Zugang von Abmahnschreiben als Dateianhang einer e-Mail

Wird ein Abmahnschreiben lediglich als Dateianhang zu einer E-Mail versandt, ist es in der Regel nur und erst dann zugegangen, wenn der E-Mail-Empfänger den Dateianhang auch tatsächlich geöffnet hat. Das hat jetzt das Oberlandesgericht Hamm (4 W 119/20) klargestellt.

Das war geschehen

Die Parteien sind Internetversandhändler. Am 19.3.2020 versandte der Prozessbevollmächtigte des einen Händlers (Kläger) eine E-Mail an den anderen Händler (Beklagter) mit der Betreffzei- le „Unser Zeichen: A ./. B 67/20-EU“. Die E-Mail enthielt folgenden Text: „Sehr geehrter Herr B, bitte beachten Sie anliegende Dokumente, die wir Ihnen situationsbedingt zur Entlastung der angespannten Infrastruktur im Versandwesen nur auf elektronischem Wege zur Verfügung stellen.“

Unterhalb dieses Textes befanden sich die Kontaktdaten des Prozessbevollmächtigten des A. Als Dateianhänge waren der E-Mail zwei PDF-Dateien beigefügt: Eine PDF-Datei mit dem Dateinamen „2020000067EU12984.pdf“ enthielt ein auf den 19.3.2020 datiertes anwaltliches Abmahnschreiben wegen der im vorliegenden Verfahren verfahrensgegenständlichen lauter- keitsrechtlichen Vorwürfe. Die andere PDF-Datei mit dem Dateinamen „Unterlassungs.pdf“ enthielt den Entwurf für eine strafbewehrte Unterlassungserklärung.

Am 1.4.2020 versandte der Prozessbevollmächtigte des Klägers eine weitere E-Mail mit der Betreffzeile „Unser Zeichen: A ./. B 67/20-EU“ an den Beklagten. Diese E-Mail enthielt folgen- den Text: „Sehr geehrter Herr B, zur Erfüllung diesseitiger Ansprüche setzen wir eine Nachfrist bis zum 3.4.2020.“

Auf Antrag des Klägers erließ das Landgericht (LG) dann eine einstweilige Verfügung gegen den Beklagten mit einer Kostenentscheidung zu dessen Nachteil. Nach der Zustellung dieser einstweiligen Verfügung an den Beklagten gab dieser eine sog. Abschlusserklärung ab, wobei er sich die Erhebung eines Kostenwiderspruchs vorbehielt.

Von diesem Vorbehalt hat der Beklagte auch Gebrauch gemacht und Widerspruch gegen die einstweilige Verfügung erhoben. Er hat behauptet, er habe von den beiden o. g. E-Mails keine Kenntnis erlangt. Er könne nicht ausschließen, dass diese im Spam-Ordner seines E-Mail-Post- fachs eingegangen seien, könne dies allerdings nicht mehr überprüfen, weil E-Mails in diesem Ordner bereits nach zehn Tagen wieder gelöscht würden.

Landgericht bestätigt einstweilige Verfügung

Das LG Bochum hat die einstweilige Verfügung bestätigt und dem Beklagten auch die weiteren Kosten des Rechtsstreits auferlegt. Hiergegen hat sich der Beklagte mit einer sofortigen Beschwerde zum OLG Hamm gewandt.

Oberlandesgericht gibt Beklagtem Recht

Das OLG gab nun dem Beklagten Recht: Die Kosten des Rechtsstreits sind dem Kläger aufzuerlegen. Denn der Beklagte hat dem Kläger durch sein Verhalten keine Veranlassung zu dessen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gegeben. Dem Beklagten kann in diesem Zusammenhang insbesondere nicht der Vorwurf gemacht werden, er habe auf die Abmahnung des Klägers nicht reagiert.

Dateianhang: erst nach Öffnen zugestellt

Denn das anwaltliche Abmahnschreiben vom 19.3.2020 ist dem Beklagten nicht zugegangen: Wird – wie im vorliegenden Fall – ein Abmahnschreiben lediglich als Dateianhang zu einer E-Mail versandt, ist es nur und erst dann zugegangen, wenn der E-Mail-Empfänger den Datei- anhang auch tatsächlich geöffnet hat. Denn im Hinblick darauf, dass wegen des Virenrisikos allgemein davor gewarnt wird, Anhänge von E-Mails unbekannter Absender zu öffnen, kann von dem Empfänger in einem solchen Fall nicht verlangt werden, den Dateianhang zu öffnen:

Der Verfügungsbeklagte hat dem Verfügungskläger durch sein Verhalten keine Veranlassung zur Anbringung des Antrages auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gegeben. Dem Verfügungsbeklagten kann in diesem Zusammenhang insbesondere nicht der Vorwurf gemacht werden, er habe auf die Abmahnung des Verfügungsklägers nicht reagiert. Denn das anwaltliche Abmahnschreiben vom 19.03.2020 ist dem Verfügungsbeklagten nicht zugegangen:

Wird – wie im vorliegenden Falle – ein Abmahnschreiben lediglich als Dateianhang zu einer E-Mail versandt, ist es nur und erst dann zugegangen, wenn der E-Mail-Empfänger den Dateianhang auch tatsächlich geöffnet hat (Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl. [2022], § 13 Rdnr. 47). Denn im Hinblick darauf, dass wegen des Virenrisikos allgemein davor gewarnt wird, Anhänge von E-Mails unbekannter Absender zu öffnen, kann von dem Empfänger in einem solchen Fall nicht verlangt werden, den Dateianhang zu öffnen (Köhler/Bornkamm/Feddersen, a.a.O.). Es kann mithin im vorliegenden Fall dahinstehen, ob die in Rede stehenden E-Mails überhaupt im E-Mail-Postfach des Verfügungsbeklagten (dort möglicherweise im „Spam-Ordner“) eingegangen sind. Der Verfügungsbeklagte hat durch Vorlage seiner eidesstattlichen Versicherung vom 08.05.2020 jedenfalls glaubhaft gemacht, dass er von den beiden E-Mails des – ihm zuvor nicht bekannten – Prozessbevollmächtigten des Verfügungsklägers keine Kenntnis erlangt und dementsprechend auch den Dateianhang mit dem Abmahnschreiben nicht geöffnet hat.

Eidesstattliche Versicherung überzeugte

Es sei fraglich, ob die in Rede stehenden E-Mails überhaupt im E-Mail-Postfach des Beklagten (dort möglicherweise im Spam-Ordner) eingegangen sind. Der Beklagte hat durch Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung jedenfalls glaubhaft gemacht, dass er von den beiden E-Mails des – ihm zuvor nicht bekannten – Prozessbevollmächtigten des Klägers keine Kenntnis erlangt und dementsprechend auch den Dateianhang mit dem Abmahnschreiben nicht geöffnet hat.


Abmahnung per E-Mail? Gefälschte Abmahnungen im Fokus

Das Problem: Zunehmend ist davon zu lesen, dass wohl gefälschte Abmahnungen unterwegs sind und dies wohl nur der Anfang zu sein scheint. Dabei werden, teilweise professionell, Briefbögen bekannter Rechtsanwälte nicht nur imitiert, sondern sogar 1:1 Nachgestellt, mit dem Namen des angeblichen Anwalts unterzeichnet und lediglich die Konto-Informationen variieren. Betroffene haben nach aktuellem Eindruck keine Chance, das Schreiben als Fälschung zu erkennen. Erst durch Korrespondenz mit demjenigen, der da angeblich handelt, klärt sich die Lage auf. Viele aber zahlen häufig – zumal bewusst zwar empfindliche Summen gewählt werden, die aber letztlich verkraftbar sind (etwa im Rahmen von 100 Euro bis 150 Euro).

Neben den schon professionellen Fälschungen, die schriftlich zugestellt werden (also etwa mit der Post) gibt es aber auch weitere Fälle, in denen per Email „abgemahnt“ wird, dabei wird gerne darauf hingewiesen, dass dies problemlos möglich sein soll. Ganz so einfach ist das aber auch nicht. Dazu kommt, dass gerne Betrüger versuchen, als angebliche Rechtsanwälte Abmahnungen per Mail zu verschicken, in der Hoffnung, die Betroffenen zahlen einfach.

Speziell ein Urteil des LG Hamburg (312 O 142/09) sorgte früher für Verunsicherung, das angeblich festgestellt hat, dass eine Abmahnung per Email jederzeit wirksam sein solle. Prinzipiell spricht auch erst einmal nichts dagegen, eine Abmahnung auch per Email zuzustellen (siehe oben) – das Problem ist das Zugangserfordernis. Insgesamt sieht man bei Abmahnungen die Beweislast, dass diese nicht angekommen ist, beim Empfänger. Auch das LG Hamburg

vertritt mit der herrschenden Meinung (vgl. Zöller-Herget, ZPO, 27. Aufl., § 93, S. 431, Stichwort „Wettbewerbsstreitigkeiten“) die Auffassung, dass die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die Abmahnung nicht zugegangen ist, beim Adressaten, also dem Abgemahnten liegt

Man mag nun darüber streiten, ob es realistisch ist, diesen für den Briefverkehr entwickelten Grundsatz, bei dem man sich eines externen Zustellunternehmens (oder eines Boten) bedient, das eine gewisse Zuverlässigkeit für sich durchaus beanspruchen kann, auch auf den Email-Verkehr anzuwenden, bei dem es gerade nicht um einen Dienstleister geht, sondern wo am Transport eine Vielzahl interner und externer Unwägbarkeiten beteiligt ist. Dieser Streit soll hier nicht vertieft werden, die Kritikwürdigkeit liegt auf der Hand, wird aber erst einmal nicht hinterfragt.

Denn keinesfalls ging schon damals das LG Hamburg davon aus, dass einfach eine abgesendete Email alleine ausreichend ist, sondern stellte drei Kriterien auf:

Abmahnungen, die per Email übermittelt werden, sind zugegangen, wenn sie an eine vom Empfänger im geschäftlichen Verkehr verwendete Email-Adresse geschickt wurden und in der entsprechenden Mailbox des Empfängers angekommen sind […] der Umstand, dass die Email nicht „zurückkommt“ begründen eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Email auch an anderer Adresse angekommen ist.

Es sind also für eine Email-Abmahnung, selbst wenn man dem LG Hamburg oben folgt, drei Kriterien festzuhalten:

  • Zustellung an eine im geschäftlichen Verkehr genutzte Mail-Adresse
  • Tatsächliche Ankunft im Postfach (die fingiert werden kann!)
  • Keine Rücksendung der Email (wenn doch ein Fehler vorliegt)

Das erste Kriterium entschärft die Sachlage schon für Verbraucher, man sollte also nicht mit Blick auf das – ohnehin fragwürdige – Urteil des LG Hamburg meinen, dass nun „jeder problemlos“ per Mail abgemahnt werden könne.

Bei Handeln und verwenden einer Mail-Adresse im geschäftlichen Verkehr ist die Fiktion des Zugangs erst einmal ärgerlich, aber nachvollziehbar: Wenn ein Einschreiben zugestellt und auf Grund eines hausinternen Fehlers (Angestellte wirft Einschreiben versehentlich weg) abhanden kommt, geht dies auch zu Lasten des Empfängers. Ich sehe keinen Unterschied, ob eine Firewall oder ein Spam-Filter die Mail blockiert und gar nicht erst weiterleitet. Der Vergleich zur Sekretärin, die eigenmächtig wegen einer falschen Bewertung (z.B: als Werbung) ein Schreiben „entsorgt“ zwängt sich geradezu auf.

Der Hauptanker beim LG Hamburg scheint die Rücksendung zu sein: Sofern die Mail an den Empfänger wieder zurückgestellt wird, etwa vom Spam-Filter der die Weiterleitung verweigert und die Mail mit Fehlermeldung zurückschickt, verneint das LG Hamburg wohl die Zustellung. Das eröffnet natürlich lebensnahe Probleme, so kann man recht einfach ungeliebte Mails über ein angebliches Firewall-System zurückschicken lassen.

Im Ergebnis verbleibt nur ein dennoch ärgerliches, weil mit Arbeit verbundenes, Fazit: Betroffene sollten umgehend rechtliche Beratung suchen. Auch Verbraucher, die sich vielleicht in Sicherheit wähnen, weil sie eine gefälschte Abmahnung vermuten, müssen den konkreten Einzelfall durch einen juristischen Profi prüfen lassen – zumal (im Notfall) Erfahrungsgemäß ein anwaltliches Antwortschreiben mitunter andere Reaktionen hervorruft.

Fachanwalt für IT-Recht Jens Ferner