abgespeichert oder sie sonst in irgendeiner Weise kopiert oder notiert hätten, oder denen die Adresse von solchen Personen mitgeteilt worden sei.

Es widerspreche jeder Lebenserfahrung, dass außer dem Kläger noch „recht viele“ andere Personen die URL-Adresse gekannt und Zugang zu dem Foto gehabt haben könnten. Diese tatgerichtliche Beurteilung hält der rechtlichen Nachprüfung stand.

Und was ist mit Google? Beim ersten Lesen fragte ich mich schon, warum die Auffindbarkeit über eine Suchmaschine hierbei nicht relevant sein soll – der Blick ins Urteil zeigt, dass das prozessuale Verhalten des Klägers dabei ein Problem war. Das Berufungsgericht hatte dazu ausgeführt, soweit der Kläger mit späterem Schriftsatz erstmals geltend gemacht habe, Suchmaschinen könnten Internetinhalte finden, ohne dass die URL zwingend bekannt sein müsse, handele es sich bei diesem Vorbringen um eine pauschale Angabe ohne Bezug zum konkreten Fall. Auch der entsprechende Vortrag in der mündlichen Berufungsverhandlung, es sei möglich gewesen, das streitgegenständliche Foto (auch) über die Google-Bildersuche aufzufinden, sei ohne nähere Substanz. Im Übrigen habe der Kläger diese Behauptung trotz Bestreitens des Beklagten nicht unter Beweis gestellt. Insgesamt war er am Ende mit diesem Vorbringen dann ausgeschlossen, weil es zu spät in konkreter Form kam. Interessant ist dabei, am Rande, dass der Kläger versucht hat dies zu reparieren, indem er auf die allgemeine Bekanntheit von Google Hinweis, das Gericht hätte dies von sich aus berücksichtigen müssen. Der BGH bringt dies dann schön auf den Punkt:

Die Revision bleibt ferner ohne Erfolg, soweit sie geltend macht, die
Existenz der Suchmaschine Google und ihrer Bildersuche und entsprechender anderer Suchmaschinen sei gemäß § 291 ZPO allgemeinkundig und entspreche der Lebenserfahrung, so dass diese Umstände schon nicht vorgetragen werden müssten.

Das Berufungsgericht hat nicht die Existenz dieser Suchmaschinen und
die von ihnen zur Verfügung gestellten Funktionen im Allgemeinen in Abrede gestellt, sondern angenommen, der Kläger habe nicht hinreichend substantiiert und in prozessrechtlich zulässiger Weise vorgetragen, dass konkret das streitgegenständliche Foto auch ohne Kenntnis und Eingabe des vielstelligen Links nach Abgabe der Unterlassungserklärung noch im Internet aufrufbar gewesen sei.

Ein weiterer Aspekt, der deutlich macht, warum es sich vorliegend um eine Einzelfallentscheidung handelt – aus der man viel Honig saugen kann, die aber unter (schlechten) prozessualen Bedingungen stand.

Fachanwalt für IT-Recht Jens Ferner