Die Verwirkung des Anspruchs auf Zahlung einer Vertragsstrafe

Das Landgericht Köln hatte in seinem Urteil (4 S 11/20) über die Verwirkung des Anspruchs auf Zahlung einer Vertragsstrafe zu entscheiden. Die Verwirkung eines solchen Anspruchs ist ein bedeutendes Thema im Wirtschaftsrecht, da sie die Durchsetzbarkeit von Vertragsstrafen beeinflusst und somit wesentliche Auswirkungen auf Vertragsverhältnisse haben kann.

Sachverhalt

Der Kläger, ein selbständiger Berufsfotograf, hatte eine Unterlassungsverpflichtungserklärung vom Beklagten, einem Verkäufer auf der Plattform eBay, akzeptiert. Diese Erklärung enthielt eine Vertragsstrafenvereinbarung nach dem neuen Hamburger Brauch. Trotz der Abgabe der Unterlassungserklärung blieb das streitgegenständliche Lichtbild noch bis Mai 2014 auf verschiedenen eBay-Länderseiten abrufbar.

Der Kläger forderte erst im November 2016 die Zahlung einer Vertragsstrafe. Der Beklagte verweigerte jedoch die Annahme der entsprechenden Schreiben. Im Oktober 2019 versandte der Kläger ein weiteres Schreiben, das der Beklagte schließlich erhielt. Nach weiterer anwaltlicher Aufforderung zur Zahlung der Vertragsstrafe reichte der Kläger im Dezember 2019 die Klage ein.

Rechtliche Analyse

Verjährung vs. Verwirkung

Das zentrale rechtliche Problem in diesem Fall war die Frage, ob der Anspruch des Klägers verjährt oder verwirkt war. Während Verjährung die gesetzlich geregelte zeitliche Begrenzung zur Geltendmachung von Ansprüchen ist, stellt die Verwirkung eine aus Treu und Glauben abgeleitete Schranke dar.

Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte bereits entschieden, dass die Verjährungsfrist für einen Anspruch auf Zahlung einer Vertragsstrafe nach „Hamburger Brauch“ erst beginnt, wenn der Gläubiger die Höhe der Vertragsstrafe festgelegt hat und der Anspruch damit fällig geworden ist. Im vorliegenden Fall war der Anspruch daher nicht verjährt.

Verwirkung

Die Verwirkung eines Anspruchs setzt voraus, dass der Gläubiger längere Zeit untätig bleibt und der Schuldner darauf vertrauen durfte, dass keine Ansprüche mehr geltend gemacht werden. Dies basiert auf den Grundsätzen von Treu und Glauben (§ 242 BGB).

Das Landgericht Köln entschied, dass der Anspruch des Klägers verwirkt sei. Trotz Kenntnis der Zuwiderhandlung habe der Kläger über einen längeren Zeitraum keine Vertragsstrafe festgesetzt. Diese Untätigkeit von mehr als drei Jahren ab Kenntnis der Zuwiderhandlung rechtfertigte das Vertrauen des Beklagten, dass keine Vertragsstrafe mehr gefordert werde:

Dennoch ist das Verhalten des Klägers insgesamt als treuwidrig einzustufen. Nach den vorstehenden Grundsätzen war er aus dem Unterlassungsvertrag gegenüber dem Beklagten zur Rücksichtnahme auf dessen Interessen und mit Blick auf die Funktion der Vertragsstrafe, weitere Zuwiderhandlungen des Schuldners zu verhindern, verpflichtet. Wie ausgeführt, hat der Gläubiger dem Schuldner beizeiten zu verdeutlichen, dass er den Verstoß gegen die Unterlassungserklärung nicht hinnimmt (vgl. BGH, GRUR 1998, 471 [juris Rn. 33] – Modenschau im Salvatorkeller).

Legt er über längere Zeit keine Vertragsstrafe fest, so kann er seinen Vertragsstrafeanspruch gemäß § 242 BGB verwirken, wenn der Schuldner darauf vertraut hat und nach dem gesamten Verhalten des Gläubigers darauf vertrauen durfte, dass dieser wegen des in Rede stehenden Verhaltens keine Vertragsstrafe (mehr) verlangen werde (BGH, Urteil vom 27. Oktober 2022 – I ZR 141/21 –, Rn. 34, juris). So liegt es im vorliegenden Fall. Denn obwohl der Kläger nach seiner Darstellung positiv wusste, dass jedenfalls im Juli 2013, im Februar 2014 und noch im Mai 2014 Verletzungshandlungen andauerten, ist er erst rund zweieinhalb Jahre später, nämlich im November 2016, überhaupt tätig geworden.

Der Vertragsstrafeschuldner, der von seinem Gläubiger nicht in Anspruch genommen wird, vertraut auf diesen Zustand. Erst die Geltendmachung von Vertragsstrafen gibt ihm die Gewißheit, daß die materiellen Gegebenheiten nicht der Wirklichkeit entsprechen, er mehr Verbindlichkeiten hat, als er annehmen durfte. Dem Vertragsstrafeschuldner ist schon deshalb ein berechtigtes Interesse zuzubilligen, in nicht zu fernem zeitlichen Zusammenhang mit dem jeweils als Zuwiderhandlung in Frage kommenden Verhalten vom Gläubiger zu erfahren, ob er zur Verantwortung gezogen werde (BGH, Urteil vom 18. September 1997 – I ZR 71/95 – Modenschau im Salvatorkeller, Rn. 32, juris).

Das Verhalten des Klägers ist vielmehr „als ein Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben i.S. des § 242 BGB anzusehen ist, wenn ein Vertragsstrafegläubiger Verstöße „sammelt“, um so einen möglichst hohen, wirtschaftlich bedrohlichen Vertragsstrafeanspruch entstehen zu lassen. Der Sinn der Vertragsstrafe als Sanktionsmittel (vgl. BGHZ 130, 288, 296 – Kurze Verjährungsfrist) besteht nämlich nicht darin, den Schuldner in wirtschaftliche Schwierigkeiten zu treiben, sondern ihm frühzeitig vor Augen zu führen, daß der Gläubiger auf der Einhaltung der Unterlassungsverpflichtung besteht.“ (BGH, Urteil vom 18. September 1997 – I ZR 71/95 – Modenschau im Salvatorkeller, Rn. 33, juris).

Ein derartiges Verhalten hat der Kläger an den Tag gelegt, als er über rund ein dreiviertel Jahr hinweg Verstöße des Beklagten gegen die Unterlassungsverpflichtung festgestellt hat, diese aber nicht geahndet hat, sondern mit der erstmaligen Geltendmachung gegenüber dem Beklagten weitere rund zweieinhalb Jahre zugewartet hat.


Fazit

Die Entscheidung des Landgerichts Köln verdeutlicht die Bedeutung der Verwirkung im Vertragsstrafenrecht. Gläubiger müssen ihre Ansprüche zeitnah und aktiv verfolgen, um nicht das Risiko der Verwirkung einzugehen – und damit eine Unterlassungserklärung möglicherweise auch insgesamt zu entwerten. Diese Entscheidung schützt Schuldner vor einer unangemessen späten Geltendmachung von Vertragsstrafen und betont die Notwendigkeit einer gewissenhaften Vertragsführung.

Die Auswirkungen für die Praxis sind erheblich: Unternehmen und Privatpersonen, die Vertragsstrafen vereinbaren, müssen stets darauf achten, bei Verstößen zeitnah zu reagieren und ihre Ansprüche konsequent durchzusetzen, um eine Verwirkung zu vermeiden.

Fachanwalt für IT-Recht Jens Ferner